Nebenwirkungen der COVID-Pandemie
Bulimie und Rhinitis: Corona lässt die Jüngsten leiden
Kinder und Jugendliche leiden zunehmend unter Nebenwirkungen der Pandemie. Dazu gehören schwere Erkältungen bei Kleinkindern und Essstörungen bei Jugendlichen, so ein Report der DAK-Gesundheit.
Veröffentlicht:Berlin/Hamburg. Die Coronavirus-Pandemie hat im vergangenen Jahr zu erheblichen gesundheitlichen Kollateralschäden bei Kindern und Jugendlichen geführt. Das geht aus einer aktuellen Studie der DAK-Gesundheit hervor. Laut dem am Donnerstag vorgestellten Kinder- und Jugendreport der Krankenkasse wurden in Krankenhäusern im Jahr 2020 etwa 60 Prozent mehr Mädchen und Jungen wegen Adipositas behandelt als 2019.
Auch stationär behandelte Essstörungen wie Bulimie und Anorexie nahmen den Angaben zufolge während der Lockdowns zu – im Jahresvergleich habe es hier einen Anstieg um zehn Prozent gegeben. Für den Report wurden anonymisierte Klinikdaten von knapp 800.000 bei der DAK versicherten Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahre ausgewertet.
Langer Weg zurück zur Normalität
Kindermediziner zeigten sich ob der Ergebnisse alarmiert. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten „deutlich negative Effekte“ auf die Kinder- und Jugendgesundheit gehabt, sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach. „Diese Negativeffekte werden nicht so schnell auszugleichen sein.“
Ein Problem sei, dass es beim Impfen gegen COVID-19 aktuell keine „großen Fortschritte“ gebe. Das liege weniger an den ab 12-Jährigen – hier steige die Impfquote gut an. „Das sind natürlich die Erwachsenen, die sich das auf die Fahne schreiben müssen.“ Dass die Bundesbürger mittlerweile mit einem Burger im Schnellrestaurant zur Impfung gelockt würden, lasse sich aus pädiatrischer Sicht nur als „Erziehungspleite“ deuten, so Fischbach.
DAK-Chef Andreas Storm rief Politik und Wissenschaft auf, die gesundheitlichen Folgen von Coronakrise und Lockdowns auf Kinder und Jugendliche zu analysieren und langfristige Konzepte zu entwickeln. Kindergesundheit müsse ein eigenes Kapitel in der Gesundheitspolitik werden. Bereits im Juni habe die Gesundheitsministerkonferenz die Einrichtung einer Enquete-Kommission dazu angeregt. Spätestens nach der Bundestagswahl gehöre das Thema Kinder- und Jugendgesundheit auf die Agenda. Auch brauche es rasch einen bundesweiten Aktionsplan, forderte Storm.
Junge Immunsysteme geschwächt
COVID selbst spielt in den unteren Altersgruppen eher über Bande. Derzeit litten viele Kleinkinder ab zwei Jahren unter einer Erkältungswelle, sagen Fachleute. Ihr Immunsystem habe sich im vergangenen Jahr wegen der Schutzmaßnahmen nicht ausreichend entwickeln können und sei nun nicht auf die Erkältungsviren vorbereitet. „Wir erleben jetzt einen Nachholeffekt“, sagte Professor Tobias Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Tatsächlich fänden sich zurzeit mehr Kinder mit den Erkältungssymptomen in den Krankenhäusern als mit COVID.
Vor einer übereilten Impfung der unter 12-Jährigen warnte Professor Tobias Tenenbaum. Er rechne mit einer Empfehlung durch EMA, Paul-Ehrlich-Institut und Ständiger Impfkommission nicht vor 2022, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie. Man betrete an dieser Stelle Neuland.
Der Druck zu impfen sei bei dieser Altersgruppe gleichwohl nicht so hoch wie bei den über 12-Jährigen, die zum Beispiel schneller Lungenentzündungen entwickelten als die Jüngeren, sagte Tenenbaum. Gleichzeitig sei es wahrscheinlich, dass die bekannten Impfstoffe auch für die ganz jungen Kinder als „sicher und risikoarm“ eingestuft würden. Für den Verlauf der vierten Corona-Welle sei die Impfung von Kindern und Jugendlichen von sekundärer Bedeutung, betonte Tenenbaum. 3G-Modelle sollten daher nicht auf diese Altersgruppen angewendet werden.