Kommentar zum Antibiotika-Einsatz in der Tiermast

Der resistente Verbraucher

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Warum greifen die Menschen so gerne zur Hühnersuppe, wenn sie eine Erkältung haben? Weil die Vögel bis zum Kopf mit Antibiotika abgefüllt sind. Klingt witzig? Ist es aber ganz und gar nicht, wie der Bericht zur Antibiotikaminimierung zeigt.

Zwar ist der Verbrauch in der Tiermast gesamt seit 2014 deutlich zurückgegangen, nur eben bei Hühnern und Puten nicht. Schlimmer: Fast die Hälfte der dort eingesetzten Substanzen gilt in der Humanmedizin als Reserveantibiotika.

Zum Beispiel Colistin und Polymyxin B. Allein von diesen Polypeptidantibiotika haben die Mastbetriebe 2017 über 25 Tonnen an ihr Federvieh verfüttert. Ein Problem: Denn diese Wirkstoffe zählen zu den letzten noch wirksamen bei multiresistenten gramnegativen Keimen, etwa Acinetobacter baumannii.

Wer hat Schuld? Tiermäster, die es mit Antibiotikagrenzen nicht so genau nehmen? Ja, freilich. Sicher aber auch: der Verbraucher. Er ist es, der mit seinem Griff zum Zwei-Euro-Hähnchen vom Supermarkt jenen Anbietern recht gibt, die Tiere, vulgo Fleisch unter billigsten Bedingungen „herstellen“.

Mit ihrem „Veggieday“ waren die Grünen ja abgeblitzt. Vielleicht sollten sie es mit einem Appell an die Gesundheit versuchen und ihn „antibiotikafreien Tag“ nennen.

Lesen Sie dazu auch: Evaluation der Bundesregierung: Reserveantibiotika in der Tiermast ärgern die Ministerin

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 21.06.201913:09 Uhr

Warum die gute alte Hühnersuppe doch bei "Erkältungen" hilft?

Im Gegensatz zur saisonalen, echten Influenza["flu"]-Häufung durch HxNx-Influenza-Viren z. Zt. im australischen Winterhalbjahr endemisch, kommen Erkältungen ["common cold"], zu 95% viral bedingt, wesentlich häufiger und saisonal auch unabhängiger vor: "Rhinovirus accounts for 24%–52% of clinical cases or 52%–76% of infections with an identified pathogen. No pathogen is identified in 31%–57% of upper respiratory tract infections, likely because of a host of reasons, including poor collection technique, low pathogen count due to sampling late in the illness, or previously unidentified agents. Only about 5% of clinically diagnosed cases were found to have bacterial infection (with or without viral co-infection)."
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3928210/

Nach dem evangelischen Kirchentag in Dortmund sind ab nächste Woche wieder vermehrt Virusinfekte zu erwarten.

Eine hygienisch gekochte, auf 100 Grad erhitzte Hühnersuppe bedeutet jedoch keine zusätzliche Antibiotika- oder Infektions-Last. Auch Reserve-Antibiotika und multiresistente Keime werden damit abgebaut bzw. zerstört.

Die Publikation: "Prevention and treatment of the common cold: making sense of the evidence" von
G. Michael Allan und Bruce Arroll lässt nichts aus.
- Physikalische Maßnahmen
- Desinfektion, Handschuhe, Mundschutz
- Zink
- Probiotika
- Gurgeln
- Ginseng
- Sport
- Knoblauch
- Homöopathie
- Vitamin D
- Echinacin
- Vitamin C
wurden als nicht überzeugend geprüft. Vgl. http://www.cmaj.ca/lookup/suppl/doi:10.1503/cmaj.121442/-/DC1

- Antihistaminika, Analgetika auch in Kombination
- abschwellende Medikation einschl. topisch-nasalem Ipatropium
- frei verkäufliche Husten-Dämpfer/-Löser/Expektorantien
- ätherische Einreibungen
- NSAR
- Honig
- Zink systemisch/nasal
- chinesische Heilkräuter
Alles wurde untersucht, war aber generell nie überzeugend wirksam und in Einzelfällen Nebenwirkungs-trächtig.

In der o.g. Übersicht des NCBI wird ein Zitat aus dem Journal of the Canadian Medical Association von 1931 verwendet: “The common cold is so common that we are apt to pass it by with a contemptuous gesture, unless, of course, we are the sufferers ourselves.” Die "gewöhnliche" Erkältung ist so gewöhnlich, dass wir uns daran gewöhnt haben, sie mit einer gleichmütigen Geste vorüberziehen zu lassen, ausgenommen natürlich, wir litten selbst daran.

Warum also nicht heiße Hühnersuppe?

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z.Zt. Bergen aan Zee)

Dr. Gerhard Moll 21.06.201909:22 Uhr

Grundgesetz verlangt Reserveantibiotikaeinsatz bei Tiere

Ob es wirklich klug war, "die Tiere" in das Grundgesetz aufzunehmen, sieht man an den Nebenwirkungen: so hat nun jedes Hühnchen mit Lungenentzündung einen grundgesetzlichen Anspruch auf eine adäquate Behandlung. Und wenn es ein Reserveantibiotikum benötigt, ist dieses auch zu verordnen. Und wenn es 100.000 betroffene Hühnchen sind, dann bekommen auch diese das Reserveantibiotikum. Dieses Handeln entspricht exakt dem Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz. Andernfalls würde man dem Landwirt oder Tierarzt einen Verstoß gegen das Grundgesetz und den Tierschutz vorwerfen können.
Das viel größere Potential zur Verringerung des Resistenzrisikos für den Menschen hat m.E. nach wie vor die Humanmedizin selbst. Aber solange sich diese im Blindflug befindet, was den exakten Verbrauch der verschiedenen Antibiotiklassen betrifft, kann man sich gut über den "zu hohen Verbrauch" in der Landwirtschaft auslassen. Da ist die Veterinärmedizin seit Jahren deutlich besser aufgestellt mit einem Verbrauchsrückgang von weit über 50%! Nachmachen!

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