Interview

BDI-Präsidentin: Uns werden beim Corona-Impfen Steine in den Weg gelegt

Impfende Tierärzte und Apotheker? Für BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck ist das ein Ablenkungsmanöver der Politik. Es mangele nicht an impfwilligen Praxen: Das Problem in der aktuellen Corona-Impfkampagne ist das Organisationschaos.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Corona-Impfen in der Apotheke? Laut BDI-Präsidentin Neumann-Grutzeck ist das ein Ablenkungsmanöver der Politik vom Organisationschaos.

Corona-Impfen in der Apotheke? Laut BDI-Präsidentin Neumann-Grutzeck ist das ein Ablenkungsmanöver der Politik vom Organisationschaos.

© David Inderlied / dpa / picture alliance

Ärzte Zeitung: Frau Neumann-Grutzeck, die Bundesregierung hat das Ziel ausgerufen, bis Ende des Jahres noch einmal 30 Millionen Corona-Impfungen – inklusive Booster-Impfungen – schaffen zu wollen. Wie nehmen Sie als Ärztin, die mitten im Impfgeschehen steckt, die zugehörige Impfkampagne wahr?

Christine Neumann-Grutzeck: Wir wollen das gerne mit aller Kraft unterstützen. Wir sehen aber an ganz vielen Stellen, dass uns beim Impfen immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. Was mir fehlt, ist eine wirklich gute Kommunikation – mit den Praxen; mit den Menschen, die das vor Ort umsetzen.

Christine Neumann-Grutzeck, Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Internisten

Christine Neumann-Grutzeck, Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Internisten

© privat

Bleiben wir bei den Stolpersteinen: Kann man denn als Ärztin, die mit impft, die Diskussionen um Rationierungen des Impfstoffes überhaupt noch ertragen?

Das ist das ganz, ganz große Problem. Offenbar weiß die Politik nicht, welch enormer Aufwand in den Praxen entsteht, wenn man seine Impfstoffmengen bestellt und dementsprechend auch die Patientinnen und Patienten für die Folgewoche einbestellt. Und dann heißt es plötzlich kurz vor Ende der Vor-Impfwoche: Ach nee, jetzt bekommt ihr den Impfstoff doch nicht. Und wir müssen wieder alles umorganisieren. Das Grundproblem bei der Corona-Impfung, die wir wirklich gerne unseren Patienten zukommen lassen, ist immer wieder dasselbe: das umständliche System der Bestellung und die absolute Unzuverlässigkeit der zugeteilten Impfstoffmengen.

Also ja, zu einem Zeitpunkt, zu dem man plant, 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten durchzuführen, sind solche Rationierungsdiskussionen kaum noch zu ertragen.

Wird mit solchen Impfstoff-Diskussionen nicht auch viel Vertrauen zerstört? Oder anders gefragt: Wiederholt sich hier jetzt der AstraZeneca-Effekt?

Da haben Sie völlig recht. Wir haben ja mit Comirnaty® von BioNTech/Pfizer und Spikevax® von Moderna zwei sehr gute mRNA-Impfstoffe, die jetzt zum Boostern geeignet sind. Durch die Tatsache, dass nun aber öffentlich gesagt wird, ihr bekommt weniger BioNTech und müsst Moderna nehmen, erscheint es für die Patientinnen und Patienten so, als würden sie jetzt den schlechteren Impfstoff erhalten. Weil man den ja anscheinend an den Mann bringen muss.

Wir wissen alle, wie viel Vertrauen in die Impfkampagne die Diskussion um die AstraZeneca-Vakzine im vergangenen Jahr gekostet hat – das hängt uns ja immer noch nach. Man hätte eine viel bessere Kommunikation an dieser Stelle wählen können. Man hätte etwa darstellen können, dass es vielleicht sogar vorteilhaft ist, wenn man primär mit BioNTech geimpft worden ist und dann mit Moderna auffrischt. Die Daten gibt es ja.

Ich habe letzte Woche einen Patienten gehabt, der auf die Impf-Aufklärungsbögen mit der Hand dazugeschrieben hat, „ich nehme aber nur BioNTech“. Dieser Patient weiß wahrscheinlich gar nicht, warum er das gemacht hat. Eine solche Unsicherheit hätten wir uns ersparen können, wenn man das ein bisschen klüger kommuniziert hätte.

Christine Neumann-Grutzeck

  • Berufspolitik: seit September 2020 Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Internistinnen und Internisten e.V. (BDI), zuvor bereits Mitglied im BDI-Vorstand und ab Mai 2019 1. BDI-Vizepräsidentin, seit März 2018 zudem 2. Vorsitzende des Marburger Bund e.V. Landesverband Hamburg
  • Ausbildung/Weiterbildung: Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität zu Lübeck und Universität Hamburg, seit 2009 Fachärztin für Innere Medizin, 2017 Diabetologin DDG; 2018 Zusatzbezeichnung Diabetologie Ärztekammer Hamburg
  • Aktuell tätig in der Diabetologischen Schwerpunktpraxis Hamburg Harburg

Themenwechsel: Gerade erst haben Bundestag und -rat für Beschäftigte in Gesundheitseinrichtungen, also auch in Praxen und Kliniken, eine Corona-Impfpflicht beschlossen. Wie werten Sie diesen Schritt, auch als Verband?

Das Tragische ist, dass wir das überhaupt brauchen. Wer in diesen Berufen arbeitet und sich in den verschiedenen Einrichtungen auch um gefährdete Patientinnen und Patienten kümmert, sollte sich von sich aus impfen lassen. Das gehört einfach dazu. Ich bin traurig, dass wir diesen Schritt brauchen, aber es scheint doch zu viel Personal zu geben, dass sich nicht hat impfen lassen. Insofern haben wir uns im BDI nach langer Diskussion entschlossen, die Impfpflicht zu unterstützen. Weil wir die Sicherheit der Bevölkerung im Vordergrund sehen.

Mit dem Impfpräventionsgesetz wurde ja nicht nur die Impfpflicht eingeführt. Zumindest übergangsweise sollen nun auch Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte in die Impfkampagne einbezogen werden. Was halten Sie davon?

Ich halte es eher für eine Scheindiskussion, die da aufgemacht wurde und ein Ablenken von dem Organisationschaos. Es scheitert ja nicht daran, dass es nicht genügend impfbereite Ärzte gibt, sondern es scheitert an ganz vielen Stellen an genau diesem Organisationschaos, dazu gehört auch das Rationieren von Impfstoffen.

Wie zielführend soll das sein, wenn wir es im Moment nicht einmal schaffen, die Praxen ordnungsgemäß und ausreichend mit dem Impfstoff, den sie bestellt haben, zu versorgen, parallel dazu aber sagen, wir bauen jetzt noch verschiedene neue Stellen auf, an denen geimpft werden soll. Wir sollten erst einmal dafür sorgen, dass die, die impfen können und hier wirklich viel Erfahrung mitbringen, mit Impfstoff versorgt werden, anstatt den knappen Impfstoff auf mehr Stellen zu verteilen, mit der Gefahr, dass vielleicht überall Reste liegen bleiben.

Zum anderen sollte derjenige, der impft, auch mit möglichen Impfkomplikationen klarkommen. In der Apotheke kann ich mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Auch ein Thema ist ja die Ausweitung der Impfung auf die Kinder. Wie sehen Sie das, macht das Sinn, oder sollten wir uns nicht erst einmal auf die Erwachsenen fokussieren?

Ich bin keine Kinder- und Jugendärztin, deshalb würde ich mich bei der Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Impfung für Kinder und Jugendliche ein stückweit zurückhalten.

Was ich aber sehe, ist, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie viel gelitten haben. Sie mussten eine ganze Menge aushalten – auch um die Älteren zu schützen. Wenn also die Impfung in den jüngeren Altersgruppen nur stattfinden muss, weil die Älteren sich nicht ausreichend haben impfen lassen, dann finde ich das hoch problematisch. Das vorrangige Ziel sollte sein, dass alle Erwachsenen sich impfen lassen. Und man dann schaut, ob es noch notwendig ist, Kinder und Jugendliche zu impfen.

Anders sieht es aus, wenn es zum Schutz der Kinder ist. Die STIKO empfiehlt die Impfung der Fünf- bis Elfjährigen ja dann, wenn Vorerkrankungen vorliegen.

Das Gespräch zum Anhören

„Es scheitert ja nicht daran, dass es nicht genügend impfbereite Ärzte gibt“, sagt BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck im „ÄrzteTag“-Podcast, „sondern es scheitert an ganz vielen Stellen am Organisationschaos.“

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Für viel Unmut in den Praxen hatte auch die tägliche Corona-Testpflicht aus dem Infektionsschutzgesetz gesorgt. Diese hat der Bundestag nun wieder abgeschwächt. Wie fern ist Politik mit solchen Regelungen vom Praxisalltag?

Völlig. Da sind wir wieder beim Thema vom Anfang unseres Gesprächs. Ich glaube, die politischen Entscheider wissen gar nicht, was man in einer Arztpraxis den ganzen Tag macht. Und auch nicht, dass wir nach nunmehr fast zwei Jahren Pandemie alle am Limit dessen sind, was man noch leisten kann – und das betrifft das gesamte Team. Wenn man dann vom einen auf den anderen Tag hört, morgen früh müssen alle getestet werden – und das auch noch zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade die Tests ausgehen und es schwierig wird, das notwendige Material zu besorgen – beschleicht einen schon das Gefühl, hier wurde etwas aus dem Elfenbeinturm heraus entschieden.

Das ist einfach so fern von der Realität. Zumal offensichtlich auch niemand den Zeitaufwand im Blick hatte, den es braucht, um morgens ein komplettes Team durchzutesten. Das empfinde ich als mangelnde Wertschätzung gegenüber dem, was in den Praxen geleistet wird.

Damit haben Sie das nächste Stichwort gegeben: mangelnde Wertschätzung. Wir haben in der Pandemie immer wieder gehört, wie belastet die Pflege ist. Die MFA liefen dabei gefühlt immer unter dem Radar der Öffentlichkeit und der Politik. Warum ist das so. Und wäre eine Corona-Prämie nun das richtige Signal?

Ja, wenn ich das wüsste. Die meisten Corona-Patienten sind ja ambulant versorgt worden. Die Abstriche sind in den Praxen gemacht worden. Im letzten Jahr hatten wir in den Praxen keine Masken, keine Schutzausrüstung. Das ist anscheinend alles vergessen worden.

Wir haben ganz unbestritten eine hohe Belastung für das Pflegepersonal. Das möchte ich mitnichten runterreden. Aber wir haben durch die Bank auch eine extrem hohe Belastung der MFA. Die wirklich alles mitgemacht haben. Die jetzt auch außerhalb der normalen Öffnungszeiten Impfungen durchführen. Es tut einem richtig weh, dass das nicht wahrgenommen wird. Ein Corona-Bonus für die MFA wäre wichtig. Natürlich ersetzt so eine Prämie nicht Lebenszeit und kann auch nicht alles ausgleichen, aber es wäre wirklich ein wertvolles Zeichen.. Ich glaube, da sind sich auch alle niedergelassenen Ärzte aus allen Bereichen einig.

Nun haben wir ja einen neuen Gesundheitsminister. Was sollte dieser denn aus Ihrer Sicht in Sachen Corona-Impfkampagne besser bzw. ander s machen?

Wichtig wäre eine gute Kommunikation in die Öffentlichkeit hinein, die uns das Leben in den Praxen nicht schwerer, sondern leichter macht. Und als zweites: eine zuverlässige Organisation rund um die Impfstoffe.

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