Gesundheit ad libitum?

Bundesverwaltungsgericht urteilt zu Diesel-Fahrverboten

Müssen Düsseldorf und Stuttgart die Feinstaub-Notbremse ziehen und Diesel-Fahrzeuge aus den Innenstädten verbannen? Bejaht das Bundesverwaltungsgericht am Donnerstag die Frage, könnte auch die Gesundheitswirtschaft in die Bredouille kommen.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Greenpeace forderte im Oktober 2016 in Stuttgart ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge.

Greenpeace forderte im Oktober 2016 in Stuttgart ein Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge.

© Lino Marcel Mirgeler / dpa / picture-alliance

Für das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart war die Sache klar: Das Land Baden-Württemberg muss den Luftreinhalteplan für Stuttgart so fortschreiben oder ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 Mikrogramm je Kubikmeter und des Stundengrenzwertes von 200 Mikrogramm je Kubikmeter bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält (Az.: 13 K 5412/15).

Im Klartext sollte das Urteil vom 26. Juli 2017 den Weg ebnen für ein striktes Verbot (aller?) Diesel-Fahrzeuge in der Umweltzone Stuttgart. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Das Land Baden-Württemberg ging in die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig (Az.: 7 C 30.17).

Genauso verfuhr das Land Nordrhein-Westfalen (Az.: 7 C 26.16), das am 13. September 2016 in der Vorinstanz vom VG Düsseldorf (Az.: 3 K 7695/15) dazu verdonnert worden war, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf entsprechend zu modifizieren – Kläger war damals ebenfalls die DUH. Nun sind die Leipziger Richter am Zug. Am Donnerstag soll das Urteil über die Rechtskraft der vorinstanzlichen Entscheidungen fallen.

Umweltagentur verweist auf erhöhte Mortalität

Das VG Stuttgart verweist in seinem Tatbestand Nr. 55 auf eine WHO-Studie aus dem Jahr 2013, derzufolge die Luftverschmutzung durch Feinstaub die durchschnittliche Lebenserwartung aller Menschen in der EU um 8,6 und in Deutschland sogar um 10,2 Monate verkürze. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur von 2014 werde die NO2-Exposition unter anderem mit einer erhöhten Mortalität sowie mit vermehrten Atemwegserkrankungen in Verbindung gebracht.

Dadurch, dass in der Richtlinie die von der WHO vorgeschlagenen deutlich niedrigeren Grenzwerte (noch) nicht festgeschrieben worden seien, seien die Aspekte der Durchführbarkeit der Emissionsreduzierung auch bereits auf gesetzgeberischer Ebene berücksichtigt worden.

Vor diesem Hintergrund stelle die Maßgabe der Eignung zur schnellstmöglichen Grenzwerterreichung, die in der Vorgängerrichtlinie noch nicht enthalten gewesen sei, eine bewusste Anhebung des Anforderungsniveaus angesichts bestehender gravierender Gesundheitsgefährdungen dar, so die Stuttgarter Richter mit Bezug auf die WHO.

Fällt das Leipziger Votum positiv aus, so könnte nach dem Diesel-Gate um Abgasmanipulationen noch mehr Druck auf die deutsche Automobilindustrie ausgeübt werden, für sauberere Diesel-Modelle zu sorgen. Denn: Für die Umrüstungsaktionen älterer Diesel via Software-Update fällt die Prognose des Umweltbundesamtes (UBA) für die Luftqualität eher schlecht aus.

 "Für die Luft in den Städten zeigt sich damit wenig Verbesserung: In den wahrscheinlichsten Szenarien liegt die Minderung demnach etwa zwischen zwei Mikrogramm und fünf Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter – und hier ist die von den Herstellern im Nachgang zum Nationalen Forum Diesel im August 2017 durchgeführte Umtauschprämie sogar schon mit eingerechnet. Letztlich würden allein mit Software-Updates und Umtauschprämie nur ganz wenige der belasteten Städte den EU-Luftqualitätsgrenzwert für Stickstoffdioxid einhalten können", so das UBA.

Ausnahmen für Gesundheitssektor zu erwarten

"Klar ist, dass auch der Gesundheitssektor von Fahrverboten betroffen wäre. Die Frage ist nur, wie stark. Dies kann von Land zu Land und sogar von Stadt zu Stadt variieren, weil die Aufstellung der Luftreinhaltepläne Ländersache ist. Für jede Stadt gibt es Teilpläne", erläutert Damian Sternberg, Rechtsanwalt bei der Sozietät Busse & Miessen, auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung".

"Auf den Gesundheitssektor wird man bei der Regelung von Ausnahmen und Befreiungen ein besonderes Augenmerk legen müssen", ergänzt er. Denn: Die Fahrverbote dienten dem Schutz der menschlichen Gesundheit und damit dem Schutzgut, dem der Gesundheitssektor insgesamt verpflichtet sei. "Es sind viele Fälle aus dem Gesundheitsbereich denkbar, in denen ein besonderes Verkehrsbedürfnis für eine Ausnahme von etwaigen Fahrverboten besteht", so Sternberg.

 Im öffentlichen Interesse lägen demnach Ausnahmen von Fahrverboten insbesondere, wenn dies zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen notwendig ist (§ 1 Abs. 2 35. BImSchV). "Davon sind Krankenfahrten, Medikamentenkuriere etc. erfasst", konkretisiert Sternberg.

Wie eine Umfrage der "Ärzte Zeitung" vor dem Diesel-Gipfel im August 2017 zeigte, beschäftigen sich auch Krankenhausbetreiber mit der Frage, wie sie von Fahrverboten getroffen würden. Einige hoffen dabei, mit neuesten Leasingflotten eine Einfahrt in eine Umweltzone zu bekommen – Stichwort: Blaue Plakette – oder setzen auf E-Mobilität.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 23.02.201816:06 Uhr

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig lässt sich von der DUH einen Bären aufbinden?

Welchen Bären lassen sich die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) in Leipzig denn da von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) bloß aufbinden?

Um es ganz klar zu sagen: Selbstverständlich gehören a l l e potenziell schädlichen Emissionen auf den umweltmedizinischen Prüfstand und müssen nach aktuellen technischen Möglichkeiten per Soft- u n d Hardware-Einsatz verringert bzw. möglichst weitgehend eliminiert werden. Das gilt, nicht nur juristisch nach dem Gleichheitsgrundsatz gesehen, ausnahmslos für a l l e Emittenten in Verkehr, Logistik, Energie-, Wasser- und Abfallwirtschaft, Industrie, Handel, Gewerbe, Handwerk, Baubranchen, Landwirtschaft, privaten und gewerblichen Immobilien, Mietwohnungen etc. gleichermaßen.

Von daher steht auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Verdacht, mit einer einseitig gegen Dieselfahrzeuge gerichteten NOx-"Schmutzkampagne" handfeste Lobby-Interessen bedienen zu wollen. Deren Interessenvertreter wollen weiter möglichst ungestört Feinstaub, Schwefeldioxid (SO2), Kohlendioxid (CO2), Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK/PAH), Kohlenmonoxid (CO) u.ä. emittieren.

Die Richterinnen und Richter des Leipziger BVerwG müssen unvoreingenommen prüfen, was Ihnen da von der DUH aufgetischt wird: Studiendaten aus anderen Ländern, fehlende Validierung, Repräsentativität und Reliabilität, Glaubenssätze, Fehlinterpretationen, Schätzungen, Paralogismen, keine randomisiert kontrollierten "RCT"-Studien und lausig fehlgedeutete Morbiditäts- und Mortalitäts-Statistiken.

So will uns z. B. eine WHO-Studie aus dem Jahr 2013 weis machen, dass die Luftverschmutzung durch den Feinstaub, welcher im Übrigen nicht per Dieselmotoren, sondern über Benzinmotoren, Energiewirtschaft, Haushalte, Industrie und Landwirtschaft vermehrt emittiert wird, die durchschnittliche Lebenserwartung aller Menschen in der EU um 8,6 Monate und in Deutschland sogar um 10,2 Monate angeblich verkürzen könne.
http://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/press-releases/2013/01/newly-found-health-effects-of-air-pollution-call-for-stronger-european-union-air-policies

Und das vor dem Hintergrund, dass die durchschnittliche Lebenserwartung zu Beginn der allgemeinen Motorisierung in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute EU-weit und auch in Deutschland kontinuierlich angestiegen und nicht gefallen ist?
"Nach der allgemeinen Sterbetafel 1949/1951 lag die Lebenserwartung neugeborener Jungen bzw. Mädchen im früheren Bundesgebiet hingegen bei 64,6 bzw. 68,5 Jahren."
Aus "Generationen-Sterbetafeln Für Deutschland - Modellrechnungen für die Geburtsjahrgänge 1871-2004"
https://www.destatis.de und Natuerliche-Bevoelkerungsbewegung@destatis.de

Lebenserwartung seit Geburt, Berichtszeitraum 2013/2015:
Männer 78,18 Jahre
Frauen 83,06 Jahre
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Sterbefaelle/Tabellen/LebenserwartungDeutschland.html

Eines soll und darf das BVerwG nicht vermengen: Das Diesel-Gate um betrügerische Abgasmanipulationen und deren wissentlichen Duldungen liegen in der straf- und zivilrechtlichen Verantwortung von Automobilindustrie und Aufsichtsbehörden. Diese haben vorsätzlich versäumt, für sauberere Diesel-Modelle zu sorgen, obwohl dies technisch machbar ist.

Darum kann es aber bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von gezielten Diesel-Fahrverboten im Verwaltungsrecht nicht gehen.

Es sind die Schmuse-Kurs-Politik mit der Automobilindustrie bzw. der gestalterische Nihilismus in Legislative/Exekutive, der hier auf der ganzen Linie versagt haben.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Carsten Windt 22.02.201807:43 Uhr

Das warten auf den Ponyhof

Bei Feinstäuben und CO gibt es sehr genaue Kenntnisse was mit einem Menschen passiert, wenn er diesen ausgesetzt ist. Dieses wurde bereits angegangen und die Belastung konnte deutlich gesenkt werden.

Das Thema Stickoxide hingegen ist mehr eine ideologische denn eine wissenschaftliche Diskussion, welche derzeit ausschließlich gegen den Dieselmotor gerichtet ist. Die Grenzwerte wurden/ werden durch Hochrechnungen ermittelt, deren Basis mehr als fraglich ist. wie absurd das ist zeigen die unterschiedlichen Grenzwerte für Strasse 40 Mikrogramm und Arbeitsplatz 950 Mikrogramm. Aber auch chronisch Kranke müssen arbeiten und der Asthmatiker muss dann 950Mikrogramm 8-10 Stunden jeden Arbeitstag ertragen und darf dann sich bei 40 Mikrogramm "erholen". Wie war das mit kurzfristig schwankenden Belastungen und Herzinfarktrisiko?

" Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur von 2014 werde die NO2-Exposition unter anderem mit einer erhöhten Mortalität sowie mit vermehrten Atemwegserkrankungen in Verbindung gebracht" Was bedeutet denn das übersetzt? Da passiert was, aber wir wissen nichts genaues.

und last but not least: wenn an einer Strasse 80 Mikrogramm gemessen werden und der Verkehr zu 60% und davon Diesel-PKW zu 72,x sagen wir 73 % beteiligt sind, könnten die Werte theoretisch um 35 Mikrogramm reduziert werden. Theoretisch wir wissen es nicht genau. Unterschiedliche Quellen gleich unterschiedliche Daten. Mal ist der Verkehr zu 50% mal zu 70% verantworlich und Diesel-PKW sind mal zu 60 mal zu 80% am Anteil des Verkehrs verantwortlich.

Und wie ist das mit anderen Verursachern? Bei Heizungsanlagen verlässt man sich auf die Angaben der Hersteller (Hat man bei VW auch gemacht)und gemessen wird NOx von keinem Schornsteinfeger.

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