Organspende

Bundestag lehnt Widerspruchslösung ab

Der Bundestag hat beim Thema Organspende ein deutliches Signal ausgesandt: Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte für eine Entscheidungslösung. Gesundheitsminister Spahn fiel mit seiner angestrebten Widerspruchslösung durch.

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 Die Abgeordneten des Bundestags stimmten mehrheitlich für die Entscheidungslösung – und gegen die Widerspruchslösung, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeregt hatte.

Die Abgeordneten des Bundestags stimmten mehrheitlich für die Entscheidungslösung – und gegen die Widerspruchslösung, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeregt hatte.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Organspenden bleiben in Deutschland weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.

Der Bundestag lehnte am Donnerstag einen Vorstoß einer Abgeordnetengruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Professor Karl Lauterbach (SPD) ab, dieses Prinzip umzukehren. Sie hatte eine „doppelte Widerspruchslösung“ vorgeschlagen, wonach künftig jeder als Spender gelten sollte - außer man widerspricht.

Der Gesetzentwurf fand aber keine Mehrheit. In namentlicher Abstimmung votierten 379 Abgeordnete dagegen, 292 Parlamentarier unterstützten ihn, drei enthielten sich.

Die Entscheidungslösung wurde in dritter Lesung angenommen. 432 Abgeordnete stimmten für den fraktionsübergreifenden Entwurf einer Entscheidungslösung, 200 Abgeordnete votierten dagegen. 37 enthielten sich.

An dem Antrag waren Abgeordnete aller Fraktionen außer der AfD beteiligt. Federführend haben diesen Entwurf die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, Karin Maag (CDU), Hilde Mattheis (SPD), Katja Kipping (Linke) und Otto Fricke (FDP) vertreten.

Spahn gratuliert Annalena Baerbock

Die wichtigste Reaktion auf den Bundestagsbeschluss kam vom in der Abstimmung unterlegenen Gesundheitsminister. Erst bahnte sich Jens Spahn im Reichstag einen Weg zu Annalena Barbock und gratulierte. Die Grünen-Vorsitzende hatte dem erfolgreichen fraktionsübergreifenden „Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ein Gesicht gegeben.

Dann twitterte der Minister, dass er nun den beschlossenen Gesetzentwurf mit „voller Tatkraft“ umsetzen wolle.

Im Ziel herrscht Einigkeit

Im Ziel einig, im Weg sehr unterschiedlich waren die Entwürfe in den Bundestag eingebracht worden. Folgende Regelungen sollen nun auf den Weg gebracht werden:

  • Wer ab einem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt auf die Organspende angesprochen werden und Informationsmaterial bekommen.
  • Schon beim Abholen eines Ausweispapiers sollen sich die Menschen vor Ort in ein neues Online-Register eintragen können – mit Ja oder Nein. Das soll aber auch zu Hause in Ruhe erfolgen können. Im Online-Register sollen Entscheidungen jederzeit zu ändern sein.
  • Für eine regelmäßige fachliche Aufklärung sollen Hausärzte eine größere Rolle spielen. Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern – dies aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiterhin keine Pflicht zu einer solchen Erklärung gibt.
  • Grundwissen über Organspenden soll künftig auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden.

9000 Menschen auf der Warteliste

Das große Ziel ist es, angesichts von rund 9000 Patienten auf den Wartelisten zu mehr Organsspenden zu kommen. Die Zahl der Spender ging im vergangenen Jahr wieder leicht auf 932 zurück, nachdem 2018 noch 955 Menschen nach ihrem Tod Organe für andere Patienten überlassen hatten. Es gab nun aber weiterhin mehr Spender als beim bisherigen Tiefstand von 797 im Jahr 2017 (siehe nachfolgende Grafik).

Im vergangenen Jahr wurden 2995 Organe an die Vermittlungsstelle Eurotransplant übergeben - vor allem Nieren, Lebern und Lungen.

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Bessere Bedingungen für Organspenden in Kliniken

Unabhängig von der Debatte über neue Regeln gilt seit vergangenem Jahr ein Gesetz, das die Bedingungen für Organspenden in Kliniken verbessern soll. Es sieht mehr Geld sowie mehr Kompetenzen und Freiräume für Transplantationsbeauftragte der Kliniken vor. Mobile Ärzteteams sollen kleineren Häusern ohne eigene Experten helfen, einen Hirntod als Voraussetzung für Organ-Entnahmen festzustellen.

Die Bundestagsabgeordneten hatten vor der Abstimmung ausführlich über die beiden Entwürfe diskutiert. Wir zeichnen die Debatte nach. (dpa/af/hom/ths)

Welchen Entwurf zur Organspende favorisieren Sie?

61 %
Entwurf 1: Ohne Widerspruch ist jeder Organspender.
6 %
Entwurf 2: Organspende-Beratung im Bürgeramt.
16 %
Entwurf 3: Mehr Vertrauen in die Organspende schaffen.
17 %
Keinen. Es soll bleiben wie bisher.
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Kommentare
Dr. Schätzler 16.01.202016:16 Uhr

Wie gut, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag einen kühlen Kopf bewahrt und die ministeriell, ärztlich-standespolitisch und öffentlich-medial bevorzugte Widerspruchslösung in der Transplantationsmedizin abgelehnt bzw. die bestehende Entscheidungslösung mit flankierenden Maßnahmen bevorzugt haben.

Andernfalls wäre der Gesetzesvorschlag des Bundesgesundheitsministers in einem langjährigen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe gelandet. Denn die „Widerspruchslösung“ verstößt gegen die "informationelle Selbstbestimmung" und weitere Persönlichkeitsrechte: Sie wäre vor dem BVerfG gescheitert: Jede(r) von Geburt an potenzielle Organspender wäre z. B. ab dem 16. Lebensjahr von Staats wegen annektiert, wenn er dem nicht ausdrücklich widerspräche, offenbart ein totalitäres, nicht legitimierbares Rechtsverständnis. Auch die von manchen Ärzten favorisierte "Clublösung" (nur erklärte Organspender könnten Organe empfangen...) ist rechts- und verfassungstheoretisch absurd, weil Organempfänger i.d.R. viel zu krank für eine Organspende sind.

Angesichts der dramatischen Zahl von 9000 Patienten auf den Wartelisten, sollte es nach meiner medizinisch-ärztlich-ethischen Überzeugung zu deutlich mehr Organsspenden kommen. Die Zahl der Spender ging in 2019 leicht auf 932 zurück, nachdem 2018 noch 955 Menschen perimortal Organe für andere Patienten gespendet hatten. Der bisherige Tiefststand von 797 Spendern im Jahr 2017 ist erfreulicherweise überwunden. 2019 wurden damit insgesamt 2.995 Organe an Eurotransplant übergeben - vor allem Nieren, Lebern und Lungen.

"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen" geht nur mit Stetigkeit, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Perspektive, Mut und Offenheit. Der öffentliche Diskurs zu Chancen und Risiken der Transplantationsmedizin muss weiterhin immer wieder neu geführt werden.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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