Triage
Ärzte stehen wegen COVID-19 vor Entscheidungen über Leben und Tod
Die Intensiv- und Notfallmediziner rechnen mit schweren Entscheidungen an den Krankenbetten. Am Donnerstag haben sie einen Leitfaden zur Triage in der Corona-Pandemie vorgelegt.
Veröffentlicht:Berlin. In Italien mussten die Ärzte sehr schnell und mit wenig Vorlaufzeit lernen, welche Patienten noch intensivmedizinisch betreut werden konnten und welche nicht.
Jetzt bereiten sich die Intensiv- und Notfallmediziner in Deutschland darauf vor, bei der Behandlung von Corona-Patienten über Leben und Tod entscheiden zu müssen. Es sei „wahrscheinlich, dass auch in Deutschland in kurzer Zeit und trotz bereits erfolgter Kapazitätserhöhungen nicht mehr ausreichend intensivmedizinische Ressourcen für alle Patienten zur Verfügung stehen, die ihrer bedürften“, heißt es in einer am Vormittag verbreiteten Empfehlung von sieben Medizinischen Fachgesellschaften mit dem sperrigen Titel „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“. Die Autorinnen und Autoren bitten um einen lebhaften Diskurs, um die Inhalte situationsangepasst weiterentwickeln zu können.
Das elfseitige Papier, das unter Federführung von Georg Marckmann, Gerald Neitzke und Jan Schildmann formuliert worden ist, soll Ärzten bei „zu erwartenden Konflikten bei Entscheidungen über intensivmedizinische Behandlungen“ Anleitung geben. Schon präklinisch sollten in Alten- und Pflegeheimen sowie im Rettungsdienst Ausschlusskriterien definiert werden. An dieser Stelle sollten die Hausärzte in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Patientenwille zählt
Wie in anderen Konfliktsituationen bei Behandlungen am Lebensende sollen „Indikation und Patientenwille“ Grundlage der ärztlichen Entscheidungen sein. Hat ein Patient in einer Patientenverfügung oder auf anderen Wegen den Willen geäußert, nicht intensivmedizinisch behandelt zu werden, soll dem entsprochen werden.
Hat der Sterbeprozess begonnen, ist die Prognose infaust oder wäre das Überleben nur bei dauerhafter intensivmedizinischer Betreuung möglich, sei eine Intensivtherapie ebenfalls nicht indiziert, heißt es in dem Papier, das der „Ärzte Zeitung“ vorliegt.
Triage wie im Katastrophenfall
Kritischer wird es für die Ärzte, wenn die Entscheidungen aufgrund fehlenden Materials fallen müssen. Dann „müsse analog der Triage in der Katastrophenmedizin über die Verteilung der begrenzt verfügbaren Ressourcen entschieden werden“, schreiben die Autoren. Transparente und ethisch gut begründete Kriterien könnten die Teams an dieser Stelle entlasten und das Vertrauen der Bevölkerung in das Krisenmanagement in den Krankenhäusern stärken.
Gegebenenfalls erforderliche Priorisierungen sollten daher nicht in den Verdacht geraten „Menschenleben zu bewerten“, sondern sich ausschließlich an klinischen Erfolgsaussichten ausrichten. Die bessere Gesamtprognose solle entscheiden. Dabei müssten alle Patienten in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden, nicht nur die COVID-19-Patienten. Auch das kalendarische Alter oder der Sozialstatus allein genügten nicht als Ausschlussgründe.
Klare Entscheidungswege
Die Autoren raten dazu, klare Entscheidungswege zu definieren und Vorgehensweisen beim Dissens vorab festzulegen. „Konsistente, faire sowie medizinisch und ethisch gut begründete Priorisierungsentscheidungen“ ließen sich zum Beispiel mit Mehraugen-Prinzip in einem Team von möglichst zwei intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten, einer Pflegekraft und gegebenenfalls weiteren Fachärzten herbeiführen.
Für Behandler habe man damit „ganz große Sicherheit“ geschaffen. „Wir wollen am Ende dieses schwierigen, schmerzlichen Prozesses sagen können: Es war eine fundierte, gerechte Entscheidung“, kommentierte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Professor Uwe Janssens das Papier. Keiner brauche in Deutschland Angst davor zu haben, dass Entscheidungen nach dem Prinzip Daumen hoch, Daumen runter getroffen würden.