EU-Pläne
Arzneistudien bald ohne Ethikkommission?
Ärzte schlagen Alarm. Die Europäische Union plant Erleichterungen bei der Zulassung klinischer Studien. Die Ethik komme dabei zu kurz, finden Ärzte und Politiker. In den EU-Plänen gibt es aber auch gute Seiten.
Veröffentlicht:BERLIN. Ein Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission sorgt für Unruhe unter Ärzten in Deutschland. Er verzichtet auf die Pflicht, klinische Arzneimittelstudien einer Ethikkommission vorzulegen.
Die Schutzbestimmungen für Studien mit Kindern und Jugendlichen sowie Nichteinwilligungsfähigen sollen gesenkt werden. Zudem könnten die Einspruchsrechte der Mitgliedsstaaten bei der Nutzen-Risiko-Bewertung von Studien beschnitten werden.
Eine EU-Verordnung ist unmittelbar rechtswirksam. Richtlinien sind dies erst, wenn sie von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht überführt werden.
Der umstrittene Verordnungsentwurf gibt im Gegensatz zur bisherigen Richtlinie nicht mehr vor, dass zum Schutz von Patienten und Probanden vor Beginn einer klinischen Prüfung das Votum einer Ethikkommission einzuholen ist.
Schutzvorschriften für Minderjährige setze der Entwurf de facto außer Kraft, warnt der Marburger Bund. Die Kommission wolle die Verfahren einfacher, schneller und kostengünstiger machen.
BÄK für Konsultationsfrist
"Dabei öffnet sie der fremdnützigen Forschung am Menschen Tür und Tor", sagt MB-Chef Rudolf Henke.
Damit ist gemeint, dass Forschungsergebnisse nicht nur betroffenen Patientengruppen dienen, sondern auch in ursprünglich nicht vorgesehenen Feldern wirtschaftlich verwertet werden.
Die Bundesärztekammer sieht die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland beschnitten, würde der Entwurf umgesetzt. Die Nutzen-Risiko-Bewertung für Studien soll künftig jeweils ein Mitgliedsstaat federführend übernehmen.
Damit würden die Einspruchsrechte derjenigen Staaten ausgehebelt, die die Studie bei sich ebenfalls durchführen wollten.
Das wiederum würde den Einfluss der Bundesärztekammer schmälern, weshalb sie eine Konsultationsfrist fordert, vor deren Ablauf der berichterstattende Mitgliedsstaat nicht entscheiden dürfe.
Sowohl der MB als auch die BÄK haben an den Bundestag appelliert, auf die Beibehaltung der Ethikkommissionen und die Einführung von Öffnungsklauseln für abweichende Schutzbestimmungen für Patienten in den Mitgliedsstaaten zu drängen.
Am Mittwoch berät der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages die Vorschläge aus Brüssel in nicht öffentlicher Sitzung.
Grüne wollen Bündnis schmieden
Für die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Birgitt Bender, ist der Verordnungsentwurf ein Zeichen dafür, dass die "Pharmalobbyisten auf europäischer Ebene erfolgreich" zugeschlagen hätten.
Die Vorhaben seien ein Rückfall ins forschungspolitische Mittelalter. Nicht der Nutzen für die Patienten und Probanden stehe im Vordergrund, sondern die Fremdnützigkeit.
Die Grünen wollten im Ausschuss ein interfraktionelles Bündnis schmieden, das die Regierung auffordern solle, in Brüssel auf "fundamentale Änderungen" an dem Entwurf hinzuwirken, sagte Bender.
Es gebe auch Verbesserungen im Verordnungsentwurf, die er retten wolle, sagte hingegen der CDU-Politiker Dr. Peter Liese, der für die Europäische Volkspartei im Europaparlament sitzt.
Dies seien Erleichterungen für die akademische Forschung und die Pflicht, alle Studien zu registrieren, deren Ergebnisse die Hersteller von Arzneimitteln in der EU verwerten wollten.
Damit werde die Praxis erschwert, dass Hersteller Studien in Schwellenländern auflegten, deren Patientenpopulationen solange verändert würden, bis die gewünschten Ergebnisse einträfen.
Die nicht erwünschten Ergebnisse würden allerdings nicht publiziert. Die Kommission habe generell den Fehler gemacht, die Verordnung als industriefreundlich zu kommunizieren. Forschung am Menschen könne aber keine Industriepolitik sein.