Deal or no deal?
Britische Ärzte hoffen verzweifelt auf Deutschland beim Brexit
Ein No-Deal-Brexit wäre eine Katastrophe für den NHS, so die British Medical Association. Alle Augen sind nun auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gerichtet.
Veröffentlicht:London. „Deutschland und Angela Merkel sind die letzte Hoffnung, die wir haben, doch noch einen Brexit Deal in letzter Minute zu ergattern“ – so fassen Kommentatoren in Großbritannien die derzeitige Stimmung im Land zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Ein Deal wäre nicht zuletzt für die rund 156.000 in Großbritannien lebenden Ärzte, Patienten und andere Staatsbürger mit deutschem Pass sowie für das staatliche britische Gesundheitswesen (National Health Service, NHS) von großer Bedeutung.
Die Briten schätzen Deutschland seit Jahrzehnten zwar weniger als Angstgegner in Fußballspielen, dafür aber umso mehr als politisch stabilen und verlässlichen Bündnispartner, der in der Vergangenheit oftmals auch ähnliche politische und wirtschaftliche Interessen vertrat wie das Königreich. Freilich: nicht so beim Thema Brexit.
Großbritannien ist zwar bereits heute nicht länger EU-Mitglied. Allerdings steckt das Land noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres in einer Übergangsphase, die dazu dienen soll, einen Brexit-Deal zwischen Brüssel und London zu finden, wie die zukünftigen Beziehungen neu geordnet und reglementiert werden können.
Mediziner sind auf dem Sprung
Die Hälfte dieser Übergangszeit ist verstrichen, ohne dass bislang nennenswerte Fortschritte im Brexit-Poker erzielt werden konnten. Außer Säbelrasseln auf beiden Seiten war wenig los. Das sorgt nicht zuletzt die Arzneimittelhersteller auf beiden Seiten des Ärmelkanals, aber auch die Ärzteschaft, andere Gesundheitsberufe und die Patienten.
„Wir brauchen dringend einen Deal, denn unser Gesundheitssystem kommt ohne unsere europäischen Nachbarn und Freunde kaum aus“, fasst ein Londoner NHS-Klinikarzt die Situation zusammen. Er selbst kennt „dutzende deutsche und europäische Ärztinnen und Ärzte“, die drauf und dran seien, das Land zu verlassen.
Obwohl das eigentliche Brexit-Votum mittlerweile mehr als drei Jahre her ist, arbeiten noch immer mehr als 60.000 Ärzte sowie Krankenpflegekräfte aus anderen EU-Ländern im Königreich. Nicht zuletzt diese Arbeitnehmer wünschen sich dringend Klarheit, wie es nach dem 1. Januar 2021 weiter gehen wird. Zumal dann die Reisefreiheit zwischen der EU und dem Königreich ebenso abgeschafft wird wie hunderte andere Bestimmungen, die Medizinberufe direkt und indirekt betreffen.
Siegt Merkels Pragmatismus?
„Ohne Zuwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal aus der EU würden unsere Kliniken und Praxen gar nicht funktionieren“, so ein Sprecher des größten britischen Ärzteverbandes (British Medical Association, BMA) in London. Und: „Ein No Deal wäre eine Katastrophe!“
In London erhofft man sich daher von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor allem eins: dass Angela Merkels Pragmatismus am Ende siegen wird. Die vage Hoffnung: Trotz aller kürzlichen Rückschläge auf dem Weg zu einer Einigung zwischen Brüssel und London, könnte Angela Merkel vielleicht doch noch einen Durchbruch bringen. Quasi in letzter Minute ein As aus dem Ärmel zu zaubern.
Wobei niemand auf der Insel derzeit die Frage zu beantworten vermag, auf was diese eher diffuse Hoffnung konkret beruht. Brexit ist im Königreich längst zur Glaubensfrage verkommen, die das Land hoffnungslos spaltet. Erschwerend kommt hinzu, dass Premierminister Boris Johnson die Unterhauswahl im Dezember 2019 mit dem Versprechen gewann, Großbritannien in jedem Fall zum Jahresende 2020 aus der EU zu führen – come hell oder high water!
Johnson gewann die Wahl bekanntlich mit der größten Mehrheit seit Margret Thatcher 1987. Und das No-Deal-Szenario wird von ihm weiterhin als politische Drohkulisse benutzt.