Infektionsschutzgesetz

Bundestag beschließt umstrittene Corona-Notbremse

Ausgangssperren und Schulschließungen bei hohen Corona-Inzidenzen, aber auch mehr Tests: Der Bundestag hat am Mittwoch Änderungen im Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Die Opposition übt scharfe Kritik.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Verteidigte die Änderungen im Infektionsschutzgesetz, die Kanzlerin hört zu: Unionsfraktions-Chef Ralph Brinkhaus (CDU) bei der abschließenden Debatte über das Gesetz am Mittwoch.

Verteidigte die Änderungen im Infektionsschutzgesetz, die Kanzlerin hört zu: Unionsfraktions-Chef Ralph Brinkhaus (CDU) bei der abschließenden Debatte über das Gesetz am Mittwoch.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Der Bundestag hat am Mittwochnachmittag das vierte Bevölkerungsschutzgesetz verabschiedet. 342 Abgeordnete stimmten dem Gesetzentwurf der Koalition zu, 250 votierten dagegen, 64 Parlamentarier enthielten sich der Stimme.

Kern des Gesetzes ist die Verankerung einer bundeseinheitlichen Corona-Notbremse im Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ab einer regionalen Sieben-Tage-Inzidenz von 100 sollen Ausgangssperren ab 22 Uhr bis fünf Uhr morgens gelten. Geschäfte sollen ab einem Wert von 150 schließen, Schulen ab einer Inzidenz von 165 auf Distanzunterricht umstellen. Sportunterricht im Freien bleibt für bestimmte Jahrgänge in kleinen Gruppen möglich.

Die Arbeitgeber werden angehalten, ihr wöchentliches Testangebot zu erweitern und dort, wo es geht, Homeoffice zu ermöglichen. Für Geimpfte sollen bestimmte Einschränkungen im öffentlichen Leben wegfallen.

Lesen sie auch

Harter verbaler Schlagabtausch

Regierung und Opposition lieferten sich über weite Strecken der Aussprache einen harten Schlagabtausch. Zeitgleich demonstrierten mehrere Tausend Menschen in der Nähe des Reichstags gegen das Gesetz. Die Polizei war mit mehreren Hundertschaften im Einsatz.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus verteidigte den Gesetzentwurf gegen Kritik. Dieser fuße auf Artikel 2 des Grundgesetzes, wonach jeder das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ habe. „Deshalb ist es nötig, hier und heute zu handeln.“ Schon jetzt habe die Pandemie in Deutschland mehr als 80.000 Menschenleben gekostet. „Dieses Gesetz ist eines für das Leben.“

Das Gesetz sei bis 30. Juni 2021 befristet, so Brinkhaus. Die Demokratie werde nicht gefährdet, sondern gestärkt. Das Parlament sei an allen Entscheidungen beteiligt.

Spahn: Können gegen dritte Welle nicht animpfen

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, man könne gegen die aktuelle dritte Welle der Pandemie „nicht animpfen“. Man müsse sie erst brechen, um dann mit Impfungen zur Normalität zurückzukehren. Es brauche die Reduktion von Kontakten. Diesem Ziel dienten die Ausgangsbeschränkungen.

„Die Lage ist unverändert ernst“ – deshalb brauche es jetzt „Klarheit und Konsequenz“, sagte Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Bei den von der Koalition auf den Weg gebrachten Änderungen am IfSG gehe es nicht um einen „Dauerzustand“, sondern um einen Weg, die hohen Infektionszahlen zu drücken.

Blaupause für künftige Krisen?

Oppositionsvertreter reagierten mit harscher Kritik. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland nannte das Gesetz einen „Angriff auf die Freiheitsrechte, den Föderalismus wie den gesunden Menschenverstand“. Die Maßnahmen seien „untauglich“.

Es sei zu befürchten, dass die Regierung die Regelungen als Blaupause für andere Krisen begreife, so Gauland. „Wir werden uns bei der Klimadebatte wiedersehen.“ Grundrechte stünden aber nicht unter Pandemie- und Klimavorbehalt – „noch nicht“. Daher sei das Gesetz ein „Tabubruch“.

Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus sagte, bundeseinheitliche Regeln seien richtig. Dennoch habe der Entwurf „erhebliche handwerkliche Mängel“. Es gebe keine wissenschaftlichen Belege, dass Ausgangssperren etwas bewirkten. „Allein darauf zu hoffen, dass es etwas bringt, reicht eben nicht aus, um einen so schwerwiegenden Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.“ Die FDP werde vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen klagen.

„Schlecht gemachtes Gesetz“

Die Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali warf der Regierung vor, die Betriebe im Kampf gegen die Pandemie nicht wirklich in die Pflicht zu nehmen. Dabei steckten sich viele Menschen am Arbeitsplatz an. Ein Testangebot reiche nicht.

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink sagte, es brauche einen „schnellen wirksamen Wellenbrecher“. Dennoch lehne ihre Fraktion das Gesetz ab. Es sei schlecht gemacht, inkonsequent und in sich nicht schlüssig.

Lesen sie auch
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Erhebung von AOK und Deutscher Krebsgesellschaft

Mehr Versicherte nutzen Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung

Interview zur Krebsfrüherkennung

Hautkrebs-Screening: Uns fehlt ein Einladungsverfahren

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband
Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

© Viacheslav Yakobchuk / AdobeStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Springer Pflege

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
COVID-19 in der Langzeitpflege

© Kzenon / stock.adobe.com

Springer Pflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
Kommentare
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Abb. 1: Zeitaufwand pro Verabreichung von Natalizumab s.c. bzw. i.v.

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Familienplanung und Impfen bei Multipler Sklerose

Sondersituationen in der MS-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Biogen GmbH, München
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Im Vordergrund Savanne und eine Giraffe, im Hintergrund der Kilimandscharo.

© espiegle / stock.adobe.com

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger