Patienten via Callcenter steuern

"Die KV muss das Thema besetzen"

Die KV Baden-Württemberg will Ende 2017 ein Callcenter etablieren, um den Ansturm auf die Notauf-nahmen zu bremsen. Wie "Doc Direkt" funktionieren soll, erläutert KV-Vorstandsvize Dr. Johannes Fechner.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Warum baut die KV Baden-Württemberg im Rahmen ihres Projekts "Doc Direkt" ein eigenes Callcenter auf?

Dr. Johannes Fechner: Weil wir damit zwei Ziele gleichzeitig angehen können: zum einen das Problem des wachsenden Hausarztmangels auf dem Land. Zum anderen reagieren wir damit auf die Entwicklung, dass immer mehr Patienten tagsüber die Notaufnahmen der Krankenhäuser wegen banaler Beschwerden aufsuchen.

Was genau wollen Sie durch das Projekt "Doc Direkt" in Erfahrung bringen?

JF: Wir wollen wissen, ob man mit dem Angebot eines ärztlich besetzten Callcenters Versicherte davon abhalten kann, das Krankenhaus aufzusuchen.

Warum die KV? Können externe Anbieter nicht viel besser ein Callcenter aufziehen?

JF: Wir haben uns beispielsweise beim Unternehmen Medgate in der Schweiz angeschaut, wie ein Callcenter funktioniert. Und wir sehen, dass es klappt. Aber wir haben gute Gründe dafür, dass die KV für diese Aufgabe besonders geeignet ist.

Welche Gründe sind das?

JF: Erstens, dass wir mit den Vertragsärzten diesen Service qualitätsgesichert anbieten können. Zweitens, weil die Sozialdaten bei uns sicher sind und garantiert nicht bei einem kommerziell tätigen Anbieter landen. Drittens, weil die KV keine Gewinnabsicht hat und auch kein neues Geschäftsfeld eröffnen will.

Schauen Sie mal ins Internet, wie offensiv einzelne Krankenkassen bereits heute auf diesem Feld unterwegs sind. Wenn die KVen das Thema nicht besetzen, machen es andere.

Wie viele Ärzte wollen Sie als Teilnehmer für das Projekt gewinnen?

JF: Wir fangen ganz klein an mit zwei Projektregionen in Stuttgart und Tuttlingen und mit zehn Vertragsärzten. Wir haben bisher keine Vorstellung davon, wie viele Versicherte anrufen werden. Hier müssen wir erst Erfahrungen gewinnen, bevor wir das Projekt in ganz Baden-Württemberg ausrollen.

Die KV hat den Auftrag für die nötige IT europaweit ausgeschrieben. Welche Anbieter sind im Rennen?

JF: Wir waren selbst überrascht, dass sich einige Anbieter beworben haben. Die Entscheidung über die Zuschläge wird noch im Juli fallen.

Nehmen wir an, ein Versicherter mit Sitz in Baden-Württemberg ruft bei "Doc Direkt" an. Was passiert dann?

Eine Mitarbeiterin im Callcenter fragt dann zunächst Symptome ab, um die Dringlichkeit abzuschätzen. Wenn jemand beispielsweise von neu aufgetretenen Schmerzen im linken Brustkorb berichtet, dann würde sie den Anrufer sofort an die 112 weiterverbinden.

Anderenfalls bekommt der Anrufer binnen 30 Minuten einen Rückruf von einem Arzt, der nochmals gezielt nachfragt und dem Patienten entsprechend seiner Beschwerden eine Empfehlung gibt.

Wenn der Arzt die Notwendigkeit eines taggleichen Arztbesuchs sieht, kann er dem Patienten mit Hilfe der Software sagen, welcher niedergelassene Arzt an diesem Tag freie Termine hat.

Haben Sie sich eine Zielmarke für das Projekt gesetzt?

JF: Ja, wenn wir zehn bis 15 Prozent der Anrufenden abschließend beraten können oder in die ambulante Versorgung lenken können und diese dann nicht in die Notaufnahme gehen, dann wäre das Projekt ein Erfolg.

Was für eine Patientenklientel sprechen Sie mit "Doc Direkt" an?

JF: Vor allem jüngere Patienten von 25 bis 45 Jahren, Menschen, die vor allem in Großstädten und Ballungsräumen leben sowie Patienten ohne eigenen Hausarzt.

Wie haben die Kassen auf "Doc Direkt" reagiert?

JF: Sehr aufgeschlossen. Die Kassen sehen selber anhand ihrer Daten, dass die Notaufnahmen als ein Staubsauger für stationäre Einweisungen wirken. Darum haben sie auch ein Honorarvolumen zur Verfügung gestellt.

Über welche Beträge reden wir hierbei?

JF: Die Honorare sind noch nicht abschließend verhandelt. Der Telearzt soll 20 bis 25 Euro pro Anruf erhalten. Aus den Erfahrungen anderer telemedizinischer Callcenter wissen wir, dass ein Gespräch inklusive Dokumentation rund 15 Minuten dauert.

Die Ärzte, die taggleich die Patienten anschauen, sollen einen Fallwertzuschlag von 20 Euro bekommen, zudem wird der Fall außerhalb der Quotierung vergütet.

Wie reagieren Ärzte, wenn Sie das Projekt vorstellen?

JF: Ärzte an der Basis reagieren in der Regel positiv, Funktionsträger in den Verbänden eher skeptisch. Die Befürchtung ist, dass in den Praxen eine Morbiditätsverdichtung stattfindet und die "Verdünnerfälle" entfallen. Aber das ist reine Spekulation: Wir müssen das Angebot erst starten, dann können wir die Effekte messen.

"Doc Direkt" ist nur möglich, weil die Landesärztekammer Baden- Württemberg im Juli vergangenen Jahres das Berufsrecht geändert hat und Modellprojekte der Fernbehandlung erlaubt…

JF: Ja, darum haben wir das Projekt auch bei der Kammer zur Genehmigung eingereicht. Zur Zeit bessern wir die Antragsunterlagen nach und schreiben die erforderliche Evaluation aus.

Ich gehe davon aus, dass wir nach der Sommerpause das Go von der Kammer bekommen. Möglicherweise sind wir mit "Doc Direkt" nicht die einzigen Bewerber. Es kann also sein, dass wir uns schon in der Startphase im Wettbewerb befinden.

Bleibt es beim offiziellen Starttermin 1. Oktober?

JF: Wahrscheinlich wird es erst am 1. November oder 1. Dezember losgehen können. Aber auf jeden Fall noch in diesem Jahr!

Dr. Johannes Fechner

» Jahrgang 1951, Staatsexamen und Promotion in Freiburg

» Facharzt für Allgemeinmedizin

» Seit 2011 stellvertretender Vorstandsvorsitzenderder KV Baden-Württemberg

Lesen Sie dazu auch: DocDirekt: Südwest-KV will Patienten mit Callcenter in die Praxen steuern

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