Pharmadialog

Arzneireform abgesteckt

Der vor 18 Monaten gestartete Pharmadialog beschert wohl zahlreiche Änderungen in der Arzneimittelpolitik. Geplant ist: AMNOG wird aufgefrischt, die Forschung an neuen Antibiotika angekurbelt und eine Preisbremse für Medikamenten-Blockbuster eingeführt.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Bei Tabletten und anderen Arzneimittel sollen künftig "Mondpreise" vermieden werden.

Bei Tabletten und anderen Arzneimittel sollen künftig "Mondpreise" vermieden werden.

© Robert Kneschke / fotolia.com

BERLIN. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat erste Details einer geplanten Preisbremse für Medikamenten-Blockbuster bekanntgegeben.

Er könne mit einem Schwellenwert von 250 Millionen Euro Umsatz ab Markteinführung neuer Präparate in Deutschland gut leben, sagte Gröhe bei der Vorstellung der Ergebnisse des Pharmadialogs am Dienstag in Berlin.

Eine solche Schwelle soll noch in dieser Legislaturperiode in das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingezogen werden. Erreicht ein Medikament den angepeilten Wert, soll der Hersteller ab dann nur noch den mit den Kassen ausgehandelten Erstattungspreis verlangen dürfen.

Um die Höhe der Schwelle werde gerungen werden müssen, kündigte der Vorsitzende des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa), Dr. Hagen Pfundner, an.

Grundsätzlich gelte aber, dass die Industrie "null Interesse an einer Überforderung der sozialen Sicherungssysteme" habe. 90 Prozent ihres Geschäftsmodells laufe darüber, sagte Pfundner.

Antibiotikaresistenz-Strategie soll vorangetrieben werden

GBA und Arzneibehörden vereinbaren Kooperation

Als Resultat des Pharmadialogs haben der GBA, das BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut eine Zusammenarbeit bei Zulassung und Nutzenbewertung von Arzneimitteln vereinbart.

Das umfasst die Planung klinischer Studien und die dazu notwendige Beratung der Unternehmen. Geplant sind regelmäßige wechselseitige Hospitationen von Mitarbeitern, um unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen. (HL)

In den vergangenen 18 Monaten hatten das Gesundheits-, das Forschungs- und das Wirtschaftsministerium mit der Industrie und der Gewerkschaft IG BCE über den Pharmastandort Deutschland gesprochen.

Zu den Ergebnissen des Pharmadialogs haben die Arbeitsgruppen Gesundheit von Unions- und SPD-Fraktion ein Grundlagenpapier erarbeitet, das in Teilen weitergeht und auch für Ärzte von praktischer Bedeutung ist.

So soll die Ausschreibungsmöglichkeit von Impfstoffen gestrichen werden. Die Erstattungsmöglichkeit rezeptfreier Arzneien soll auf Jugendliche bis 18 Jahre und auf multimorbide ältere Patienten ausgedehnt werden. Die Importförderklausel soll einen Preisabstand von wenigstens 15 Prozent vorsehen.

Für neue Antibiotika und für Kinderarzneimittel soll - wie schon bei Orphan Drugs - bei der Nutzenbewertung von vornherein ein Zusatznutzen unterstellt werden. Analog zu Postzulassungsstudien sollen regelhaft spätere Nutzenbewertungen verpflichtend sein. Das betrifft vor allem Arzneimittel mit beschleunigter Zulassung.

Beteiligten betonen: Es geht weiter

Die offizielle Verkündung der Ergebnisse des Pharmadialogs (siehe die Reiter unten) soll nicht das Ende der Renovierungsarbeiten an den Beziehungen zwischen Regierung und Pharmaindustrie sein. "Abschluss bedeutet: Die Arbeit geht weiter", sagte Gesundheitsminister Gröhe.

Tatsächlich hat sich die große Koalition gegen Ende ihrer Laufzeit noch einmal ein strammes Arbeitspensum verordnet. "Wir gehen an die Architektur des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes ran", kündigte Gröhe an.

Konkret soll bis zum Sommer ein Referentenentwurf stehen. Die Agenda der Fachpolitiker in den Fraktionen ist somit um einen kniffligen Arbeitsschwerpunkt bereichert.

Im AMNOG, so plant es der Minister, sollen neue Antibiotika deutlich bessere Marktzugangschancen erhalten als zu den bisherigen Bedingungen. Anreize für eine Ankurbelung der Antibiotikaforschung will auch das Forschungsministerium schaffen.

Staatssekretär Dr. Georg Schütte kündigte eine Förderinitiative an. Standortförderung signalisierte auch das Wirtschaftsministerium, das dritte am Dialog beteiligte Ministerium.

Pharma müsse zielgerichtet forschen, in Deutschland herstellen und zu innovationsgerechten Preisen vermarkten dürfen, positionierte Staatssekretär Dr. Rainer Sontowski das Haus von Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Pharma: Markteintrittshürden müssen sich lohnen

Die Industrie will trotz eines Paradoxons mitziehen. "Wir sollen Verordner informieren, dass unsere Produkte möglichst nicht eingesetzt werden", sagte vfa-Vorstandsvorsitzender Dr. Hagen Pfundner.

Die Markteintrittshürden müssen nach Auffassung von Pfundner aber so gewählt werden, dass sich das für die Industrie auch lohne. Hier signalisierte der Minister Entgegenkommen.

Eine Antibiotikaresistenz-Strategie lasse sich nicht kostenneutral umsetzen, sagte Gröhe. Höhere Preise für neue Antibiotika seien gerechtfertigt, wenn dadurch Folgekosten wegfielen.

Die Politik rechnet mit weiteren Sprunginnovationen wie dem Hepatitis-C-Medikament Sovaldi®. Eine Umsatzschwelle soll neue "Mondpreis"-Risiken für die Kostenträger aushebeln.

Die Kassenseite sieht den angepeilten Schwellenwert und die Phase der freien Preisbildung mit Skepsis. "Die Kassen werden durch rabiates Durchdrücken von Preisen überlastet", sagte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorsitzender des GKV-Spitzenverband.

Die geplante Informationsoffensive zu den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung bei Ärzten nannte von Stackelberg "hoch sinnvoll".

Reaktionen: KBV sieht Chance, Kassen eher skeptisch

"Wir begrüßen es, dass die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen eine so große Rolle im Pharmadialog spielt." Mit diesen Worten reagierte der Vorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, auf die Ergebnisse des zwei Jahre währenden Dialogs.

Auch die KBV werde das wichtige Anliegen unterstützen. Es werde ein Projekt zur rationalen Antibiotikatherapie vorbereitet, das mit einem großen Kassenverband und elf KVen geplant ist.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft begrüßte die Pläne für eine sichere Versorgung mit Antibiotika. Wesentlich sei dabei auch eine Verpflichtung der Industrie, frühzeitig über drohende Lieferengpässe zu informieren.

Ferner sei es von "immenser Bedeutung", dass bei innovativen Arzneimitteln deren Bezahlbarkeit gesichert sei. Mit 3,8 Milliarden Euro seien Arzneimittel ein großer Kostenblock für Krankenhäuser.

"Sehr stattlich" oder "dürftig"?

"Als sehr stattlich" sieht die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk, die Dialogergebnisse. Die Oppositionsparteien im Bundestag werten sie hingegen als "dürftig".

Die Sicherstellung der Versorgung mit Impfstoffen und die Forschung armutsassoziierter Erkrankungen werde gar nicht angegangen, so Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft der Grünen. Die geplante Vertraulichkeit der Rabatte sei eine bittere Pille für Patientenorientierung.

"Die Ergebnisse lesen sich wie der Wunschzettel der Industrie, Versicherte und Steuerzahler müssen den Gabentisch bezahlen", so die gesundheitspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Kathrin Vogler.

Umsatzschwellen würden das Problem der Mondpreise nicht lösen. Nachgedacht werden müsse über staatliche Preisfestsetzung und Zwangslizenzen.

Umsatzschwelle nur "Placebo"?

Zu einem differenzierten Urteil kommt der Verband der Ersatzkassen (vdek). Positiv sei, dass Ärzte besser über den Nutzen neuer Medikamente informiert werden sollen, so die vdek-Vorsitzende Ulrike Elsner.

Nutzenbewertungen müssten daher in die Praxissoftware übernommen werden. Bei Vertraulichkeit der Rabatte könnten Ärzte allerdings keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vornehmen, weil ihnen die Transparenz fehle.

In die richtige Richtung gehe die Umsatzbegrenzung. Man brauche aber auch Maßnahmen gegen die Hochpreispolitik der Industrie.

Dafür plädiert auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. "Wir brauchen dringend einen Preisanker." Ob die Idee einer Umsatzschwelle mehr als ein Placebo sei, werde vom konkreten Begrenzungswert abhängen.

Nutzenbewertung und Erstattungsbetrag

Das AMNOG wird modifiziert und flexibilisiert. Mit einer Umsatzgrenze für hochpreisige Blockbuster wird das Ausgabenrisiko für Krankenkassen begrenzt. Im einzelnen haben die Dialogpartner folgende Punkte vereinbart:

- Der rabattierte Erstattungsbetrag soll künftig ausschließlich denjenigen Institutionen des deutschen Gesundheitswesens zur Verfügung gestellt werden, die ihn zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben benötigen. Mit dieser Vertraulichkeit sollen Kellertreppeneffekte aufgrund der Signalwirkung deutscher Preise für das Ausland vermieden werden.

- Es bleibt bei der freien Preisbildung im ersten Jahr. Das Gesundheitsministerium erarbeitet jedoch einen Vorschlag, um wirtschaftliche Interessen von Herstellern und Krankenkassen auszugleichen. Dazu wird eine Umsatzschwelle eingeführt, bei deren Überschreiten der Erstattungsbetrag bereits vor Ablauf der Jahresfrist gelten soll.

- GBA und Zulassungsbehörden vereinbaren eine wechselseitige Beteiligung an Beratungsgesprächen mit der Industrie in Fragen der Zulassung und der Nutzenbewertung.

- Das Gesundheitsministerium erarbeitet einen Vorschlag, der es dem GBA ermöglicht, auch für Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen eine Nutzenbewertung einzuleiten. Das soll dann gelten, wenn ein bereits bekannter Wirkstoff mit einer neuen Zulassung einen neuen Unterlagenschutz bekommt.

- Die Schiedsstelle erhält für die Festlegung des Erstattungsbetrags mehr Flexibilität. Relevant ist dies, wenn kein Zusatznutzen zu einer generischen Vergleichstherapie anerkannt wurde.

- Für den Fall, dass ein Unternehmen kein oder ein unvollständiges Dossier vorlegt, werden Sanktionen eingeführt.

- Das Gesundheitsministerium wird mit den Dialogpartnern ein Konzept für ein Arztinformationssystem entwickeln, um den gezielten Einsatz von Innovationen zu verbessern.

- Die Verordnung von Biosimilars soll über Zielvereinbarungen der KV gefördert werden. (HL)

Strategie gegen Antibiotikaresistenzen

Politik, Arzneibehörden und Industrie wollen bei der Antibiotika-Strategie eng kooperieren. Die Ärzteschaft soll dabei eingebunden werden.

Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen - 25.000 Todesopfer in Europa, schätzungsweise 700.000 weltweit - haben Politik und Pharma-Industrie folgende Schritte vereinbart:

- Das Forschungsministerium fördert weiterhin die Antibiotikaforschung und will seinen Einsatz in der Förderung neuartiger Therapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen ausbauen.

- Das Gesundheitsministerium stellt mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Bundesärztekammer und der KBV gezielt Informationen für Ärzte und Patienten bereit, um den Einsatz von Antibiotika zu steuern und die Entstehung von Resistenzen zu verringern. Die Industrie unterstützt dies.

- Die Industrie prüft, inwieweit ein freiwilliges Engagement der Firmen bei der Erstellung von wichtigen Leitlinien über einen Fonds möglich ist, aus dem aufwendige Literaturrecherchen für Leitlinien unterstützt werden. Inhalt und Verantwortung bleiben bei den Fachgesellschaften.

- Um einen zielgenauen Einsatz von Antibiotika zu fördern, wird das Gesundheitsministerium die Regelungen zu Erstattung von diagnostischen Verfahren verbessern. Die Industrie wird die Entwicklung von Schnelltests vorantreiben.

- Das Gesundheitsministerium wird eine Studie in Auftrag geben, die Ursachen für regional unterschiedliche Antibiotikaverordnungen zu untersuchen.

- Das Gesundheitsministerium schafft eine Regelung, mit der die jeweils spezifische Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung durch den Bundesausschuss besser berücksichtigt werden kann.

- Bei der Bildung von Festbetragsgruppen für Antibiotika soll der Bundesausschuss die Resistenzsituation und Resistententwicklung berücksichtigen und die Möglichkeit haben, Reserveantibiotika von einer Eingruppierung freizustellen. (HL)

Versorgungssicherheit

Defiziten bei der Versorgung von Kindern mit Arzneimitteln sowie Lieferengpässen wollen die Dialogpartner entgegenwirken.

- Das Gesundheitsministerium sagt eine Prüfung zu, wie bei der Nutzenbewertung den Besonderheiten von Kinderarzneimitteln Rechnung getragen werden kann, ohne dass auf den Nachweis des Zusatznutzens gänzlich verzichtet wird.

- Zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Impfstoffen soll das Paul-Ehrlich-Institut über Anzahl und Größe von in Deutschland freigegebenen Impfstoff-Chargen informieren können.

- Arzneibehörden und Fachkreise richten einen Jour Fixe zur Beobachtung der Versorgungslage ein.

- Die Dialogpartner wollen sich in Verhandlungen mit Krankenkassen dafür einsetzen, um die Liefersicherheit im Rahmen der Rabattverträge beispielsweise durch Mehrfachvergabe zu stärken.

- Der Innovationsfonds des GBA wird einen Förderschwerpunkt zur Arzneimitteltherapiesicherheit unterstützen. (HL)

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