Biobanken dürfen kein rechtliches Niemandsland bleiben

Der Deutsche Ethikrat hat Empfehlungen für den Umgang mit Biobanken vorgelegt. Dabei will der Rat dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen wie auch den Bedürfnissen der biomedizinischen Forschung gerecht werden.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Analyse von DNA-Sequenzen: Wie werden diese Daten geschützt?

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Biobanken galten in der öffentlichen Diskussion lange als etwas, das im Baltikum, in Großbritannien oder in Island zu Hause ist: Sie waren ethisch dubios und konnten in Deutschland eigentlich keinen Platz haben. Im Übrigen gebe es das Datenschutzrecht mit der informierten Einwilligung, die selbstverständlich auch für den Einsatz von Gewebematerialien zu Forschungszwecken gelte.

So oder ähnlich verläuft seit Jahren die politische Argumentationslinie. Ihren Niederschlag hat sie unter anderem im Gendiagnostik-Gesetz gefunden: Biobanken werden dort komplett ignoriert, obwohl es bei Biobanken im 21. Jahrhundert auch um genetische Untersuchungen geht. Leidtragende dieser Politik sind vor allem die Betreiber der längst auch in Deutschland in großer Zahl existierenden Biobanken: Sie müssen in einem weitgehend rechtsfreien Raum navigieren, in dem der jeweils zuständige Datenschutzbeauftragte oft eine Art Ersatzregierung bildet.

Große Biobanken gibt es längst auch in Deutschland

Grund genug für den Deutschen Ethikrat, das Thema zum Gegenstand seiner insgesamt zweiten Stellungnahme zu machen: "Nachdem auch bei uns in den letzten Jahren zunehmend große, populationsbasierte Biobanken aufgebaut werden, ist eine Klärung der rechtlichen Situation geboten", betonte Ratsmitglied Professor Regine Kollek, die die Stellungnahme zusammen mit ihrem Kollegen Professor Jochen Taupitz in Berlin vorgestellt hat. Beispiele gibt es viele: So soll die im Jahr 2008 gestartete Helmholtz-Kohorte im Zusammenhang mit der Erforschung chronischer Erkrankungen Proben von 200 000 Personen sammeln. Ein anderes Beispiel ist die Greifswalder SHIP-Kohorte.

Schon der alte Nationale Ethikrat hatte sich zu Zeiten der Regierung Schröder im Jahr 2004 mit Biobanken befasst. Die neue Stellungnahme gehe darüber hinaus, als sie detaillierte Empfehlungen zu rechtlichen Regelungen abgebe und zwischen Forschungsbiobanken unterschiedlichen Typs differenziere, erläuterte Kollek.

Als Biobanken nach der aktuellen Stellungnahme gelten Materialsammlungen für die medizinische Forschung, die menschliche Erbsubstanz enthalten und mit personenbezogenen Daten verknüpft sind. Unterschieden wird in dem Papier zwischen thematisch und zeitlich eng begrenzten Sammlungen einerseits und Sammlungen, die unbefristet und hinsichtlich des konkreten Forschungszwecks weniger festgelegt sind. Für letztere sollten strengere Auflagen gelten, so der Rat. Nicht berücksichtigt sind klinische Biobanken wie Blutbanken.

Kern der Empfehlungen ist ein Fünf-Säulen-Konzept. Die gesetzliche Etablierung eines Biobankgeheimnisses ist die wichtigste Säule. Die zweite wichtige Säule bezieht sich auf die Nutzung der Proben. Hier wird ein Einwilligungskonzept vorgeschlagen, bei dem pauschale Einwilligungen für künftige Forschungsprojekte möglich sind, einzelne Forschungsrichtungen aber auch ausgeschlossen werden können. Betroffene sollen ferner jederzeit das Recht haben, ihre Einwilligung zu widerrufen oder ihre Probe zurückzuziehen. Weitere Empfehlungen betreffen umfangreiche Dokumentations- und Qualitätssicherungsmechanismen, die Einbindung von Ethikkommissionen oder Transparenzauflagen.

Vor allem zwei Konflikte sind in den Rats-Empfehlungen angelegt: "Natürlich bewegen wir uns beim Biobankgeheimnis in einem Spannungsfeld, Stichwort Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung. Hier gilt es abzuwägen", betonte Taupitz. Sollte das Bundesinnenministerium nicht mitspielen, ist für ihn beispielsweise denkbar, staatliche Zugriffe auf schwere Delikte zu begrenzen, ähnlich wie bei der Rasterfahndung. Gewissermaßen am anderen Pol könnten Anhänger sehr strenger Datenschutzauflagen die Frage stellen, ob die pauschale Einwilligung zu künftigen Forschungsprojekten nicht zu weit geht. Die bürokratisch sehr aufwändige Alternative wäre, für jedes neue Forschungsprojekt die Einwilligungen separat einzuholen. Das bisherige Datenschutzrecht wird hier unterschiedlich ausgelegt. "Es geht uns also auch darum, die Datenschutzregelungen in diesem Punkt zu präzisieren", betonte Taupitz.

Abgrenzung der Biobanken könnte Probleme machen

Klarheit würde eine den Empfehlungen entsprechende gesetzliche Regelung auch für Forschungsprojekte schaffen, in denen Wissenschaftler aus öffentlichen Trägern und private Unternehmen gemeinsam engagiert sind. "Eine Weitergabe der Daten ist hier möglich, solange eine Einhaltung des Biobankgeheimnisses auch von den privatwirtschaftlichen Forschern gewährleistet wird", sagte Kollek. Praktische Probleme dürfte die Abgrenzung "großer" Biobanken von "kleinen" Sammlungen bringen, die zeitlich und inhaltlich begrenzt sind. Hier sollen etwa bei Dokumentation und Qualitätssicherung unterschiedliche Regelungen gelten. Vier Ratsmitgliedern ging das nicht weit genug: Sie gaben ein Minderheitsvotum ab, das darauf abzielt, zeitlich und inhaltlich begrenzte Sammlungen ganz auszuklammern, um die Forschungsbürokratie nicht unnötig zu vergrößern. "Trotzdem wurde die Stellungnahme einstimmig verabschiedet", betonte Taupitz.

Lesen Sie dazu auch: Ethikrat fordert strenge Regeln für Biobanken

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