Deutscher Schmerzkongress
Appell für zielgerichtete Schmerztherapie
23 Millionen Deutsche haben chronische Schmerzen, berichtet der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft zum Auftakt des Schmerzkongresses. Das seien weit mehr als bisher angenommen. Seine Forderung: Die Behandlungsstrategie muss angepasst werden.
Veröffentlicht:HAMBURG. Bei der Eröffnung des Deutschen Schmerzkongresses in Hamburg äußerte sich Professor Thomas R. Tölle, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, erfreut darüber, dass das Thema Schmerzen in den letzten Monaten auch in der gesundheitspolitischen Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit erhalten habe.
"Jetzt kommt es darauf an, dass die Behandlung von Schmerzen noch deutlicher in der Versorgungswirklichkeit des Gesundheitssystems verankert wird", so Tölle vor Journalisten. Bei zukünftigen Planungen müsse die Versorgung mehr als bisher zielgruppenorientiert aufgebaut werden.
"Die Planung der schmerzmedizinischen Versorgung von Patienten in Deutschland muss auf Basis von verlässlichen epidemiologischen Daten beruhen", so Tölle. Solche Daten sind jetzt veröffentlicht worden (Schmerz 2014; 28:483-492).
Repräsentative Stichprobe aus der Bevölkerung
Ein Autorenteam um Privatdozent Dr. Winfried Häuser hat dafür im Auftrag der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) auf Basis höchster methodischer Standards eine bezüglich der allgemeinen deutschen Bevölkerung repräsentative Studie durchgeführt sowie die publizierte Literatur über Daten und Fakten gesichtet.
Die neuen Analysen zeigen, dass etwa 23 Millionen Deutsche (28 Prozent) über chronische Schmerzen berichten, 95 Prozent davon über chronische Schmerzen, die nicht durch Tumorerkrankungen bedingt sind, fasst die Deutsche Schmerzgesellschaft in einer Mitteilung wichtige Ergebnisse der Studie zusammen.
"Die bisher geschätzten Prävalenzraten von 15 bis 25 Prozent sind daher sogar eher zu gering als zu groß", wird Tölle in der Mitteilung zitiert.
"Damit sehen sich die jahrelangen Bemühungen der Schmerzgesellschaft bestätigt, auf das Problem nachdringlich aufmerksam zu machen. Das Besondere der vorliegenden Arbeit ist, dass die bisherigen Experten-Schätzungen nunmehr durch repräsentative Daten für Deutschland bestätigt werden können", so Tölle. Dies sei eine gute Grundlage, um die konkrete Versorgung der deutschen Bevölkerung zu planen.
Das erhobene Datenmaterial erlaubt aber darüber hinaus auch eine differenziertere Beurteilung des Grades der Belastung durch chronischer Schmerzen. So liegt die Zahl der Patienten mit chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen mit starker Beeinträchtigung und assoziierten psychischen Beeinträchtigungen (Schmerzkrankheit) bei 2,2 Millionen Deutschen.
"Diese Zahlen zeigen: Eine abgestufte Versorgungsplanung ist nötiger denn je, denn für alle Schmerzpatienten muss eine für ihre persönliche Beeinträchtigung angemessene Versorgung vorgehalten werden. Hier müssen alle Akteure des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik an einem Strang ziehen", so Tölle.
Und: "Die Zufriedenheit mit der aktuellen Schmerztherapie ist bei einem Teil der Betroffenen gering: 24,2 Prozent der Menschen mit chronischen Schmerzen in einer Schmerzbehandlung sind (sehr) unzufrieden, hier gibt es noch viel Forschungs- aber auch Handlungsbedarf."
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie
- In der für die Bevölkerung in Deutschland repräsentativen Studie gaben rund 28 Prozent der Teilnehmer ständige oder häufig auftretende Schmerzen in den letzten drei Monaten an, 5 Prozent von diesen hatten gleichzeitig eine Krebserkrankung und wurden in den weiteren Analysen nicht weiter verfolgt.
- 19,5 Prozent der Teilnehmer hatten chronische, aber nicht beeinträchtigende Schmerzen. 7,4 Prozent der Teilnehmer erlebten diese Schmerzen als beeinträchtigend. Insgesamt 2,2 Prozent der Teilnehmer hatten zusätzlich zu den beeinträchtigenden Schmerzen noch eine vermehrte psychische Symptombelastung (Schmerzkrankheit).
In Zahlen: 22 Millionen der Deutschen erfüllen die Kriterien eines chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzes. Legt man die "Messlatte" der Beeinträchtigung durch die Schmerzen zugrunde, so erfüllen sechs Millionen Deutsche die Kriterien eines chronischen, nicht tumorbedingten, beeinträchtigenden Schmerzes und 2,2 Millionen sogar die Kriterien einer nicht tumorbedingten Schmerzkrankheit.
- Die Zufriedenheitswerte mit der aktuellen Schmerztherapie sind unzureichend: 24,2 Prozent der befragten Teilnehmer mit chronischen Schmerzen in einer Schmerzbehandlung waren (sehr) unzufrieden.
"Was wir brauchen, ist eine abgestufte Versorgung", so Tölle. Jeder müsse das erhalten, was es zur Behandlung seiner Beschwerden erfordert.
Für die 2,2 Millionen Deutsche mit chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen mit starker Beeinträchtigung bedeute das oft einen hohen Einsatz an Ressourcen mit multimodalen Behandlungskonzepten, hohem Personaleinsatz und einer Sicherstellung stabiler Behandlungsstrukturen. (eb)