Organspende
Der mühsame Weg aus dem Tief
Die Organspende erholt sich langsam von den Skandalen. Die Zahlen für 2015 lassen Hoffnung aufkeimen, dass eine Trendwende geschafft sein könnte. Vieles hat sich verbessert, finden Ärzte. Patientenschützer sehen dagegen noch dunkle Löcher.
Veröffentlicht:BERLIN. 70 Millionen Spendeausweise verschicken die Krankenkassen derzeit an ihre Versicherten - in der Hoffnung, den Anteil derjenigen Deutschen, die sich für eine Organspende entscheiden, erhöhen zu können.
Mehr Organspender braucht das Land, rund 11.000 Menschen warten auf ein fremdes Organ. Schon vor 2012 war die Spendebereitschaft der Deutschen nicht sehr hoch.
Doch seit die Manipulationen an den Wartelisten öffentlich wurden, gingen die Zahlen der Organspender in den vergangenen Jahren drastisch zurück. 2010 registrierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) noch 648 Spender, 2014 waren es nur noch 435.
Die Zahlen für das Jahr 2015 lassen dagegen leichte Hoffnung keimen, dass eine Trendwende geschafft sein könnte. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden 540 Organspenden registriert, "das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Zuwachs von über fünf Prozent", sagt Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO.
Pflicht für Krankenkassen
Die vielen Änderungen, die 2012 aufgrund der Skandale durch die Novelle des Transplantationsgesetzes vorgenommen wurden, scheinen ihre Wirkung zu zeigen.
Eingeführt wurde unter anderem die Pflicht der Krankenkassen, ihren Versicherten alle zwei Jahre Organspendeausweise zuzuschicken.
Festgeschrieben wurde auch die Strafbarkeit von Manipulationen, das Mehraugenprinzip bei der Aufnahme von Patienten in die Warteliste, die Einführung von Transplantationsbeauftragten in Krankenhäusern sowie die nicht nur anlass-, sondern auch verdachtsunabhängige Prüfung von Entnahmekrankenhäusern und Transplantationszentren durch die Prüfungs- und Überwachungskommission.
Alles Schritte, die nach Ansicht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), der Deutschen Transplantationsgesellschaft und des GKV-Spitzenverbandes in die richtige Richtung gehen.
Transparenz und Kontrolle seien wichtig, um das erschütterte Vertrauen in der Bevölkerung wieder aufzubauen.
Das Interesse an dem Thema ist da, das zeigt sich momentan beim Infotelefon Organspende, das gemeinsam von der Einrichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der DSO betrieben wird.
Seit die Krankenkassen wieder angefangen haben, Organspendeausweise an ihre Versicherten zu schicken, klingelt dort häufiger als sonst das Telefon.
68 Anrufer pro Tag melden sich im Schnitt bei dem Infotelefon. Jetzt sind es knapp 100 Bürger täglich, die etwas zum Thema Organ und Gewebespende spende wissen wollen.
Am häufigsten wird nach einer Altersbegrenzung gefragt oder ob Ausschlüsse für eine Spende aufgrund von Vorerkrankungen bestehen.
Patientenschützern fehlt Transparenz
Aufklärung über Organspende tut not, das hat der Gesetzgeber erkannt, als er durch die Novellierung des Transplantationsgesetzes die Krankenkassen dazu verpflichtete, alle zwei Jahre Organspendeausweise und Infomaterial an die Versicherten zu schicken.
Dennoch: Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält das Transplantationssystem immer noch für eine "Blackbox".
Dass es an Transparenz fehle, dafür gebe es genügend Beispiele, sagt Stiftungsvorstand Eugen Brysch: "Nicht einmal der Schwerstkranke auf der Warteliste weiß, ob dem Transplantationsmediziner ein Organ für ihn angeboten wurde. Und falls dieses Angebot kam, ob und warum das Team dieses Organ abgelehnt hat."
Ebenso seien die Bürgerrechte für Schwerstkranke auf der Warteliste eingeschränkt. "Denn für sie ist nicht klar, welchen Rechtsweg sie einschlagen müssen, um eine Wartelistenentscheidung überprüfen zu lassen", kritisiert Brysch.
Nicht genug aufgeklärt über das Prozedere einer Organspende fühlen sich offenbar aber auch Ärzte und Pfleger. Selbst bei diesem Fachpersonal haben die Transplantationsskandale ihre Spuren hinterlassen, wie eine Studie zeigt, über die die Deutsche medizinische Wochenschrift im vergangenen Jahr berichtete.
An 50 bayerischen Krankenhäusern, die rund 80 Prozent aller Spenden in dem Freistaat realisieren, wurden Ärzte und Pfleger anonym und auf freiwilliger Basis zu ihrer Einstellung zur Organspende und Transplantation befragt.
Auch Ärzte sehen Prozedere skeptisch
Das überraschende Ergebnis: Jeder zehnte teilnehmende Arzt und jeder fünfte antwortende Pfleger standen der Transplantationsmedizin negativ gegenüber. Nur 23 Prozent fanden die Praxis der Organverteilung gerecht.
Die Mehrheit der Pfleger und ein großer Anteil der Ärzte fühlten sich über die Prozesse rund um die Organspende sogar unzureichend informiert. (Dtsch med Wochenschr 2014; 139(24): 1289-1294)
Das hat, so fürchten die Autoren des Berichts, natürlich auch Auswirkungen auf die Spendebereitschaft. Denn Schwerstranke oder Angehöriger lassen sich nicht für eine Spende gewinnen, wenn schon Ärzte dem negativ gegenüber stehen.
Als wesentlichen Baustein für die Vertrauensbildung sehen sowohl Dr. Axel Rahmel von der Deutschen Stiftung Organtransplantation als auch Professor Björn Nashan, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, den Aufbau eines Transplantationsregisters, der endlich erfolgen müsse.
Die fehlende Zusammenführung von Daten erschwere die Beurteilung der Dringlichkeit und Erfolgsaussichten einer Transplantation. Mit dem Register könnten die Sicherheit und Ergebnisqualität der Organspende nachhaltig verbessert werden, es sei außerdem ein entscheidendes Element für Transparenz, so Rahmel.
Als wichtig beurteilt Björn Nashan vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf auch die Rolle des Transplantationsbeauftragten, den Krankenhäuser mit Intensivstation berufen sollen.
Für ihn wird in der Bundesärztekammer ein Fortbildungscurriculum erarbeitet. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner wurde inzwischen in die Ständige Kommisssion Organtransplantation eingebunden.
Björn Nashan sieht vieles auf gutem Weg, auch wenn in seinen Augen die Nachsorge der Patienten finanziell besser ausgestattet werden müsste. Mit viel Aufklärung, Umsetzung der Gesetzesänderung und interdisziplinärer Zusammenarbeit gelinge vielleicht in fünf bis sieben Jahren eine Verdoppelung der Spenderzahlen, zeigt sich Nashan optimistisch.