Startschuss im Bundestag
Diabetesstrategie – Gedämpfter Applaus und scharfe Kritik
Fortschritt in der Diabetes-Präventionspolitik. Der Bundestag hat einem Antrag zugestimmt, eine Nationale Präventionsstrategie aufs Gleis zu setzen. Zu unverbindlich, lautet die Kritik auch aus der Ärzteschaft.
Veröffentlicht:Berlin. Der Bundestag ist am Freitag einen weiteren Trippelschritt in Richtung einer effektiveren Bekämpfung der Volkskrankheit Diabetes gegangen. Mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition hat das Parlament nach mehreren Jahren der Diskussion den Startschuss zur Entwicklung einer Nationalen Diabetesstrategie gegeben. Die Redner der Oppositionsparteien kritisierten, dass das Papier weitgehend unverbindlich formuliert sei. Kritik kam auch aus der Ärzteschaft.
Plan kritisiert
Diabetes-Strategie fällt bei Ärzten durch
„Diabetes wird eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre und des ganzen Jahrhunderts“, sagte die Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Professor Monika Kellerer bereits im Vorfeld der Abstimmung im Podcast „der Ärzte Zeitung“. Diese Brisanz sei in der Politik noch nicht angekommen.
Das steht drin in der Strategie
Die am Freitag aufs Gleis gesetzte Nationale Diabetes Strategie besteht zunächst in Forderungen an die Regierung.
- Die Regierung möge die Prävention des Diabetes mellitus Typ 2 nicht auf die Gesundheitsversorgung beschränken, sondern ressortübergreifend angehen. Ein wichtiges Ziel sei die mit der Lebensmittelbranche vereinbarte freiwillige 15-prozentige Zuckerreduktion in Kinderlebensmitteln bis 2025. Die Regierung wird aufgefordert, sich für eine 50-prozentige Verringerung von Zucker in Limonaden einzusetzen.
- Der Health-in-all-policies-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation solle dafür mit der Nationalen Präventionskonferenz verknüpft und verstetigt werden.
- Die Grundpfeiler der Diabetes-Prävention „Ernährung und Bewegung“ sollen gleich stark in den Strategien und Fördermaßnahmen des Bundes verankert werden.
- Die Regierung wird aufgefordert, Prävention und Versorgungsforschung zu Adipositas und Diabetes voranzutreiben.
- Zudem soll sie auf die Bundesärztekammer einwirken, Adipositas, Ernährungs- und Bewegungskunde in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verstärkt zu berücksichtigen sowie sich bei den Ländern für den Ausbau der Lehre zu Diabetes-Themen einzusetzen.
- Zudem soll die Regierung darauf hinwirken, eine individuelle, multimodale und interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit Adipositas in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen zu ermöglichen. Es soll geprüft werden, ob der Gemeinsame Bundesausschuss dazu eine Richtlinie beschließen sollte.
- Die Selbstverwaltung soll aufgefordert werden, stärker für die Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP) zu werben und für eine aussagekräftige Evaluation und Qualitätsberichterstattung der DMP zu sorgen.
- Die Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut (RKI) soll weiterentwickelt werden und so viele Datenquellen wie möglich erschlossen.
- Die Aufklärung über die Krankheit und ihre Ursachen soll verbessert, die Forschung zu Diabetes ausgebaut werden.
Diabetesprävalenz im Steigflug
Seit mindestens sechs Jahren kämpft der CDU-Abgeordnete Dietrich Monstadt, selbst Betroffener, für eine Diabetesstrategie. Monstadt warnte in der Aussprache zum Antrag vor einem „Tsunami“, der auf das Gesundheitswesen zurolle. Wenn die Entwicklung nicht gebremst werde, müsse bis zum Jahr 2040 mit zwölf Millionen Erkrankten in Deutschland gerechnet werden, drei Millionen mehr als zurzeit.
Eine Diabetesstrategie müsse perspektivisch in eine ressortübergreifende Strategie zur Eindämmung aller Volkskrankheiten einmünden, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD Sabine Dittmar. Bereits heute seien 15 Prozent der Jugendlichen übergewichtig. Es bedürfe einer Leitlinienrecherche des GBA, um Defiziten in der Versorgung auf die Spur zu kommen.
Präventionszone Kindergarten
Der FDP-Gesundheitspolitiker und Mediziner Professor Andrew Ullmann plädierte dafür, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ab dem Kindergartenalter zu stärken. Daten aus den strukturierten Behandlungsprogrammen zu Diabetes müssten öffentlich gemacht werden.
Die Regierung tue sich schwer mit Vorgaben an die Lebensmittelindustrie, zum Beispiel zur Reduktion von Zucker in Lebensmitteln. Man verabschiede heute keine Diabetesstrategie, sondern lediglich einen Antrag, der eine solche Strategie fordere, warnte die Ärztin und Gesundheitspolitikerin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, vor zuviel Euphorie.
Beispiel für Halbherzigkeit
„Das Papier ist sehr dünn“, sagte DDG-Präsidentin Kellerer. Jetzt müssten Konkretisierungen und Taten folgen.
Der Umgang mit der Zuckerreduktion in Lebensmitteln sei ein typisches Beispiel für die Halbherzigkeit, mit der die Politik die Sache angehe. Was jetzt verabschiedet werde, sei lediglich die Absicht, eine 15-prozentige Verringerung des Zuckergehalts von Softdrinks und Kinder-Müslis. „Daraus kann ich keinen ernsthaften Willen der Politik ableiten“, sagte Kellerer.
„ÄrzteTag“-Podcast
Was taugt die nationale Diabetes-Strategie, DDG-Chefin Kellerer?
Es gleiche einem Skandal, dass die in den strukturierten Behandlungsprogramen (DMP) gewonnenen Daten nach wie vor nicht vollständig bundesweit zusammengeführt und der Wissenschaft zugänglich gemacht würden, sagte Kellerer im Podcast der „Ärzte Zeitung“. Die Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes, deren Neuauflage derzeit von 30 Fachgesellschaften und dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (äzq) überarbeitet werde, müsse von der Politik aufgenommen und in die Strategie implementiert werden.