Baumgärtner im Interview
Darum brauchen niedergelassene Ärzte ein Streikrecht
Medi-Chef Dr. Werner Baumgärtner kämpft vor Gericht dafür, dass niedergelassene Ärzte streiken dürfen. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erläutert der Funktionär, warum er klagt. Am Donnerstag beginnt der Prozess vor dem Sozialgericht Stuttgart.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Welches Signal sollte aus Ihrer Sicht von diesem Verfahren ausgehen?
Dr. Werner Baumgärtner: Dass wir als Freiberufler entschlossen sind, für "gleich lange Spieße" in den Auseinandersetzungen mit Politik und Krankenkassen zu sorgen.
Was war der Anlass für Sie und Ihre Kollegen, die Frage des Streikrechts für niedergelassene Ärzte gerichtlich klären zu lassen?
Baumgärtner: Es waren die Ängste und Bedenken vieler Kolleginnen und Kollegen im Rahmen vorausgegangener Ärzteproteste. Einen Großteil davon habe ich selbst mitorganisiert und dabei viel erlebt.
Ich verstehe die Ängste, wenn man bedenkt, dass man bei der Schließung der eigenen Praxis im Sinne eines Streiks Gefahr läuft, bestraft zu werden, und einem der Zulassungsentzug droht. Da fehlt aus meiner Sicht jede Verhältnismäßigkeit.
Wie sah die Disziplinarstrafe aus, die Sie und weitere Kollegen, die gestreikt haben, von der KVBW erhalten haben?
Baumgärtner: Es gab einen gut begründeten Verweis, gemäß der aktuellen gesetzlichen und rechtlichen Vorgaben. Würden wir noch einmal streiken, würde die Strafe vermutlich höher und teuer werden.
Welche Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten sind Ihnen konkret vorgeworfen worden?
Sollen niedergelassene Ärzte streiken dürfen?
Wie stehen Sie als Arzt dazu: Sollen niedergelassene Ärzte streiken dürfen? Stimmen Sie ab!
Baumgärtner: Verstoß gegen die Präsenzpflicht als vertragsärztliche Verpflichtung. Der Verstoß wurde als grob fahrlässig eingestuft.
Ist in irgendeiner Rechtsquelle so etwas wie ein "Streikverbot" für Vertragsärzte normiert?
Baumgärtner: Es steht meines Wissens nach nirgendwo geschrieben, dass wir nicht streiken dürfen.
Das Streikverbot wird aus dem Sicherstellungsauftrag im Kollektivvertrag abgeleitet, wie übrigens auch die Rechtsprechung zum kollektiven Systemausstieg, die ich für verfassungswidrig halte. Fakt ist, dass es den Sicherstellungsauftrag nur noch eingeschränkt gibt.
Bestes Beispiel hierfür ist Baden-Württemberg: hier gibt es neben dem Kollektivvertrag Hausarzt- und Facharztverträge, Verträge nach Paragraf 140a SGB V und auch schon welche zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Die Grundlage des Sicherstellungsauftrags ist de facto also ziemlich durchlöchert.
Wie bewerten Sie die Aussage, der selbstständige Arzt bleibe auch als Vertragsarzt ein Freiberufler, sodass ein Streikrecht wie bei Arbeitnehmern hier gar nicht einschlägig sei?
Baumgärtner: Also, wer sich als Vertragsarzt heute noch als Freiberufler sieht, der hat die Entwicklungen der letzten 20 Jahre verschlafen oder er sieht seine Freiberuflichkeit darin, staatliche Vorgaben und die der Körperschaften freiwillig umzusetzen.
Wenn es dem Freiberufler in der Praxis nicht einmal gestattet ist, seine eigene Praxis im Rahmen von Protestmaßnahmen zu schließen, ohne bestraft zu werden, dann stimmt da etwas nicht. Von den fehlenden festen und angemessenen Preisen für unsere Arbeit möchte ich gar nicht reden, auch weil hier vieles selbst verschuldet ist.
Was sagen Sie zu dem Argument, aus dem Sicherstellungsauftrag der KV ergebe sich ein "systemimmanentes Streikverbot" in der vertragsärztlichen Versorgung?
Baumgärtner: Als es diesen Sicherstellungsauftrag noch umfassend gab und die KVen für kalkulierbare Rahmenbedingungen und feste Preise gesorgt hatten, konnte man diesem Argument noch bedingt zustimmen. Die Dinge haben sich aber geändert.
Es gibt diesen Sicherstellungsauftrag nur noch in Teilen für die KVen, und diese sind zu Umsetzungsbehörden gesetzlicher Vorgaben mutiert. Insofern brauchen wir das Instrument des Streikrechtes, um gleich lange Spieße im Ringen mit Politik, Kassen und KVen zu haben.
Was planen Sie, wenn Ihre Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart keinen Erfolg hat?
Baumgärtner: Ich gehe davon aus, dass die letzte Entscheidung erst höchstrichterlich gefällt wird, gegebenenfalls auf europäischer Ebene.
Insofern werden wir weitermachen in der Hoffnung, dass die nächsten Entscheidungen der Gerichte schneller fallen werden.