Faire-Kassenwahl-Gesetz
AOKen bundesweit öffnen? Spahns Reformcoup kommt an
Die Idee des Gesundheitsministers, die AOKen in den bundesweiten Wettbewerb zu stellen, findet die Konkurrenz gut. Die AOK-Welt hält sich dagegen zurück – noch.
Veröffentlicht:BERLIN. Mit dem Satz „Der Zuständigkeitsbereich von Ortskrankenkassen erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet“ im Paragrafen 143 des SGB V will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die AOKen – und alle anderen nur regional geöffneten Kassen – in den bundesweiten Wettbewerb stellen.
Das Vorhaben findet sich im am Montag vorgestellten Entwurf des „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“. Mit der geplanten Öffnung der AOKen, die damit auch untereinander konkurrieren würden, soll die Vereinheitlichung der Kassenaufsicht beim Bundesversicherungsamt einhergehen.
Mehr Wettbewerb durch andere Aufsicht?
Da die AOKen und andere regional aufgestellte Kassen bislang von Landesbehörden kontrolliert werden, würden nach Auffassung der Autoren des Gesetzentwurfs damit Wettbewerbsverzerrungen beseitigt, die aufgrund von „unterschiedlichem Aufsichtshandeln“ entstanden seien. Unterstellt wird so, dass die Länder „ihre AOKen“ weniger scharf unter die Lupe nehmen als das BVA die bundesweit geöffneten Kassen.
RSA-Reform-Agenda
- Der Entwurf des „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“ ist Kabinett und Verbänden zur Abstimmung zugegangen.
- Ein Kabinettsentwurf soll bis zur Sommerpause vorliegen.
- In Kraft treten soll das Gesetz möglichst noch 2019
- Finanzwirkung bei den Kassen könnten die Regelungen dann ab dem Jahr 2021 haben.
Einen „wesentlichen Beitrag für mehr Fairness im Wettbewerb zwischen den Kassen“ sieht denn auch der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, in der geplanten Neuordnung des Organisationsrechts der Kassen. Herzstück der Reform des Risikostrukturausgleichs der Kassen sei die geplante Einführung einer Regionalkomponente, sagte Storm am Dienstag der „Ärzte Zeitung“.
"Antiquierte Organisationsrecht“ angehen
„Positiv überrascht“ von Spahns Coup gab sich BKK-Dachverbands-Chef Franz Knieps. Seine Organisation sei dem Minister dankbar dafür, dass er das „antiquierte Organisationsrecht“ der Kassen angehe. Jeder Akteur müsse Kröten schlucken, das Gesamtbild der Reform werde damit jedoch nicht verwässert.
Auch die Innungskrankenkassen sehen in der bislang fehlenden Einheitlichkeit der Aufsichtspraxis über die AOKen ein Wettbewerbshemmnis, kommentierte IKK-Verbandsgeschäftsführer Jürgen Hohnl den Entwurf. Sein Verband setze sich für Anbietervielfalt und damit ausdrücklich für ein gegliedertes, regionales Kassensystem ein.
Auch aus der Opposition kamen Anmerkungen zum Faire-Kassenwahl-Gesetz. Der Obmann der Fraktion der Linken im Gesundheitsausschuss Achim Kessler bemerkte dazu, die Regierung rufe das Ziel aus, den Kassenwettbewerb zu verschärfen. Das sei schlecht. Die Linke halte dagegen, die Kassen seien keine normalen Unternehmen. Bei ihnen gehe es um solidarisch finanzierte Gesundheitsleistungen, nicht um Produkte.
Eine Auswahl der Reformpläne für den Risikostrukturausgleich:
- Einführung Vollmodell: Statt der bisher 80 jährlich neu festgelegten Krankheiten sollen künftig alle 360 kodierbaren Krankheiten in den Ausgleich einbezogen werden. Dies wird bei den Ersatzkassen, aber auch bei den Innungskrankenkassen kritisch gesehen. Grund: Ein Vollmodell erhöhe die Manipulationsanfälligkeit.
- Regionalkomponente: Regionale Unterschiede, etwa der Anteil ambulant Pflegebedürftiger, sollen in die Berechnungen einbezogen werden.
- Risikopool: Für die Behandlung von Menschen mit schweren Erkrankungen, deren Jahrestherapiekosten 100.000 Euro übersteigen, soll ein Risikopool eingeführt werden. 80 Prozent der Kosten sollen daraus finanziert werden.
- RSA-Manipulationen: Hohe Steigerungsraten bei Diagnosen, Upcoding, sollen erschwert werden. Steigen die Diagnosen für bestimmte Morbiditätsgruppen auffällig, sollen sie aus dem Finanzausgleich fallen.
- Prävention: Ausgaben der Kassen für Früherkennung sollen mit einer im RSA anrechenbaren Vorsorgepauschale belohnt werden. Hier fordern die Kassen Nachbesserung. Die Präventionsanreize würden nur halbherzig angepackt.
- Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands soll professionalisiert werden. Ihm sollen künftig nurmehr Vorstände der Mitgliedskassen angehören. Dieser Plan lässt die Selbstverwalter etwas ratlos zurück, sind die Verwaltungsräte doch per Sozialwahl von den Versicherten selbst gewählt.
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