Adipositas
Das Messer allein ist nicht die Lösung
Es fehlt an einem Gesamtkonzept. Radikales Umdenken zu mehr Prävention, regionale Bündnisse für gesunden Lebensstil, Aufklärung und permanente Begleitung: Der Kampf gegen die Fettleibigkeit wird nicht am Op-Tisch gewonnen.
Veröffentlicht:BERLIN. Wir alle wissen es längst: Wir bewegen uns zu wenig, essen zu viel Süßes, Ungesundes und werden dadurch immer behäbiger. Knapp jeder vierte Erwachsene gilt als übergewichtig; er hat einen BMI von über 30.
Seit 2003 ist die Zahl der fettleibigen Deutschen um 22 Prozent gestiegen. Rund zwei Millionen Menschen haben dermaßen an Gewicht zugelegt und leiden zusätzlich an Begleiterkrankungen, dass ihnen nur noch eine bariatrische Operation helfen könnte.
Die operative Verkleinerung des Magens ist zwar Bestandteil der Behandlungsleitlinie, aber findet sich dennoch nicht im GKV-Leistungskatalog. Denn wer am Ende den chirurgischen Eingriff ermöglicht bekommt, bestimmt bislang die Krankenkasse im Einzelfall.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie verweist darauf, dass die Operation bei den meisten Patienten zu einem relevanten, nachhaltigen Gewichtsverlust, zu besserer Lebensqualität und zu einer Verbesserung bei den Begleiterkrankungen führe.
Experten sehen Defizit
Experten der Adipositas Gesellschaft sehen darin ein Defizit in der Versorgung und fordern, dass das, was medizinisch als wirksam belegt ist, auch bezahlt wird.
Die Barmer GEK hingegen warnt vor einem neuen Trend. Schließlich habe sich schon jetzt die Anzahl der bariatrischen Eingriffe unter den gesetzlich Versicherten verfünffacht.
Würden alle Menschen mit einem Body-Mass-Index über 40 operiert werden, müsste die gesetzliche Krankenversicherung GKV rund 14,4 Milliarden Euro dafür aufbringen.
Wäre das eine gute Investition? Laut "Weißbuch Adipositas" ist der chirurgische Eingriff auf 20 Jahre gerechnet mit 37.597 Euro nur geringfügig günstiger als eine konventionelle Therapie, die 38.026 Euro kostet.
Um das Geld allein kann es also nicht gehen, sondern nur um den richtigen Einsatz der Mittel. Entscheidend ist, ob Qualität und Effizienz der Eingriffe geklärt sind.
Nach der Op beginnt die Arbeit
350 Kliniken bieten bariatrische Operationen an, aber nur 44 sind dafür zertifiziert. In zertifizierte Zentren aber ist das Sterberisiko um 15 Prozent geringer.
Studien belegen auch, dass selbst zehn Jahre nach einer Operation das Gewicht um rund 16 Prozent niedriger ist als zuvor. Dies mit Verhaltenstherapie, körperliche Aktivität und gesunder Ernährung zu schaffen, ist für die betroffenen Patienten ein Kraftakt.
Mit konservativen Methoden lässt sich häufig nur eine Gewichtsreduktion von fünf bis zehn Prozent erzielen.
Und dennoch ist das Problem übermäßiger Fettleibigkeit mit einer Operation nicht gelöst, sondern allenfalls aufgeschoben. Der Eingriff verändert den Stoffwechsel auf dramatische Weise.
Ein hohes Maß an Disziplin ist gerade auch in der Nachsorge erforderlich. Nur jene Patienten, die dann die Ernährungsempfehlungen einhalten, sich regelmäßig untersuchen lassen, körperlich aktiv sind und sich eventuell auch psychotherapeutische Hilfe holen, können von einer Operation in vollen Umfang profitieren.
Es muss daher mehr Geld und auch Wissen in die ambulante Nachsorge investiert werden, damit Haus- und Fachärzte ihre betroffenen Patienten frühzeitig, dauerhaft und konsequent begleiten können und nicht nur halbherzig Programme abspulen.
Denn auch viele niedergelassene Ernährungsmediziner, die übergewichtige Menschen über Jahre hinweg behandeln, sehen in der Adipositaschirurgie nur das letzte Mittel, um die Leiden des Patienten zu mildern.
Ein dringender Fall für wirksame Prävention
Dennoch wird sich das Problem Adipositas nicht allein mit medizinischen Mitteln – von der Arznei bis hin zur Chirurgie – lösen lassen. Die Volkskrankheit zu bekämpfen ist eine der klassischen Querschnittsaufgaben, bei denen unterschiedliche Beteiligte gemeinsam konsequent umdenken müssen.
Es geht nicht darum, weitere Ansprüche an die Versorgung zu formulieren, sondern gemeinsam Konzepte zur Prävention und Lebensstiländerung zu entwickeln.
Dies kann nicht allein die Aufgabe von Fachärzten sein. Auch Sportwissenschaftler, Ernährungsberater und Therapeuten müssen sich dafür interessieren und ihr Wissen einspeisen.
Schulen, Kita, Betriebe und Vereine müssen darin integriert werden. In regionalen Bündnissen muss eine neue Esskultur gelebt werden, unterschiedlichste Menschen sind für einen gesunden Lebensstil zu begeistern.
Das mag utopisch klingen, ist jedoch der einzige Ausweg aus dem Dilemma. Denn, wie gesagt, im Grunde wissen wir längst, was zu tun ist.