Griechenland

Belastender Arbeitsalltag im Krisen-Land

Die Krise in Griechenland hat die Arbeitsbedingungen vieler Ärzte extrem verschlechtert. Mit der "Ärzte Zeitung" sprechen vier von ihnen über ihren Alltag.

Veröffentlicht:

ATHEN. Nicht nur das Gesundheitssystem, auch viele Ärzte stehen nach fünf Jahren der Krise und sich stetig verschlechternder Arbeitsbedingungen vor dem Zusammenbruch.

Wegen ausstehender Zahlungen des nationalen Trägers für Gesundheitsleistungen EOPYY in Höhe von insgesamt rund 40 Millionen Euro treten die Kassenärzte diese Woche in einen Teil-Ausstand: Sie behandeln Patienten nur noch gegen Bargeld.

"Die Panhellenic Medical Association macht sich große Sorgen um das griechische Gesundheitssystem", sagte deren Vertreter Dr. Charalambos Koulas im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Die Reaktion der Ärzte könne man jedoch verstehen. Am Mittwoch werde ein Treffen der griechischen Ärztekammer und des Gesundheitsministeriums stattfinden, "bei dem die Problemsituation und mögliche Lösungen diskutiert werden".

Patienten-Schlangen

Jedoch haben sich nicht nur die Arbeitsbedingungen der rund 8000 Kassenärzte im Land verschlechtert.

Die Folgen der Krise lassen sich in allen Bereichen des Gesundheitssektors finden - insbesondere aber in staatlichen Kliniken, wo sich das Patientenaufkommen aufgrund finanzieller Nöte der Patienten extrem gesteigert hat.

"Die Patienten bilden Schlangen, und das ärztliche, pflegerische und technische Personal arbeitet an der Grenze zum Burnout", erzählte Dr. Boris Treptow im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Er war an mehreren staatlichen Kliniken in Athen beschäftigt. Heute ist Treptow Oberarzt im Uniklinikum auf Kreta - und spürt für sich eine Verbesserung der Lage. "Da wir zusätzlich finanzielle Unterstützung der Universitäten erhalten, nehmen wir eine Art Sonderstellung ein", erklärt Kollege Dr. Konstantinos Nastos vom Uniklinikum Athen.

Da Studenten in der Klinik lernen sollen, müsse der Staat darauf achten, dass die Bedingungen nicht zu schlecht werden.

Krise trifft auch Privatsektor

Dr. Emmanouil Sevastiadis, Chirurg in einer großen Athener Privatklinik, kennt die Probleme - allerdings von Kollegen, nicht direkt aus dem eigenen Alltag.

Der Privatsektor sei zwar durchaus von der Krise betroffen - Medien berichten von Einnahmeneinbußen von bis zu 70 Prozent -, doch verteile sich das unterschiedlich: In seiner Klinik, einer der drei größten Privatkliniken der Hauptstadt, seien nach wie vor ausreichend wohlhabende Patienten vorhanden.

Rund zehn Kilometer südwestlich von Sevastiadis' Klinik ist Dr. Bettina Krumbholz tätig. Ihr Alltag ist trotz der nahen Distanz eine andere Welt: Als ehrenamtlich arbeitende Ärztin versorgt sie in der Klinik von Ärzte der Welt seit ihrer Kündigungaus dem staatlichen Gesundheitssystem unversicherte Griechen.

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erzählen die vier Ärzte, wie ihr Arbeitsalltag aussieht - und zeigen damit, wie unterschiedlich die Krise verschiedene Bereiche des Gesundheitssystems getroffen hat. (jk)

Dr. Nastos: Betten in Uniklinik stehen leer, weil Personal fehlt

Dr. Konstantinos Nastos, Chirurg in der Universitätsklinik Athen.

Dr. Konstantinos Nastos, Chirurg in der Universitätsklinik Athen.

© Kötter

Als Uniklinik nehmen wir eine Art Sonderstellung ein: Wir sind zwar ein staatliches Krankenhaus, weil wir aber zusätzlich von der Universität getragen werden, geht es uns besser als vielen rein staatlichen Häusern. Außerdem sind wir auf Chirurgie spezialisiert, sodass der Patientenandrang vergleichsweise gering ist.

Nichtsdestotrotz ist die Krise deutlich spürbar: Von den 80 Betten des Hauses sind nur 45 belegt, da das Pflegepersonal fehlt. Auf einer Station sind zwei Krankenschwestern für den gesamten Gang zuständig, in der Nachtschicht ist sogar eine Kollegin allein. Vor fünf Jahren waren wenigstens noch 70 Betten belegt, doch seither hat das stetig abgenommen. Auch in einem völlig neuen, von einem Patienten gespendeten Flügel könnten wir zusätzliche Patienten behandeln - doch das gesamte Nebengebäude steht seit drei Jahren leer, mitsamt der nagelneuen Ausrüstung.

Bei manchen Operationen besteht eine Wartezeit von drei Monaten. Da müssen wir versuchen zu priorisieren und dringenden Fällen den Vorrang zu geben.

Wie die rein staatlichen Kliniken auch haben wir mit Engpässen in der Materialversorgung zu kämpfen, vor allem Einweg-Produkte wie Handschuhe fehlen häufig. Auch das sorgt dafür, dass wir wiederum weniger Patienten behandeln können, wenn die Arbeitszeit etwa ein Vielfaches beträgt, weil Klammernahtgeräte fehlen.

Letztlich wird aber darauf geachtet, dass die Lage nicht zu dramatisch wird - immerhin kommen Studenten her, um zu lernen.

Ich habe früher wesentlich mehr verdient. Mein Gehalt liegt aktuell bei 900 Euro plus rund 400 Euro für Schichtdienste. Offiziell habe ich eine 40-Stunden-Woche - inklusive der Schichtdienste sind es aber mindestens 67 Stunden.

Dr. Konstantinos Nastos ist Chirurg in der Universitätsklinik Athen.

Dr. Sevastiadis: Preise in Privatklinik sind extrem hoch

Dr. Emmanouil Sevastiadis, Chirurg in der Athener Privatklinik HYGEIA.

Dr. Emmanouil Sevastiadis, Chirurg in der Athener Privatklinik HYGEIA.

© Kötter

Ich behandele am Tag etwa acht Patienten in der Klinik, am Nachmittag noch einmal zwei bis drei Patienten in meiner Privatpraxis. Als Chirurg kann es aber auch sein, dass ich 20 bis 30 Patienten am Tag behandele, je nachdem, was in der Ambulanz aufläuft.

Mit Arzneimittellieferungen oder fehlenden Materialien haben wir keine Probleme. Ich kenne allerdings die Berichte von Kollegen, die davon betroffen sind.

Überhaupt hat uns die Krise alle sehr unterschiedlich hart getroffen - auch im privaten Sektor. Einige kleinere Kliniken oder Fachärzte haben bis zu 40 Prozent ihrer Einnahmen verloren, weil es sich viele Patienten nicht mehr leisten können, den Arztbesuch zu zahlen. In manchen Praxen sollen die Einbußen laut Medienberichten bis zu 70 Prozent betragen haben. Da ich in einer sehr großen Privatklinik arbeite, deren Patienten nach wie vor über ausreichend finanzielle Möglichkeiten verfügen, ist es hier nicht so schlimm. Im Gegenteil, wir konnten unsere Patientenzahlen noch steigern.

Neben der Anstellung in der Klinik eine eigene Praxis zu haben, ist unter Kollegen im privatärztlichen Sektor weit verbreitet. Auch, weil wir in der Praxis Patienten rekrutieren, die wir mit in die Klinik bringen: Die Arzt-Patienten-Bindung ist hier sehr wichtig.

Die Preise für eine privatärztliche Behandlung sind in der Klinik, in der ich tätig bin, außerordentlich hoch - höher als für vergleichbare Eingriffe in Deutschland. Warum das so ist, weiß ich nicht. Doch auch die Policen für die private Zusatzversicherung sind höher.

Mein Klinikgehalt ist nicht höher, es liegt bei 1200 Euro netto; mit vier bis fünf Nachtdiensten komme ich auf 1500 Euro. Allerdings sind die Honorare aus der Behandlung der Privatpatienten - sofern man welche hat - höher als in Deutschland.

Dr. Emmanouil Sevastiadis ist Chirurg in einer großen Athener Privatklinik.

Dr. Treptow: Dienstpläne im staatlichen Krankenhaus nicht gefüllt

Dr. Boris Treptow ist Oberarzt in der Chirurgie am Uniklinikum Kreta.

Dr. Boris Treptow ist Oberarzt in der Chirurgie am Uniklinikum Kreta.

© Kötter

Bis vor meinem Antritt als Oberarzt in der Chirurgie am Uniklinikum Heraklion auf Kreta im vergangenen Jahr war ich über Jahre, ebenfalls als Oberarzt, an mehreren staatlichen Krankenhäusern in Athen tätig - und kenne die Abläufe daher sehr genau.

Zuletzt standen mir an einem staatlichen Großkrankenhaus in Athen bei Not-Operationen häufig keine laparoskopischen Instrumente zur Verfügung, Klammernahtgeräte fehlten regelmäßig. Heute arbeiten viele Kliniken immer öfter ganz ohne Assistenzärzte, die Dienstpläne können nicht vollständig ausgefüllt werden.

Nach dem Ausbruch der Krise gab es tiefe Einschnitte: Krankenhäuser wurden geschlossen, Gehälter mehrmals gekürzt, für scheidendes Personal durfte kein Ersatz eingestellt werden. Seit 2010 habe ich zweimal die durch die Sparpolitik bedingte Schließung meines Krankenhauses miterlebt.

Seit Beginn der Krise 2010 hat sich mein Gehalt - Kürzung um Kürzung - fast halbiert. 1995 verdiente ich als Assistenzarzt in Athen ein klein wenig mehr als heute. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienste bei Oberärzten werden seit Jahren nur noch mit 3,43 bis höchstens 8,92 Euro brutto pro Stunde bezahlt, oft jedoch erst Monate später.

Auch die vorher bereits nicht üppige Bettenanzahl öffentlicher Krankenhäuser schrumpfte, vor allem qualitativ: Beispielsweise stehen in Deutschland etwa 5 Prozent der Betten auf einer Intensivstation, Griechenland müsste demnach etwa 1800 Intensivbetten haben. In Wirklichkeit sind es offiziell 540 - und niemand weiß, wie viele davon tatsächlich durch Personalmangel bedingt in Betrieb sind.

Insgesamt bin ich skeptisch, ob sich für die Gesundheitspolitik in Griechenland etwas zum Positiven verändert. Die Gläubiger scheinen aus den fünf Jahren Rezession nichts gelernt zu haben und wollen wieder bei den Falschen sparen.

Dr. Boris Treptow ist heute Oberarzt in der Chirurgie am Uniklinikum Kreta.

Dr. Krumbholz von Poliklinik: Wandel des Landes ist schmerzlich

Dr. Bettina Krumbholz von Ärzte der Welt.

Dr. Bettina Krumbholz von Ärzte der Welt.

© Kötter

Ich lebe seit 25 Jahren in Athen, damals bin ich aus persönlichen Gründen hergekommen. Ich kenne das Land also schon viel länger als die Krise andauert. Diesen Wandel meiner Wahlheimat mitzuerleben, ist schmerzlich.

Ich habe über 20 Jahre lang Patienten, die über das staatliche Versicherungssystem abgedeckt waren, völlig kostenfrei in meiner Praxis behandeln dürfen. Dann war ich eine der wenigen niedergelassenen Hausärzte, die überhaupt eine Abrechnung mit EOPYY angeboten haben. Meine Patienten mussten danach 10 Euro für Untersuchung und Medikamentenverschreibung zahlen. Wenn mich dann eine Oma anschaute und flehte "Kindchen, ich habe das Geld aber nicht!", war das nicht einfach.

Lange bin ich erst am Nachmittag in meine eigene Praxis und habe die Tage hauptsächlich ehrenamtlich für Ärzte der Welt verbracht. Insgesamt sechs Jahre habe ich ausgeholfen - dann wurde ich vom Staat gekündigt und bin seither Vollzeit hier tätig.

Die Arbeit ist hart, ich sehe 50 bis 60 Patienten pro Tag. Deswegen sind wir immer mindestens zu zweit im Behandlungsraum, eine Krankenschwester hilft, den Patienten zu versorgen. Sie erhalten hier kostenfrei eine Behandlung und den Zugang zu Medikamenten. Früher waren unsere Patienten vor allem Flüchtlinge, heute sind über die Hälfte von ihnen Griechen, die keine Krankenversicherung mehr haben. Sogar Ex-Manager und ehemals hoch angesehen Geschäftsleute sind unter ihnen.

Das Schöne ist ihre Reaktion, sie entlohnt für all die Stunden, die wir hier leisten. Uns schlägt solch eine Dankbarkeit entgegen, so etwas hat man wirklich selten. Es ist ein schönes Gefühl, so helfen zu können.

Dr. Bettina Krumbholz arbeitet ehrenamtlich in der Poliklinik von Ärzte der Welt in Athen.

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Kommentare
Heidemarie Heubach 10.08.201512:01 Uhr

Helfen kann jede/r auch von Deutschland aus!

siehe :
- www.wir-helfen-hellas.de
- www.berliner-forum-griechenlandhilfe.de
- www.hinter-den-schlagzeilen.de

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