Pflege
"All das heilt nicht alleine das Problem"
Die PflegeGesellschaft Rheinland-Pfalz vertritt mehr als 350 ambulante Dienste und 450 Seniorenheime. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" berichtet Geschäftsführer Sebastian Rutten, was seit der Gründung vor fünf Jahren angepackt wurde - und erklärt, wo aus seiner Sicht die drängendsten Probleme der nächsten Jahre liegen.
Veröffentlicht:Sebastian Rutten
Der Rechtsanwalt ist 39 Jahre alt.
Seit 2013 ist Rutten Geschäftsführer der PflegeGesellschaft Rheinland-Pfalz.
Er ist Lehrbeauftragter der katholischen Hochschule Mainz für Pflegeversicherungsrecht.
Ärzte Zeitung: Herr Rutten, welche Effekte hätte die umstrittene Generalistik aus Ihrer Sicht?
Sebastian Rutten: Die genauen Auswirkungen hängen von den noch ausstehenden Verordnungen ab. Uns ist daran gelegen, dass Pflegeeinrichtungen in der ohnehin schon angespannten Fachkräftesituation nicht das Nachsehen haben werden.
Im jetzigen Entwurf bringt sie die Koordinierung vieler externer Praxiseinsätze mit sich. Das könnten insbesondere kleine und ambulante Einrichtungen vor Probleme stellen.
Klärungsbedürftig ist auch die Finanzierungsfrage, da die bisher getrennten Ausbildungen von unterschiedlichen Kostenträgern refinanziert werden. Eine Zusammenlegung dürfte die Pflegebedürftigen nicht zugunsten der Krankenkassen belasten.
Eine weitere Forderung Ihrer Gesellschaft an die Landespolitik ist eine bessere Sterbebegleitung.
Rutten: Rheinland-Pfalz hat eine engagierte Struktur aus ambulanten Hospizen- und Palliativberatungsdiensten, die auch mit viel ehrenamtlichem Engagement Sterbebegleitung leisten. Etwa 480 Ärzte haben eine palliativmedizinische Zusatzqualifikation, die Hälfte davon ist ambulant tätig.
Wenn nun aber 900 Pflegeeinrichtungen verpflichtend palliativpflegerische Leistungen sowie die zugehörigen Beratungen und Vermittlungen erbringen sollen, kann das nicht allein durch Kooperationen mit den bisherigen Kräften erbracht werden.
Der Bundesgesetzgeber hat uns neue Pflichten ins Gesetz geschrieben, ohne die Ressourcenfrage zu klären. Die Pflegeeinrichtungen dürfen hier nicht alleine gelassen werden.
Auf Ihrer Liste stehen außerdem der Erhalt von qualitativ hochwertiger wohnortnaher Versorgung, die Förderung neuer Wohnformen und die bessere Nutzung vorhandener Potenziale. In all diesen Punkten hat die Landesregierung schon in der vergangenen Legislaturperiode versucht, Akzente zu setzen. Vergeblich?
Rutten: Bei der wohnortnahen Versorgung und neuen Wohnformen gab und gibt es diverse Modellprojekte. Da die Nachhaltigkeit von Modellen nach Auslaufen der Förderung nie feststeht, wünschen wir uns vermehrt eine Unterstützung innovativer Konzepte aus dem Bestand heraus.
Als Spitzenverband vertreten Sie ambulante Dienste und Seniorenheime. Wie ist es um die personelle Situation dort momentan bestellt - und wie war es zur Gründung der PflegeGesellschaft vor fünf Jahren?
Rutten: Der Mangel an Fachkräften hat sich in den letzten Jahren nicht entspannt; die Nachfrage steigt schneller als das Angebot. Es ist uns gelungen, die Ausbildungszahlen in der Altenhilfe um über 20 Prozent zu steigern. Auch Bemühungen um ausländische Fachkräfte werden unternommen.
All das hilft vielleicht dabei, die Symptome zu lindern, heilt aber nicht alleine das Problem. Einen großen Schritt haben wir mit der Verbesserung der Personalschlüssel 2014 in den Pflegeheimen gemacht.
Wir brauchen vor allem Entspannung des regulatorischen Umfeldes und politische Signale für mehr Flexibilität und innovative Personaleinsatzkonzepte.
Sie sprechen eine Steigerung der Ausbildungszahlen an, die Sie unter anderem auf die landesweite Nachwuchs- und Imagekampagne "Pflegesignal" zurückführen. Um was genau ging es bei der Kampagne?
Rutten: Zwischen 2010 und 2015 haben wir hier sehr viel unternommen, um das Image der Pflege zu verbessern und junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern.
Mit unserer "Pflege on Tour" sind wir wochenlang durch Schulen im Land gezogen und haben junge Menschen über die Ausbildung in der Pflege informiert.
Mit unserer "Pflegesignal-Kampagne" haben wir auf ungewöhnliche Weise mit echten 50-Cent Stücken, die wir mit dem Slogan "Wenn Sie zu alt sind, um das aufzuheben, sind wir für Sie da - die Altenpflege" auf die wertvolle Arbeit unserer Einrichtungen und Pflegekräfte aufmerksam gemacht.
Wir wollen junge Menschen nicht nur gewinnen, sondern begeistern und ich denke, hier haben wir gut gearbeitet. Natürlich sind die Rahmenbedingungen das A und O für den Verbleib im Beruf. Um diesen zu sichern, werden wir nicht müde, uns politisch einzusetzen.
Machen Sie die Steigerung der Ausbildungszahlen seit 2011 allein an Ihren Imagekampagnen fest?
Rutten: Pflege ist im Rahmen des demografischen Wandels in den letzten Jahren zunehmend als gesamtgesellschaftliches Thema wahrgenommen worden, war medial stark präsent und ist damit auch bei Jugendlichen angekommen, die in unruhigen und wirtschaftlich turbulenten Zeiten wieder vermehrt nach sinnstiftender Tätigkeit suchen.
Hier bietet die Pflege ein attraktives Feld. Weiterhin haben wir 2014 vor der Landesschiedsstelle endlich die dringend notwendige Refinanzierung der Praxisanleiter erwirkt und Personalschlüssel verbessert.
Auch die Verbesserung der Investitionskostenfinanzierung war längst überfällig.
Wie viele Auszubildende in der Pflege gibt es aktuell in Rheinland-Pfalz? Und wie viele würden gebraucht?
Rutten: Zum Schuljahr 2015/2016 gab es in der Altenhilfe in Rheinland-Pfalz nach uns vorliegenden Informationen insgesamt rund 4100 Auszubildende und knapp 300 offene Ausbildungsstellen.
Detailliert werden diese Zahlen aber derzeit im landesweiten Branchenmonitoring erhoben, welches im Februar dieses Jahres gestartet ist. Dann wissen wir auch Genaueres.
Die derzeitigen Prognosen zeigen bis 2020 im Bereich der Pflege aber keine Entspannung.
Sie berichten in einem Rückblick, was seit der Gründung an Anstrengungen unternommen wurde, die Zukunft der Pflege zu stärken. Auch von Schritten zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation ist die Rede. Was konnte dort erreicht werden?
Rutten: Die PflegeGesellschaft hat in Rheinland-Pfalz mit Unterstützung des Landes den Vorsitz des Kooperationsgremiums zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation übernommen. Dort arbeiten wir gemeinsam mit dem Land, den Kassen und Prüfbehörden an einer effektiven Erleichterung der Dokumentationsarbeit.
Hier sind alle wirklich sehr engagiert und arbeiten sehr partnerschaftlich zusammen. Die Verbände schulen ihre Einrichtungen kontinuierlich. Rheinland-Pfalz steht mit 37 Prozent an umsetzenden Pflegeeinrichtungen über dem Bundesschnitt.
Sehen Sie sich in einem Wettbewerb zu den Kommunen?
Rutten: Noch nicht, und das hat der Bundesgesetzgeber auch nicht gewollt. Kommunen haben die Aufgabe, im Rahmen der öffentlichen Daseinsfürsorge durch eine effektive Bedarfsermittlung und Pflegestrukturplanung einen fördernden Rahmen für die darauf ausgerichteten Angebote zu schaffen.
Vorrang in der Leistungserbringung haben aber freigemeinnützige und private Träger nach SGB XI, Paragraf elf. Das muss klar sein. Nur so entsteht für die Kommune kein Interessenkonflikt als Träger der Daseinsfürsorge einerseits und Kostenträger der örtlichen Sozialhilfe andererseits.
Die PflegeGesellschaft Rheinland-Pfalz war für die Arbeitgeberseite an der Gründung der Pflegekammer beteiligt. Wie eng wird die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Arbeitgebern künftig? Und was entgegnen Sie den Gegnern der Kammer?
Rutten: Ein konstruktiver Dialog wurde angestoßen. Die PflegeGesellschaft hat sich hinsichtlich der Vor- und Nachteile einer Kammer aufgrund eines heterogenen Meinungsbildes innerhalb der Verbände politisch neutral aufgestellt.
Wir haben uns immer als offener Partner für alle Akteure verstanden, die sich für Perspektiven und positive Entwicklungen in der Pflege einsetzen. Und das wird auch so bleiben.
Wenn Sie aus den fünf Forderungen drei herauspicken müssten, die in den kommenden fünf Jahren die größten Probleme bereiten werden ...
Rutten: Das ist schwer, denn sie sind die Essenz vieler Überlegungen. Einen kleinen Vorsprung würde ich zukunftsfähigen und innovativen Konzepten in der angespannten Fachkräftesituation, Unterstützung bei personeller Ressourcensicherung sowie dem Bekenntnis zu den freigemeinnützigen und privaten Trägern einräumen.