Ärzte in der ethischen Zwickmühle

Entscheidungen über Leben und Tod eines Menschen fallen am Uniklinikum Heidelberg täglich. Eine schwierige Situation - besonders für die behandelnden Ärzte. Helfen kann das Ethik-Komitee. Beschreibung einer Gratwanderung.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Sterben lassen oder intervenieren? Ärzte brauchen Entscheidungshilfen.

Sterben lassen oder intervenieren? Ärzte brauchen Entscheidungshilfen.

© Bergringfoto / fotolia.com

HEIDELBERG. Das Schicksal des 57jährigen Patienten auf der gastroenterologischen Intensivstation im Uniklinikum Heidelberg ließ keinen kalt.

Sollte man tatsächlich beide Beine und einen Unterarm des beatmeten und nicht ansprechbaren Patienten amputieren, um sein Leben zu retten?

Was war medizinisch indiziert - was ethisch vertretbar? Wie würde der Patient reagieren, wenn er nach der Operation tatsächlich wieder aufwachte?

"Bei uns wurde heftig diskutiert. Von der Pflegekraft bis zum Chefarzt - jeder hatte eine andere Meinung. Die Spannungen, die auf Station entstanden, waren heftig", berichtet Dr. Christoph Eisenbach, Oberarzt der Medizinischen Klinik IV.

Die Empfehlung der hinzugezogenen Gefäßchirurgen war eindeutig: Nur durch solch eine radikale Amputation könne das Leben des einst sportlichen Familienvaters noch gerettet werden, lautete ihr Fazit.

Eine schwierige Entscheidung.

Ärzte, Pflege und Angehörige suchten Hilfe - beim Ethik-Komitee des Uniklinikums Heidelberg. Bei einem Kongress in Heidelberg berichten sie von sechs schwierigen Tagen der Entscheidung.

"Ethische Herausforderungen am Krankenbett. Die Arbeit des neuen Ethik-Komitees" heißt das Thema des Symposiums. Eingeladen hat Dr. Beate Herrmann, die Vorsitzende des Ethikkomitees.

"Es ist eigentlich ein Fall, den man nicht gerne zeigt", berichtet Oberarzt Eisenbach. Nach einer Biopsie war es bei dem 57jährigen Patienten akut zu massiven Problemen gekommen.

40 Grad Fieber, septischer Schock, Leber- und Nierenversagen und eine respiratorische Insuffizienz sowie Nekrosen an den Unterschenkeln, die sich begannen super zu infizieren, folgten.

Angespannte Situation in der Pflege

Der Patienten war mittlerweile von einem Krankenhaus im Umkreis in die Heidelberger Uniklinik verlegt worden.

"Natürlich habe ich als Arzt die schlussendliche Entscheidung zu verantworten. Daran ändert auch die Unterstützung eines Ethik-Komitees nichts", macht Eisenbach deutlich.

Dennoch habe er es als große Hilfe empfunden, die Mitglieder des Komitees - Seelsorger, ärztliche Kollegen, Vertreter der Pflege sowie Psychologen an seiner Seite zu wissen und die verschiedenen Sichtweisen zu dem Fall gemeinsam festzuhalten.

Komme es in Einzelfällen am Ende doch zu Auseinandersetzungen vor Gericht, so könne der Arzt auf jeden Fall nachweisen, sich gewissenhaft mit dem Problem auseinandergesetzt zu haben.

"Für uns von der Pflege war die Situation auf jeden Fall sehr angespannt", berichtet die Krankenschwester Lisa Stricker. Die Angehörigen hätten 24 Stunden am Bett des Patienten gestanden - völlig überfordert und zum Teil auch aggressiv.

Man habe sich oft mit der Familie unterhalten, ihre Sorgen und Überlegungen mitempfunden. "Grundsätzlich bekommt die Pflege viel mehr mit, als die Ärzte selbst", ist Stricker überzeugt. Die meisten in der Pflege seien damals gegen die Amputation gewesen.

Gespräche, die helfen

Der mutmaßliche Wille des Patienten soll maßgeblich sein. "Doch es gab leider keine schriftliche Erklärung des Patienten für solch einen Fall. Die Angehörigen waren verständlicherweise völlig geschockt und hatten Angst, die falsche Entscheidung zu treffen", berichtet Oberarzt Eisenbach bei dem Symposium in Heidelberg.

Amputiert an Arm und Beinen hätte ihr Vater und Mann nicht weiterleben wollen, mutmaßten Mutter und Tochter in einem ersten Gespräch mit dem Stationsarzt. Andererseits: nur durch solch einen Eingriff hatte der Patient überhaupt eine Chance zu überleben.

Quälende Diskussionen folgten. Schließlich entschieden sich die behandelnden Ärzte im Einklang mit der Familie für die Amputation - die vielen Gespräche mit Unterstützung des Ethik-Komitees hatten diesen Entschluss möglich gemacht.

Ob er tatsächlich im Sinne des Patienten war, niemand kann es sagen. Der Familienvater starb 14 Tage nach der der Operation - ohne zuvor sein Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

"Doch egal wie es schlussendlich ausgeht - es war hilfreich, das Ethikkomitee an seiner Seite zu wissen", fasst Eisenbach zusammen.

Allen Beteiligten hätten die Gespräche mit dem Komitee geholfen, die eigene Entscheidung besser aushalten zu können.

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