Brexit
Ausländische Ärzte und Pflegekräfte stark verunsichert
Bei der British Medical Association und der Gewerkschaft der Pflegekräfte häufen sich die Nachfragen von Mitgliedern aus dem EU-Ausland, welche Folgen der Brexit für sie hat.
Veröffentlicht:LONDON. Rund fünf Wochen ist es her, dass die Briten mehrheitlich für einen Austritt aus der EU votierten. Die Entscheidung wird zwar nach übereinstimmender Meinung aller Experten gravierende Folgen auch für das britische Gesundheitswesen haben.
Was der Brexit allerdings genau für die britischen Arztpraxen, Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen bedeutet, ist derzeit noch unklar. Dennoch gibt es bereits erste Zeichen, wie sich das britische Gesundheitssystem, die Patientenversorgung, die Arbeitsbedingungen für Ärzte und andere Gesundheitsberufe und auch für die Arzneimittelindustrie post Brexit verändern könnten.
Große Verunsicherung in Arztpraxen
Seit dem historischen Abstimmungstag am 23. Juni ist eines bereits deutlich festzustellen: in britischen Arztpraxen und Kliniken herrscht große Unsicherheit. Unsicherheit darüber, was ein EU-Ausstieg praktisch bedeuten wird.
Da sind zum einen tausende Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger und anderes Gesundheitspersonal, das aus Deutschland und aus anderen EU-Ländern nach Großbritannien kam, um im staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) zu arbeiten.
Viele ausländische Ärzte sowie Praxis- und Klinikpersonal sind verunsichert. "Ich weiß nicht, was jetzt aus mir werden soll. Muss ich bald das Land verlassen? Oder brauche ich eine Aufenthaltsgenehmigung, um hier zu bleiben?"
Die französische Krankenschwester Christine Duchet, die seit mehr als zehn Jahren im NHS arbeitet und nach eigenen Angaben "sehr glücklich" mit ihrem Leben auf der Insel ist, denkt inzwischen ernsthaft darüber nach, Großbritannien zu verlassen.
Gewerkschaften: Viele Anfragen zu Brexit-Folgen
Kein Einzelfall: Laut britischer Pflegergewerkschaft (Royal College of Nursing, RCN) haben sich seit dem Brexit-Votum die Anfragen von besorgtem Pflegepersonal gehäuft, ob der NHS-Arbeitsplatz noch sicher sei. Das RCN ist sich gewiss, dass sich "kurzfristig gar nichts ändern" werde.
Allerdings hänge vieles von den bevorstehenden Verhandlungen ab, die London mit Brüssel führe, um die Details des EU-Rückzugs festzulegen. "Da müssen wir abwarten, was kommt, und das führt zu großen Unsicherheiten", so ein RCN-Sprecher in London.
Für nicht-britische EU-Ärzte gibt es ebenfalls gehörige Unsicherheiten und Fragen – was wird sich zukünftig ändern? "Wir haben seit dem 23. Juni einen deutlichen Anstieg von besorgten Anfragen unserer Mitglieder verzeichnet, was der Brexit für die Praxen bedeuten wird", so ein Sprecher des größten britischen Ärzteverbandes (British Medical Association, BMA).
Verweis auf anstehende Verhandlungen
Die BMA weiter: "Wir können da nur darauf hinweisen, dass die Details erst noch zwischen London und Brüssel ausgehandelt werden müssen." Das freilich kann dauern: derzeit sieht es nicht so aus, als ob die neue britische Premierministerin Theresa May eilig das EU-Scheidungsverfahren nach Artikel 50 einleiten wird.
Ökonomen glauben, dass ein Brexit sehr negative Folgen für die britische Wirtschaft bringen werde. Was wiederum zu verringerten Gesundheitsausgaben führen dürfte. Auch das sorgt Ärzte und Patienten.
Vor wenigen Tagen schockte das Londoner Gesundheitsministerium mit der Ankündigung, im laufenden Haushaltsjahr umgerechnet rund 1,9 Milliarden Euro einsparen zu müssen – hauptsächlich im stationären Sektor. "Das Geld wird knapper werden", so der Londoner Klinikarzt Dr. Al Teague. "Das ist immer schlecht für die Patientenversorgung."
Immerhin gibt es auch Lichtblicke in diesen ungewissen Zeiten: Während die Europäische Arzneimittelbehörde EMA mit ihren rund 900 Mitarbeitern mittelfristig aus London wegziehen dürfte, gab das Pharmaunternehmen Novartis bekannt, dass man trotz Brexit weiter in Großbritannien investieren werde: "Großbritannien ist ein wichtiger Markt."