Europäische Union
Brüssel dringt auf eine Gesundheitsunion
Die Kommission soll Schaltzentrale für künftige Pandemien werden. Außerdem erhalten die Behörden EMA und ECDC mehr Macht. Drei wesentliche Punkte umfasst der Plan der EU-Kommission.
Veröffentlicht:Brüssel. Der Zeitpunkt für diesen Vorstoß wurde nicht zufällig gewählt: Je näher die Welt einem Impfstoff gegen das Coronavirus kommt, desto mehr wächst die Angst vor einem Impf-Nationalismus.
Dagegen setzte die Europäische Kommission am Mittwoch nicht nur eine Botschaft für mehr Zusammenarbeit und Kooperation, sondern auch einen Plan: „Heute beginnen wir mit dem Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion, um die Bürgerinnen und Bürger in einer Krise mit qualitativ hochwertiger Versorgung zu schützen und die Union und ihre Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, gesundheitliche Notfälle, die ganz Europa betreffen, zu verhindern und zu bewältigen“, erklärte die Präsidentin der Behörde, Ursula von der Leyen.
Man wolle auf den Grundlagen der Lehren, die in den nunmehr neun Monaten mit dem Coronavirus gezogen wurden, „einen soliden Rahmen für die Bereitschaftsplanung, Überwachung, Risikobewertung, Frühwarnung und Reaktion der EU“ installieren“, heißt es in den Dokumenten aus Brüssel. Konkret sieht das so aus:
- Die Europäische Kommission wird zur Zentrale, die im Ernstfall auch den Gesundheitsnotstand ausrufen kann. Gedacht ist an eine Art Notfallzentrale, die bei grenzüberschreitenden Bedrohungen (und nur bei diesen!) die nationalen Gegenmaßnahmen koordiniert und zusammenführt.
- Mit einem deutlich gestärkten Mandat und mehr Personal wird das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ausgebaut. Die künftige Behörde bekommt den Auftrag, die Mitgliedstaaten bei der Aufstellung eigener Pläne zu unterstützen und diese europäisch zusammenzuführen. Mit einem Überwachungssystem, für das Künstliche Intelligenz und andere Technologien eingesetzt werden, wird das ECDC zu einem medizinischen Notfallzentrum.
- Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) wird aufgewertet. Zum einen soll das Haus – neben seiner eigentlichen Aufgabe bei der Zulassung von Medikamenten – die Versorgung der EU mit Arzneimitteln und medizinischen Hilfsmittel (wie Atemschutzmasken) überwachen und bei absehbaren Engpässen vorab Alarm schlagen. Darüber hinaus müssten die Mitgliedstaaten ihre wichtigsten medizinischen Indikatoren wie die Verfügbarkeit von Krankenhausbetten, Kapazitäten für Spezialbehandlungen und Intensivpflege sowie die Anzahl des medizinisch ausgebildeten Personals an die EMA melden, damit diese rechtzeitig feststellen kann, wo Defizite absehbar sind. Außerdem ist die EMA für die Berichterstattung über den Stand der Forschung und die Entwicklung neuer Arzneimittel zuständig.
Zügige Umsetzung geplant
„In der Europäischen Gesundheitsunion geht es darum, sich als Union auf gemeinsame Gesundheitsgefahren vorzubereiten und ihnen gemeinsam zu begegnen. Wir müssen dies tun, um die Erwartungen unserer Bürger zu erfüllen“, begründete Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides die neuen Pläne. Die sollen möglichst rasch umgesetzt werden: Nach der Zustimmung des Europäischen Parlamentes sowie im Kreis der Gesundheitsminister der Mitgliedstaaten will Brüssel die vorgeschlagenen Schritte auf dem Verordnungsweg zügig in Kraft setzen.
Das bisherige Argument mangelnder Zuständigkeit in der Gesundheitspolitik sieht die EU-Kommission als überholt an. Vor allem Artikel 168, Absatz 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, gebe genügend Grundlagen für eine Kompetenz der EU. Außerdem, so hieß es am Mittwoch, „betrachten die EU-Bürger die Gesundheit als eine Priorität und erwarten, dass Europa in diesem Bereich mehr tut“.
Gefahr für die Wirtschaft
Hinzu komme, so die Kommission in ihren Papieren weiter, dass dort „wo unsere Gesundheit in Gefahr ist, auch unsere Wirtschaft in Gefahr gerät. Dieser Zusammenhang zwischen der Rettung von Leben und Rettung der Lebensgrundlagen war noch nie so klar wie heute.“
Die Bereitschaft der Volksvertreter und der Mitgliedstaaten, die Stärkung der europäischen Zuständigkeit auszubauen, scheint groß. Schließlich wissen alle noch, wie katastrophal sich die Lage beim ersten Höhepunkt der Coronavirus-Epidemie im Frühjahr entwickelte. Geschlossene Grenzen und Regierungen, die sich gegenseitig dringend benötigte medizinische Hilfsmittel wegkaufen, will in Brüssel niemand mehr.