Fehlgesteuerte Versorgung
Britischer Kinderarzt: „Wir fühlen uns oft als teure Babysitter“
Die Corona-Pandemie hat auch in Großbritannien auf die Psyche von Kindern geschlagen – doch das Versorgungsangebot ist dünn. Aus Not werden Kinder in Kliniken eingewiesen und belegen dort Akutbetten.
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Tausende demonstrierten bereits im Februar 2018 wie hier in London dafür, dass die Regierung die Finanzierung für den NHS aufstockt.
© Luke Dray / Cover Images / picture alliance
London. „Wir Ärzte sind die neuen Babysitter“ – mit diesen Worten fasst ein Londoner Klinikarzt die Situation zusammen, wie sie sich derzeit auf zahlreichen britischen Stationen darstellt.
Wie aus aktuellen Zahlen des Londoner Gesundheitsministeriums hervor geht, ist in Teilen Englands bereits jedes dritte pädiatrische Akutbett mit Kindern und Jugendlichen belegt, obwohl diese keine akute pädiatrische Versorgung benötigen. Allerdings fehlt es an passenden anderen pädiatrischen Versorgungsangeboten – zum Beispiel in der Psychiatrie.
Gespräche mit britischen Klinikärzten zeigen, dass sich das Problem der Fehlbelegung in der staatlichen Pädiatrie seit Beginn der COVID-Pandemie teils dramatisch verschlimmert hat. „Wir fühlen uns oft als teure Babysitter“, so ein Londoner Kinderarzt im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. Und: „Viele Akutbetten in der Pädiatrie fehlen dann für Kinder und Jugendliche in Not, die die Betten dringend benötigen würden.“
Pädiatrie fehlt die Lobby
Genau wie in Deutschland und in vielen anderen Ländern hat das staatliche britische Gesundheitswesen (National Health Service, NHS) durch die Pandemie gelitten und die Patientenversorgung konnte teilweise nur noch mit großen Mühen aufrecht gehalten werden. Doch während die Medien ausführlich zum Beispiel über die Rekord-Wartelisten für Operationen im NHS berichten, finden Pädiater öffentlich nur schwer Gehör.
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„Pädiatern und deren kleinen Patienten fehlt es an der gesundheitspolitischen Durchschlagskraft und Lobby, um deren berechtigte Interessen vorzutragen“, so Dr. Emilia Wawrzkowicz von der Organisation Royal College of Paediatrics and Child Health (RCPCH).
„Oft haben diese in Akutbetten untergebrachten Kinder und Jugendlichen keine akuten medizinischen Bedürfnisse, sondern zum Beispiel psychiatrische Leiden, die einen langfristigen therapeutischen Ansatz benötigen würden. Doch dafür fehlen dann die Versorgungsangebote.“
Pandemie belastet zusätzlich
Die COVID-Pandemie hat laut Kinderärzten besonders Patienten mit psychischen Auffälligkeiten hart getroffen. Schon vor der Pandemie fehlte es im NHS vielerorts an entsprechenden Versorgungsangeboten. Doch diese Versorgungslücke ist laut RCPCH durch die Pandemie „deutlich schlimmer“ geworden.
Pädiater verlangen daher von der Londoner Regierung Abhilfe. Es seien große Investitionen in die staatliche Pädiatrie notwendig, um Probleme wie die Fehlbelegung von pädiatrischen Akutbetten zu stoppen. Andernfalls würden Kinder und Jugendliche „die großen Verlierer dieser Pandemie“ sein.
Das Gesundheitsministerium sagte auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“, die Regierung werde „bis 2024 rund 2,3 Milliarden Pfund“ (rund 2,7 Milliarden Euro) „zusätzlich“ für die staatliche Psychiatrie bereitstellen. Davon würden bis 2024 „mindestens 345 .000 Kinder und Jugendliche“ zusätzlich profitieren.