Studie zeigt
Das Dilemma der Chefärzte
Die Widersprüche zwischen Rationierung und Überversorgung in deutschen Kliniken wachsen rasant. Das zeigt eine Studie der Universität Duisburg-Essen.
Veröffentlicht:ESSEN. Jeder zweite Chefarzt in deutschen Kliniken steht häufig in dem Konflikt, sich zwischen ärztlichen und wirtschaftlichen Zielsetzungen entscheiden zu müssen. Bei den Pflegedienstleitern ist das sogar bei drei Vierteln der Fall.
Das zeigt die Studie „Umgang mit Mittelknappheit im Krankenhaus – Rationierung und Überversorgung medizinischer Leistungen im Krankenhaus“ des Lehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen.
Für die Untersuchung, die von der Dr. Jürgen Meyer Stiftung gefördert wurde, haben die Wissenschaftler knapp 5000 Fragebögen an Chefärzte, Pflegedienstleitungen und Klinik-Geschäftsführer geschickt, die auf vorab geführten qualitativen Interviews basierten.
Einbezogen waren Kliniken mit mehr als 100 Betten. Die Rücklaufquote der Fragebögen war mit gut 43 Prozent sehr hoch. Dabei war die Beteiligung der Ärzte und der Pflegeleiter deutlich größer als bei den Geschäftsführern.
Allen ist dabei eins gemein: „Es gibt keinen, der den finanziellen Druck nicht spürt“, sagte Antonius Reifferscheid, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, bei der Präsentation der Studienergebnisse in Essen.
Auch zwischen einzelnen Fachabteilungen zeigten sich kaum Unterschiede.
Zuwendung für Patienten leidet
Mehr als 60 Prozent der Chefärzte und der Pflegedirektoren bezeichneten den wirtschaftlichen Druck, unter dem sie arbeiten müssen, als stark. Bei den kaufmännischen Leitern waren es mehr als 40 Prozent.
82 Prozent der Pflegedirektoren, 70 Prozent der Chefärzte und 66 Prozent der Geschäftsführer gehen nach der Erhebung davon aus, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Patientenversorgung auswirken.
Alle drei Gruppen erleben dabei die Hauptdefizite in der Pflege und der Zuwendung für die Patienten. „Auch in Diagnostik und Therapie sowie bei den Medizinprodukten werden gerade von den Ärzten Probleme gesehen“, berichtete Reifferscheid.
Sorge vor wachsender Rationierung
21 Prozent der Chefärzte haben angegeben, dass sie mindestens einmal im Monat Patienten eine nützliche Leistung vorenthalten oder durch eine günstigere ersetzen. 46 Prozent mussten zumindest einmal in den vergangenen sechs Monaten rationieren.
Große Unterschiede zwischen den Fachrichtungen waren auch dabei nicht zu erkennen. „Rationierung ist kein spezielles Problem der Hochkostenbereiche“, stellte der Gesundheitsökonom klar.
Grundsätzlich sei die Intensität der Rationierung noch eher gering. Ein Grund, sich entspannt zurückzulehnen, ist das aber nicht. „Sollten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter verschärfen, kann sich das schnell ändern.“
Deutlich ausgeprägter als die Rationierung ist nach der Untersuchung die ökonomisch motivierte Überversorgung. Die Chefärzte wurden gefragt, ob es in ihrem Fachgebiet durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen überhöhte Eingriffszahlen gibt.
Immerhin 39 Prozent stimmten dem zu. Besonders ausgeprägt ist die Überversorgung in den Bereichen Kardiologie und Unfallchirurgie/Orthopädie. (iss)