Repräsentative Studie

Deutsche befürworten Beihilfe zur Selbsttötung nur eingeschränkt

Das Bundesverfassungsgericht hat unabhängig von Alter oder Krankheit ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert – und den assistierten Suizid ermöglicht. Doch den befürworten die Deutschen nur sehr eingeschränkt.

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Bei tödlichen Erkrankungen befürwortet eine große Mehrheit der Deutschen die Möglichkeit des assistierten Suizids.

Bei tödlichen Erkrankungen befürwortet eine große Mehrheit der Deutschen die Möglichkeit des assistierten Suizids.

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Kassel. Es ist eine repräsentative Studie, deren klare Ergebnisse selbst die Forscher überrascht haben. Demnach befürworten die Bundesbürger den assistierten Suizid nur sehr eingeschränkt. „Die Dimension der Ergebnisse der Umfrage hat mich fast sprachlos gemacht“, sagte der Studienautor und Diplom-Psychologe Georg Fiedler von der Deutschen Akademie für Suizidprävention (DASP) am Montag in einer Online-Pressekonferenz.

Die im Auftrag der Akademie für Suizidprävention durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infas ergab, dass die Deutschen die Beihilfe zur Selbsttötung nur für schwerst und tödlich erkrankte Menschen gutheißen. Für tödlich erkrankte Menschen wird demnach ein assistierter Suizid mit 80,5 Prozent deutlich häufiger befürwortet als für „nur“ schwer, aber nicht tödlich erkrankte - hier mit 37,6 Prozent. Für gesunde Menschen jeglichen Lebensalters werde der assistierte Suizid mit einer eindeutigen Mehrheit abgelehnt.

Die Ergebnisse legten nahe, „dass die vom Bundesverfassungsgericht eröffnete Möglichkeit des assistierten Suizids für nicht sterbende Menschen von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung nicht befürwortet wird“, betonen die Studienautoren. Diese Aspekte sollten den Forschern zufolge bei der anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe beachtet werden.

„Extreme Liberalisierung“ durch das Bundesverfassungsgericht

Fiedler sagte weiter, das Bundesverfassungsgericht sei mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 weit über Regelungen in vielen anderen Ländern hinausgegangen. Das Karlsruher Urteil billige jedem Menschen, unabhängig von der Schwere einer Erkrankung, Motiv oder Lebensalter, das Recht auf eine assistierte Selbsttötung zu. Voraussetzung sei, dass man sich freiverantwortlich für einen Suizid entscheide. Eine solche „extreme Liberalisierung“ sei im weltweiten Vergleich wohl einzigartig, so Fiedler.

In der öffentlichen Diskussion über die anstehende gesetzliche Regelung in Deutschland werde der Fokus vor allem auf die Situation alter, schwer kranker oder sterbender Menschen gelegt. „Die Ermöglichung des Zugangs zu tödlichen Medikamenten für physisch gesunde Menschen in jedem Lebensalter wird kaum thematisiert“, kritisierte Fiedler.

Für Menschen in Lebenskrisen (ohne Erkrankung) falle laut der Umfrage aber die Befürwortung einer Suizidassistenz sehr gering aus – und steige mit dem Alter der Person nur leicht an: von 2,7 Prozent bei Jüngeren über 4,1 Prozent bei Menschen im mittleren Lebensalter bis zu 10,3 Prozent bei Älteren. Das bedeute umgekehrt, dass 90 Prozent der Deutschen es ablehnten, für alte gesunde Menschen eine assistierte Selbsttötung zu ermöglichen, sagte Arno Drinkmann, Studienautor und Psychologe an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Gute Palliativversorgung mindert Sterbewunsch

Für die Studie führte Infas im September 2021 Telefoninterviews mit 1023 Erwachsenen. Fiedler sagte zu skeptischen Anfragen, ob die Befragung von rund 1000 Personen repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sein könne, diese Befragten-Zahl sei nach den wissenschaftlichen Kriterien der Meinungsforschung zur Berechnung der Stichprobengröße angemessen.

Die Forscher wiesen auch darauf hin, dass die Art der Fragestellung Einfluss auf die Antwort der Befragten habe. Wurde etwa am Beispiel eines schwer erkrankten, sterbenden Menschen mit starken Schmerzen ausschließlich nach der Befürwortung des assistierten Suizids gefragt, liege die Zustimmung bei 69,9 Prozent. Werde als Antwortalternative auch eine schmerzlindernde Behandlung geboten, reduziere sich der Zuspruch auf lediglich 31,2 Prozent.

„Dies spiegelt Erfahrungen in der Praxis der Palliativmedizin wider, dass der Wunsch von Patienten nach dem assistierten Suizid abnimmt, wenn sie Alternativen erkennen und erfahren“, so die Studienautoren. Zu ihnen gehört auch Reinhard Lindner, Psychotherapeut und Professor an der Universität Kassel. Er sagte, eines der wirksamsten Mittel der Suizidprävention sei es, den Zugang zu Suizidmitteln nicht leicht zu machen. Sonst – so der Psychotherapeut – sei „erfahrungsgemäß die Gefahr, sie in bestimmten Lebenslagen auch einzusetzen, deutlich erhöht“. (KNA)

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