Landarzt gesucht
Bilanz nach sechs Monaten Arztsuche
Seit sechs Monaten sucht die "Ärzte Zeitung" mit der AOK einen neuen Hausarzt für Woldegk. Im Interview ziehen die Initiatoren Bilanz - und verraten, ob ein Arzt gefunden wurde.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Graalmann, Herr van Maanen, sechs Monate Kampagne "Landarzt gesucht" von AOK-Bundesverband und Springer Medizin liegen hinter uns - Zeit für eine Bilanz. Gibt es eine Ärztin oder einen Arzt, die oder der nach Woldegk gehen will?
Harm van Maanen: Nein, bis jetzt hat sich noch kein einzelner Arzt um eine Zulassung in Woldegk beworben. Es gab einige Anfragen, aber die haben letztlich nicht zur Niederlassung geführt ...
Jürgen Graalmann: Eines ist gewiss: Wir werden die Menschen in Woldegk nicht alleine lassen und uns dafür einsetzen, dass die ambulante Versorgung vor Ort auch in Zukunft sichergestellt ist.
Sind Sie enttäuscht?
van Maanen: Einerseits bin ich schon enttäuscht. Wir haben mit vielen Berichten die Situation vor Ort ausführlich dargestellt, wir haben mit allen Beteiligten gesprochen. Aber wir wollten es uns nicht zu einfach machen, nur um am Ende einen Erfolg vermelden zu können.
Deswegen fiel unsere Wahl bewusst auf eine schwierigere Region. Allerdings ist meine ganz persönliche Sicht, dass Woldegk ein Ort ist, an dem man sich wohlfühlen kann, wo man als Arzt und Versorgungsmanager gefordert ist, wo man aber auch gutes Geld verdienen kann - bei deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten als in den Metropolen.
Dennoch hat es keine Neuniederlassung gegeben. Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite hat sich im Laufe des Jahres die Perspektive konkretisiert, dass es voraussichtlich 2014 ein Gesundheitshaus geben wird, mit Beteiligung des Ärztehauses Neubrandenburg, in dem teilweise auch Honorarärzte arbeiten werden. Insofern sind die Aktivitäten doch nicht ins Leere gelaufen.
Graalmann: Ich habe Woldegk vor einiger Zeit besucht, um etwas mehr vom "richtigen Leben" dort zu erfahren. Mir persönlich hat es in Woldegk sehr gut gefallen.
Fakt ist aber auch, dass es für viele ländliche Regionen in Zukunft immer schwieriger sein wird, die ambulante Versorgung sicherzustellen. Gerade, wenn es darum geht, den Veränderungen in der Versorgungslandschaft gerecht zu werden, darf man nicht den Fehler machen, ausschließlich auf Lösungen zu vertrauen, die gestern noch funktioniert haben.
Dafür haben die Menschen vor Ort ein viel besseres Gespür, als Politik und Entscheider glauben. Wir brauchen neue Versorgungsmodelle, die der Entwicklung im ländlichen Raum Rechnung tragen. Die AOKs unterstützen ja schon seit geraumer Zeit ganz unterschiedliche neue Ansätze.
Wenn Sie die Aktion Revue passieren lassen: Welche Lehren ziehen Sie daraus?
van Maanen: Sechs Monate Berichterstattung in Zeitung und Radio über die Situation in einer Kleinstadt haben einen faszinierend tiefen Einblick in die ganz konkrete Versorgungssituation an einem ganz konkreten Ort gegeben.
Wir haben sehr viel gelernt, etwa: Wie arbeiten dort Ärzte? Was denken die Menschen dort? Wie sieht das Zusammenspiel aller Akteure vor Ort aus? Wie ist die Zusammenarbeit mit Kliniken in der Region?
Graalmann: Gut ist, dass wir die sehr wichtige Frage, wie man die ambulante Versorgung in ländlichen Regionen in Zukunft sicherstellt, bundesweit auf die Agenda gebracht haben.
Eine Lehre, die ich daraus ziehe, ist aber auch, dass sich spezifische regionale Probleme nicht im Selbstlauf durch eine bundesweite Aktion lösen. Häufig hilft es, die Beteiligten vor Ort zu stärken und zu unterstützen. Darauf weist auch die mögliche Lösung durch das Gesundheitshaus hin.
Heißt das, dass die Spezies Landärzte, so wie wir sie von früher her kennen, vom Aussterben bedroht ist?
van Maanen: Sicher nicht! Es gibt auch weiterhin Ärzte, die die Herausforderung, Versorgung auf dem Land zu gestalten, als Freiberufler annehmen - sei es in Kooperation mit anderen Ärzten oder auch allein.
Aufgabe der Gesundheitspolitik ist es, Strukturen zu schaffen, dass das Landarzt-Dasein sich mit den heutigen Vorstellungen von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Einklang bringen lässt. Und da ist ja in den vergangenen Jahren durchaus einiges geschehen.
Graalmann: Landärzte wird es auch in Zukunft geben. Wir brauchen aber für einige ländliche Regionen, die dann noch dünner besiedelt sein werden, neue Konzepte.
Wenn sich gleichzeitig die Lebensvorstellungen von Ärzten ändern und manch ein Arzt eben doch lieber angestellt als freiberuflich arbeiten will, so sollte man sich auch diesen neuen Bedürfnissen nicht verschließen.
Wie können aus Ihrer Sicht Versorgungsmodelle ganz konkret aussehen, die zu den sich wandelnden Lebensvorstellungen der Ärzte passen?
Graalmann: Den Königsweg gibt es nicht. Die AOKs unterstützen ganz unterschiedliche Ansätze beispielsweise die Versorgungsassistentin, die den Hausarzt durch Tätigkeiten, wie Impf- und Medikationsmanagement oder Hausbesuche entlastet.
Eine weitere Möglichkeit sind Filialpraxen, in denen sowohl Allgemeinmediziner als auch Fachärzte arbeiten oder der Patientenbus, der Patienten zum Arzt bringt. Ein gesundes Maß an konstruktivem Pragmatismus gehört bei der Entwicklung solcher Lösungen natürlich dazu.
Schließlich sollte man sowohl den Patienten als auch den Ärzten eine echte Perspektive bieten.
Wie geht es nun weiter? Werden sich Springer Medizin und AOK aus der Region zurückziehen?
van Maanen: Ein klares Nein; die Aktion selbst läuft aus, aber das heißt nicht, dass uns die Region jetzt aus dem Blick gerät. Wir werden weiter beobachten, was dort geschieht - und dies auch medial begleiten.
Es geht um die Gestaltung der Versorgung auf dem Land von morgen, und da kann man als Verlag und als Krankenkasse viel von dem lernen, was sich in Woldegk entwickelt.
Graalmann: Die Kooperation mit der "Ärzte Zeitung" hat ein Schlaglicht auf Woldegk geworfen. Wir werden aber selbstverständlich weiter am Thema dran bleiben - und das nicht nur in Woldegk, sondern in allen ländlichen Regionen.
Die Stärke der AOKs ist es, dass sie vor Ort aktiv Versorgung gestalten. Und das heißt auch, dass wir gemeinsam mit den anderen Beteiligten immer weiter nach Möglichkeiten suchen, wie man in ländlichen Regionen medizinische Versorgung heute und für die Zukunft organisiert.
Lob des Bürgermeisters: "Ärztliche Versorgung wird besser"
Dr. Ernst Jürgen Lode hatte sich keine Illusionen gemacht. Wer sich wie er seit 2004 um einen Arzt für seine Kleinstadt bemüht, bleibt auch bei einer bundesweiten Aktion wie der Landarztsuche von AOK-Bundesverband und der Fachverlagsgruppe Springer Medizin, zu der auch die "Ärzte Zeitung" gehört, zunächst nüchtern und wartet ab.
Lode hat natürlich trotzdem jeden Serienteil in der "Ärzte Zeitung" aufmerksam verfolgt. "Ermunternd und ansprechend" - so hat er die Serie empfunden.
Besonders die Ausführungen der jüngsten Woldegker Ärztin Petra Ehlert hebt er hervor. "So wünscht man sich ärztliches Ethos", sagt der Bürgermeister über die seit 20 Jahren in seiner Stadt niedergelassene Diplom- Medizinerin. Ehlert hatte über ihren erfüllten Arbeitsalltag mit der positiven Resonanz der Patienten berichtet.
Lode stellt aber der gesamten Aktion ein dickes Lob aus: "An der Kampagne hat nichts gefehlt", bilanziert der Bürgermeister. Die Berichterstattung habe dazu geführt, dass die Woldegker Bemühungen um einen Arzt bundesweit publik und zugleich die öffentlichen Stellen noch stärker für die Probleme vor Ort sensibilisiert wurden - unter anderem interessierte sich auch Landesgesundheitsministerin Manuela Schwesig (SPD) für das Kleinod in Mecklenburg-Vorpommern.
Dass Lode heute optimistischer in die Zukunft blickt als zu Beginn der Serie, liegt in erster Linie an den deutlich vorangeschrittenen Planungen für den Bau des Gesundheitshauses in Woldegk.
Im Laufe der Kampagne hatten mehrere Beteiligte eine Absichtserklärung zum Bau des Gesundheitshauses unterzeichnet. Die Erklärung zeigt, dass KV, Kommune, das Neubrandenburger Ärztehaus und das Klinikum der Nachbarstadt in dieser Sache jetzt an einem Strang ziehen wollen - unter wohlwollender Begleitung des Ministeriums, wie Schwesig im Interview betonte.
Lode erwartet den Baubeginn im März. Im Folgejahr, so der Plan, könnten dann Ärzte im Gesundheitshaus praktizieren. Nach jetzigem Stand könnten dies wechselnde Ärzte auf Honorarbasis sein, koordiniert über das Management des Neubrandenburger Ärztehauses.
Dort kann man sich etwa vorstellen, dass Ärzte im Ruhestand, die noch in Teilzeit ihrem Beruf nachgehen wollen, dafür gewonnen werden können. Zugleich wird das Gesundheitshaus aber so konzipiert, dass sich Ärzte dort auch dauerhaft niederlassen können. Für Lode steht deshalb heute fest: "Die ärztliche Versorgung in Woldegk wird besser." (di)
Städtetag: Möglichkeiten der Gemeinden sind begrenzt
Bei den Kommunen im Nordosten ist die Landarztsuche von AOK und "Ärzte Zeitung" auf positive Resonanz gestoßen. Die breite Berichterstattung über Woldegk ist von vielen Kommunen verfolgt und begrüßt worden. Dies berichtet Thomas Deiters vom Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
"Danke für das Engagement", sagt Deiters, der beim Städte- und Gemeindetag für Gesundheit und Soziales zuständig und zugleich Vorstandsmitglied in der Krankenhausgesellschaft des Landes ist.
Dass am Ende in Woldegk ein Gesundheitshaus entsteht, das voraussichtlich Ärzte auf Honorarbasis beschäftigen wird, hält Deiters für eine gute Lösung: "Es ist gut und richtig, alle bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um die ambulante Versorgung zu sichern."
Die Kommunen könnten aus den Erfahrungen in Woldegk lernen, dass die klassische Niederlassung nicht die einzige Lösung für die ambulante Versorgung sein muss. Dies könne ein Gesundheitshaus wie in Woldegk sein, aber auch ein stärkeres Engagement von Kliniken.
Deiters will in dieser Frage aber Konsens mit der KV: "Wenn sich kein Arzt für die Niederlassung findet, sollte man über eine stärkere Öffnung für Kliniken nachdenken, etwa in Form von Ermächtigungen oder Klinik-MVZ."
Krankenhäuser seien bereit, Schritt für Schritt mit ermächtigten Ärzten zu helfen. Der klassisch niedergelassene Arzt sei aber nach wie vor anzustreben: "Er ist ein ganz wichtiger Bestandteil im Gemeinwesen."
Die Kommunen sieht Deiters bei der ambulanten Versorgung "nicht in vorderster Verantwortung", aber gefragt: etwa bei der Suche nach geeigneten Immobilien.
So gibt es im Nordosten zum Beispiel Modelle, in denen Arztpraxen von der Infrastruktur von Gemeinden profitieren, weil sie in das Zentrum der Amtsverwaltung integriert sind. Deiters stellte aber auch klar: "Jeder Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern empfängt einen Arzt mit offenen Armen. Aber die Möglichkeiten der Gemeinden sind begrenzt. Wir können und wollen nicht Aufgaben der KV übernehmen und diese damit kommunalisieren." (di)