Notfallsanitäter
Die Geburt eines neuen Berufs
Keine Sternstunde im Parlament: Ein neuer Beruf im Gesundheitswesen erblickt das Licht der Welt - und erhitzt die Gemüter.
Veröffentlicht:BERLIN. Im deutschen Gesundheitswesen entsteht ein neuer Beruf: der Notfallsanitäter. Der Bundestag hat am späten Donnerstagabend einen entsprechenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit den Stimmen der Koalition beschlossen - vor teils leeren Bänken und ohne Redebeiträge.
Die Zustimmung hatte bereits tags zuvor der Gesundheitsausschuss des Parlaments mit den Stimmen von Schwarz-Gelb empfohlen, nachdem Union und FDP noch einige kleinere Korrekturen vorgenommen hatten.
Das neue Berufsbild des Notfallsanitäters soll ab dem 1. Januar die Ausbildung zum Rettungsassistenten ersetzen. Statt wie bisher zwei Jahre, sollen die künftigen Retter drei Jahre lang ausgebildet werden.
Auch die Zugangsvoraussetzungen steigen: Künftig wird die Mittlere Reife verlangt, bislang reichte ein Hauptschulabschluss. Außerdem sollen Modellprojekte zur akademischen Ausbildung erprobt werden. Der Bundesrat soll am 22. März zustimmen. Ein Einspruch wird nicht erwartet.
Kern der Novelle ist die bessere Qualifizierung des Rettungsdienstpersonals. In ihrer Ausbildung sollen die künftigen Notfallsanitäter auch invasive Maßnahmen erlernen, etwa das Legen von intravenösen Zugängen, Beatmungstechniken oder die Narkoseeinleitung.
Sie sollen damit in der Lage sein, bei lebensbedrohlichen Zuständen selbstständig "medizinische Maßnahmen" bis zum Eintreffen des Notarztes durchzuführen.
Bei Ärzteverbänden stießen diese Pläne bis zuletzt auf harten Widerstand: Sie kritisierten diese Sprachregelung als deutlich zu weitgehend.
Streit um die Kosten
Die künftigen Notfallsanitäter würden damit mit einer deutlich geringeren Qualifikation (Realschulabschluss plus dreijährige Berufsausbildung) Tätigkeiten übernehmen dürfen, die selbst Fachärzte (Abitur plus Studium und Weiterbildung) nicht ohne Weiteres beherrschten - etwa die sichere Intubation.
Über allem schwebte die Befürchtung, mit dem neuen Beruf beginne der Ausstieg aus dem notarztzentrierten Rettungsdienst, hin zu einem Paramedics-Modell wie in Großbritannien oder den USA.
Die Bundesärztekammer (BÄK) sprach den neuen Rettern sogar die Qualifikation ab: "Wir sehen nicht, dass eine bessere Kompetenz gegeben ist", sagte die stellvertretende BÄK-Hauptgeschäftsführerin Dr. Annette Güntert Ende Januar bei der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss.
"Vielmehr sehen wir eine viel zu weitgehende und unbestimmte Freigabe medizinischer und ärztlicher Maßnahmen, so etwas wie eine Teilsubstitution ärztlicher Maßnahmen."
Schlimmer noch: Güntert, die das Dezernat 2 bei der BÄK leitet, das sich unter anderem mit Notfallmedizin beschäftigt, geht sogar von einer Gefährdung aus: "Wir sehen durch die alleinige Verantwortung (der Notfallsanitäter, Anm. d. Red.) vor Ort eher eine Verzögerung und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten und Folgekosten im Krankenhaus", sagte sie bei der Ausschussanhörung.
Alternativ schlug sie vor, mehr Geld in die stationäre Versorgung und die Ausstattung mit Notärzten zu stecken.
Die Bundesregierung hingegen geht in ihrer Gesetzesbegründung davon aus, dass die Notfallsanitäter sogar Kosten im Gesundheitswesen einsparen können - durch die bessere Versorgung am Einsatzort und die damit sinkenden Behandlungskosten im Krankenhaus. Das mögliche Einsparpotenzial kann sie freilich nicht beziffern.
Die Kosten, sie sind ohnehin ein vortreffliches Objekt des Streits. Die Regierung schätzt den Zusatzaufwand für die Ausbildung auf rund 40 Millionen Euro. Rund 90 Prozent davon, also 38 Millionen Euro, müssten die gesetzlichen Krankenkassen tragen, den Rest die anderen Träger, also Unfallkassen, Berufsgenossenschaften und die privaten Krankenversicherer.
Allerdings gibt es Streit, ob diese Rechnung stimmt. Allein die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) geht davon aus, dass den Kliniken durch die längere Ausbildungsdauer Mehrkosten von über 60 Millionen Euro per annum entstehen. Der GKV-Spitzenverband geht sogar von insgesamt 200 Millionen Euro Mehrkosten aus.
Der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst (DBRD) sieht das weniger skeptisch. Er schätzt die Zahlen als zu hoch gegriffen, denn die Zahl der Notfallsanitäter-Azubis könnte deutlich geringer ausfallen, als heute die Zahl der angehenden Rettungsassistenten.
Tatsächlich nutzen derzeit nicht wenige Berufsstarter die Ausbildung zum Übergang etwa in ein Medizinstudium. Mit der steigenden Ausbildungsdauer dürfte die Zahl der Bewerber deutlich sinken.
Handeln in der Notkompetenz?
Allerdings gehen auch die Länder bei den Kosten auf die Barrikaden. Für sie "ist es nicht hinnehmbar, dass (...) neue Aufgaben und höhere bürokratische Standards mit personellen und finanziellen Kostenfolgen ohne finanzielle Kompensation übertragen werden", wie es in der Stellungnahme des Gesundheitsausschusses des Bundesrates vom Dezember heißt.
Die Bundesregierung wollte die "Kostenfolgen für die Länder im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens" zwar prüfen, sieht sich offenbar aber nicht zu Zugeständnissen in der Lage.
Die gab es hingegen an anderer Stelle - etwa im geplanten Paragrafen 4. Dort hat der Bundestagsausschuss in Buchstabe c, Nummer 1, Absatz 2 das Wörtchen "angemessen" gestrichen.
Seitdem geht es dort nur noch um das "Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung". Das Wort "angemessen" betrachtet der Gesetzgeber mittlerweile als unnötig, da es "weniger Klarheit" schaffe und "zu einer unnötigen Verunsicherung" führe.
Auf dieselbe Weise kam der Bund den Ländern in den Paragrafen 5, 13 und 21 entgegen. Im ersten Fall hat der Bundestag eine Ländervorschrift für die Schulen gestrichen, die er nirgends begründet hatte.
In Paragraf 13 soll künftig während der Ausbildung der Einsatzdienst als "zweiter Mann" erlaubt werden, und im letzteren Fall werden beamtenrechtliche Regelungen berücksichtigt.
Diese Korrekturen sind allesamt redaktioneller Art, also nur der fehlenden "Sauberkeit" im ersten Entwurf geschuldet. Anders verhält es sich mit dem durchaus diskussionswürdigen Vorschlag des Paragrafen 4a, den die Länder vorgeschlagen hatten, die Bundesregierung prüfen wollte, der Ausschuss aus verfassungsrechtlichen Bedenken aber abgelehnt hatte.
Darin wollte der Bundesrat den künftigen Notfallsanitätern die Heilkunde übertragen, wenn sie entsprechend ihrer Ausbildung Patienten in lebensbedrohlichen Situationen versorgen. Schwarz-Gelb entschied sich dagegen, mit dem Argument, es handele sich um ein Berufsgesetz, das diese Befugnisse nicht regeln dürfen.
Tatsächlich: Rettungsdienst ist Ländersache, die Befugnisse regeln die ärztlichen Leiter Rettungsdienst, kurz ÄLRD, vor Ort. Allerdings hinkt das Argument, denn das Krankenpflegegesetz (KrPflG), ein Berufsgesetz, regelt genau das in Paragraf 1.
Dort heißt es, dass sie "(...) im Rahmen der ihnen in dieser Ausbildung vermittelten erweiterten Kompetenzen zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt" sind.
Genau das fordern denn auch Kollegen an der Basis - Notärzte wie Rettungspersonal: die rechtliche Absicherung der Retter. Denn schon heute arbeiten Rettungsassistenten "invasiv".
Sie legen Zugänge, beatmen, wenn nötig, geben Medikamente zur Kreislaufstabilisierung. Oftmals geschieht dies im Rahmen der Notkompetenzliste der BÄK, in Abstimmung mit dem ÄLRD vor Ort oder einfach unter der strafrechtlichen Norm des Notstands.
Allerdings wird das neue Berufsgesetz die rechtliche Situation der Retter vor Ort nicht verbessern - sie bleibt unter Maßgabe des ÄLRD und schlimmstenfalls des Strafgesetzbuchs.