Gastbeitrag

Das Mischpreisproblem ist ein Ärgernis für Ärzte und Patienten

Das nun schriftlich vorliegende Urteil des LSG Berlin-Brandenburg zur Mischpreisbildung bei neuen Arzneimitteln lässt viele Ärzte ratlos zurück. Denn Ärzte denken und handeln anders als Regulatoren – ein Problemaufriss.

Von Dr. Jürgen Bausch Veröffentlicht:

Die Vorgeschichte des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg in Sachen Albiglutid:

Am 28. Juni 2017 hat das LSG Berlin-Brandenburg die Urteilsbegründung zu einem Verfahren entwickelt, das seinen Anfang am 19. März 2015 nahm. Das war der Zeitpunkt, als die "tragenden Gründe" des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur frühen Nutzenbewertung (FNB) des Wirkstoffes Albiglutid (Eperzan®) publiziert wurden.

Albiglutid ist seit 2014 in Mono- und Kombitherapie bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes (T2D) zur Verbesserung der Blutzuckereinstellung zugelassen und indiziert. Der Wirkstoff gehört in die bekannte Klasse der GLP-1-Mimetika (GLP-1-Rezeptor-Agonisten), zu denen u.a. auch Byetta® und Victoza® (Exenatide/Liraglutide) zu zählen sind (für Exenatide existiert ein Therapiehinweis des GBA vom 12.6.2008!).

Vergleichstherapie ohne Bewertung

Dr. Jürgen Bausch ist Ehrenvorsitzender der KV Hessen, Hausarzt und Pädiater

Dr. Jürgen Bausch ist Ehrenvorsitzender der KV Hessen, Hausarzt und Pädiater

© privat

Als zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT) hat der GBA Metformin und Sulfonylharnstoff (Glibenclamid oder Glimepirid) festgelegt (Humaninsulin für den Fall, dass Metformin nicht ausreichend wirksam oder unverträglich ist). Die zVT ist vom GBA bislang ebenso wie die etablierten GLP-1-Wirkstoffe keiner Nutzenbewertung unterzogen worden (Bestandsarzneimittel).

Die Zulassung von Albiglutid unterscheidet sich nicht bemerkenswert von den bisherigen Genehmigungen in der Wirkstoffklasse. Sie werden vor allem bei stark übergewichtigen Patienten ohne Berücksichtigung von Subgruppen von den Ärzten bei Typ-2-Diabetes eingesetzt, wenn die orale Standardmedikation nicht ausreicht oder nicht vertragen wird (Insbesondere Metformin, Sulfonylharnstoffe, DPP-4-Inhibitoren).

Das Wirkprinzip

Das Wirkprinzip der GLP-1-Mimetika – ebenso wie die arzneimittelrechtliche Zulassung – umfasst alle Formen des T2D. Direkte Vergleichsstudien unter den GLP-1-Mimetika sind nicht bekannt. In der frühen Nutzenbewertung (FNB) von Albiglutid, das von der EMA ebenso wie die etablierten GLP-1-Agonisten breit zugelassen ist, wurden von IQWIG/GBA fünf Subgruppen gebildet. In vier Subgruppen wurde kein Zusatznutzen festgestellt. Nur in der Subgruppe der Zweifachkombination mit Metformin fand sich ein "Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen". Als Grund für den fehlenden Zusatznutzen in den vier anderen Subgruppen ist in den "tragenden Gründen" vermerkt: "Es wurden keine Studien vorgelegt".

Ärztliche Wahrnehmungen

Fernab vom GBA, dem IQWIG, den Sozialgerichten und den Schiedsstellen nimmt der praktizierende Arzt zur Kenntnis: Es gibt einen weiteren Wirkstoff aus der Klasse der GLP-1-Mimetika. Er wird nur alle sieben Tage vom Patienten appliziert. Und ist zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen. Von den fünf Subgruppen des GBA und einer Notwendigkeit, diese zu bilden, hat der versorgende Arzt, selbst wenn er Diabetologe ist, nichts vernommen, was ihn medizinisch zu einer Therapieänderung zur Versorgungsverbesserung zwingen würde. Fehlende Studien in Patientensubgruppen, die es nur im AMNOG gibt, haben aus ärztlicher Sicht keine Steuerwirkung, weil dieser Tatbestand keine hinreichende Begründung für eine fehlende Wirkung und damit fehlenden Nutzen ist. Im Übrigen hebeln Subgruppen des GBA die Zulassung der EMA nicht aus.

Preisverhandlungen gescheitert

Der Hersteller von Albiglutid (Eperzan®) hatte sich mit dem für die Preisbildung verantwortlichen Spitzenverband der Kassen nicht auf einen Preis einigen können. Deswegen wurde die dafür eingerichtete Schiedsstelle eingeschaltet, die einen Preis für alle Subgruppen festgesetzt hat, der aus Sicht der Kassen zu hoch ausgefallen war. Deswegen wurde der Schiedsspruch beklagt. Das zuständige LSG Berlin-Brandenburg hat diesen eher banalen Vorgang nun zum Anlass genommen, die Schiedsstelle wegen einer angeblich rechtswidrigen Entscheidung abzuwatschen und zugleich das Parlament aufzufordern, die im Falle unterschiedlicher Ergebnisse von Subgruppenbewertungen notwendige Mischpreisbildung auf eine bisher fehlende rechtliche Grundlage zu stellen.

Denn ein Mischpreis ist zwangsläufig für Subgruppen ohne Zusatznutzen in der Regel zu hoch und für Subgruppen mit Zusatznutzen zu niedrig. Er ist ein zu schließender Kompromiss, bei dem verschiedene Komponenten zu berücksichtigen sind. Aber regelhaft liegt ein Mischpreis höher als die zVT. Und das geht aus Sicht des LSG schon gar nicht, weil ein Produkt ohne Zusatznutzen nicht teurer als die zVT sein darf. Dieser ungewöhnliche Vorstoß des LSG gegen Schiedsstellen und Parlament bedarf einer ausdrücklichen Kommentierung aus ärztlicher Sicht:

Elf Anmerkungen aus ärztlicher Sicht

1.) Wenn der Hersteller und der Spitzenverband bei einem "bunten" Subgruppenergebnis der GBA-FNB einen Mischpreis am Verhandlungstisch vereinbaren, dann kann das Ergebnis zulässig auch über dem zVT-Preis liegen.

2.) Die Schiedsstelle hat in der Tradition der Selbstverwaltung eine Schlichterfunktion in einem Interessensausgleich zwischen den Verhandlungsparteien. Die Rolle, die das LSG der Schiedsstelle offenbar aufgeben möchte, ist dem bisherigen Schiedswesen in der Selbstverwaltung fremd.

3.) Die Folgen der Mischpreisdiskussion – ausgelöst durch Krankenkassen und das LSG – hat schon jetzt innerärztlich zu einer erheblichen Verunsicherung in den Verordnungen von Mischpreisarzneimitteln geführt. Denn übereifrige Kassenmitarbeiter beginnen bereits mit Prüfanträgen bei Mischpreismedikamenten in Subgruppen ohne Zusatznutzen.

4.) Abgesehen von dem Dilemma einer fachlich sehr unbefriedigenden Sachlage, wenn das Fehlen einer Studie inhaltlich mit fehlendem Nutzen gleichgesetzt wird, ist Unwirksamkeit und Unverträglichkeit der zVT immer ein berechtigter Anlass zu einer Verordnung eines Mischpreispräparats, sofern Indikation und Zulassung dies gestatten.

5.) "Opt out" nur in Subgruppen ohne Zusatznutzen ist keine reale Alternative. Denn nicht selten werden die fehlenden Daten nachgeliefert, und häufig genug gibt es trotz zVT keine Alternative. Insbesondere in der Onkologie. Am wenigstens bei Diabetes 2.

6.) Die seit dem Sommer 2017 im Arzneimittelversorgungsstärkungs-Gesetz (AMVSG) angelegte Möglichkeit, in den Preisverhandlungen zugleich auch Preis-Volumen-Vereinbarungen treffen zu können, sind am ehesten geeignet, den Patienten neue Wirkstoffe nicht vorzuenthalten. Dazu müssten die Hersteller ihr Marketing auf die Subgruppen begrenzen, die einen Zusatznutzen haben. Und die Kassen akzeptieren, dass in den anderen Subgruppen getroffene Verordnungen regelhaft akzeptiert werden (der Prüfvorbehalt des Paragrafen 12 SGB V wird nicht ausgehebelt).

7.) Unabhängig von dem Ausgang der Überprüfung des LSG-Urteils durch das Bundessozialgericht wird sich das Parlament mit den Argumenten des LSG Berlin zur Frage der angeblichen Rechtswidrigkeit einer Mischpreisbildung, die im SGB V nicht explizit beschrieben ist, auseinandersetzen müssen. Da Subgruppen in vielen Nutzenbewertungen unvermeidlich sind und sein werden. Auch wenn vorhersehbar IQWIG und GBA in Zukunft zurückhaltender werden dürften (siehe Methodenpapier 5.0).

Die Albiglutid-Subgruppen kann man ohnehin Ärzten außerhalb von IQWIG / GBA niemandem erklären. Es sei denn, man unterstellt Willkür oder Vorsatz, um die Preisverhandlungen zu Gunsten der Kassen zu erleichtern.

8.) Zur Monetarisierung des Zusatznutzens wurde vom LSG ein Stein ins Wasser geworfen. Die Schiedsstellen und die Betroffenen werden sich ihr Urteil bilden. Schiedsverfahren mit nur glücklichen und zufriedenen Teilnehmern zum Verfahrensende sind undenkbar. Bei Uneinigkeit der Parteien muss der Vorsitzende eine Werteentscheidung treffen.

9.) Der GKV-Spitzenverband hat die Debatte über den wirtschaftlichen Umgang mit negativ bewerteten Subgruppen in der FNB angezettelt – Ampel, NOE und Co –, das LSG Berlin-Brandenburg hat die Situation eindeutig verschärft. Es wird höchste Zeit für eine Deeskalation, wenn man möchte, dass neue Arzneien den Patienten nicht vorenthalten werden. Das aber geschieht, wenn man die Information über die häufig komplexen Ergebnisse der Nutzenbewertung auch noch mit dem Drohpotenzial möglicher Regresse bei Unwirtschaftlichkeit der Verordnung befrachtet.

10.) Schiedsstellenverhandlungen sind vertraulich. Aber im Fall Albiglutid/Eperzan® spricht viel dafür, dass man vermeiden wollte, dass ein weiterer Hersteller eines GLP-1-Mimetikums nach Lixisenatid wegen eines zu niedrigen Preises in Deutschland den Markt verlässt (Lixisenatid/Lyxumia® Opt-out zum 1. September 2014). Zumal der Hersteller von Albiglutid nach Zulassung noch keine Marketingaktivitäten entwickelt hat, was er gewiss nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Sorge um den deutschen Marktpreis so entschieden hat. Nach wie vor hängen international operierende Unternehmen am an Deutschland orientierten internationalen Referenzpreissystem.

Das Votum des LSG – ausgelöst durch eine Klage des GKV-Spitzenverbands – wird vermutlich dafür sorgen, dass die Wirkstoffgruppen der GLP-1-Rezeptoragonisten in Deutschland nicht um einen weiteren Vertreter bereichert wird, der zumindest in einer relevanten Subgruppe einen geringen Zusatznutzen bewiesen hat. Alle anderen im Markt seit Jahren verfügbaren etablierten GLP-1-Mimetika haben in keiner einzigen Subgruppe Belege für einen Zusatznutzen zur zVT beibringen müssen. Nur im Therapiehinweis für Exenatide aus 2008 gibt es eine Empfehlung für stark übergewichtige Patienten.

11.) Deswegen ist es reine Spekulation zu vermuten, dass hier ein absichtlicher Komplott geschmiedet worden ist. Das Ergebnis ist jedoch eindeutig: Es bleibt bei der antiquierten Nutzenbewertung der Diabetes-2-Behandlung bei der zVt mit Metformin und Sulfonylharnstoffen. Die wurde zwar nie nutzenbewertet, aber sie ist billig. Eine Referenzierung auf ein neues bewertetes Produkt aus der Gruppe der GLP-1-Mimetika mit Zusatznutzen gegenüber der etablierten zVT könnte entfallen, da der Hersteller, der vermutlich in der Schiedsstelle mühsam dem Preiskompromiss des Vorsitzenden zugestimmt hat, einen noch niedrigeren deutschen Preis nicht akzeptieren wird. Der aber ergibt sich aus der Logik des dargestellten Verfahrensverlaufs.

Regulatoren und ärztliche Denke

Ärzte denken und handeln anders als die Regulatoren. Maßgeblich für die ärztliche Verordnung eines Arzneimittels ist die arzneimittelrechtliche Zulassung. Diese ist im Fall von Albiglutid zur Behandlung des Typ 2-Diabetes ergangen. Ohne Einschränkungen in Subgruppen, die es klinisch relevant für die Versorgung der Typ 2-Diabetes-Patienten so nicht gibt.

Der AMNOG-Prozess war ursprünglich aus ärztlicher Wahrnehmung ein Instrument für die Krankenkassen, geschaffen vom Parlament, um in Preisverhandlungen zu nutzenadäquaten Arzneimittelpreisen zu kommen. Die im Falle von Albiglutid gebildeten Subgruppen haben keinen Bezug zur Klinik des Typ 2-Diabetes. Sie ergeben sich nicht aus klinisch relevanten Verlaufseigentümlichkeiten im Krankheitsgeschehen bestimmter Patientensubgruppen, die man medizinisch zu beachten hat.

Wenn dann noch konstatiert wird, dass ein Nutzennachweis fehlt, nur weil in einer eher virtuellen, klinisch irrelevanten, Subgruppe keine Studie angefertigt wurde, dann geht dieser Vorgang aus der Welt von GBA, Schiedsstelle, Sozialgericht und GKV-Spitzenverband an der tatsächlichen Versorgungswirklichkeit vorüber.

Nicht nur bei Albiglutid und dem Typ-2-Diabetes!

Dr. Jürgen Bausch ist Ehrenvorsitzender der KV Hessen, Hausarzt und Pädiater und hat lange Zeit dem Gemeinsamen Bundesausschuss für die Vertragsärzte angehört.

Lesen Sie dazu auch: Mischpreise: Ärzte allein zu Haus

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