Daniel Bahr im Interview

"Die Selbstverwaltung ist die beste Lösung"

Zum 116. Ärztetag ist die BÄK mit einer Idee für die Krankenversicherung vorgesprecht. Im Interview erklärt Gesundheitsminister Daniel Bahr, was er daran gut findet - und wo er von der Ärzteschaft mehr Tempo erwartet.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Gesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung": "Ich wünschte mir mitunter auch mehr Tempo."

Gesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung": "Ich wünschte mir mitunter auch mehr Tempo."

© Stephanie Pilick

Ärzte Zeitung: Herr Minister Bahr, die künftige Finanzierung des Gesundheitswesens beschäftigt auch die Ärzte: Die Bundesärztekammer hat ein Modell entwickelt, das Elemente der Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie enthält. Was halten Sie von dem Vorschlag und was sagen Sie den Ärzten dazu beim Deutschen Ärztetag?

Daniel Bahr: Ich begrüße, dass sich die Ärzte Gedanken über die Zukunft der Krankenversicherungen machen und sich mit eigenen Vorschlägen einbringen. Ich sehe dort keine Elemente einer sogenannten Bürgerversicherung. Im Gegenteil: Das Konzept der Bundesärztekammer ist eine klare Absage an die Einheitskasse.

Wir haben viele Dinge, die sich in dem Papier der Kammer wiederfinden, in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht, etwa, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens zukünftig die Arbeitskosten nicht weiter belastet.

Sehen Sie denn angesichts des finanziellen Polsters überhaupt eine Notwendigkeit für Änderungen?

Wir haben die Finanzierung im Gesetz so angelegt, dass alle künftigen Ausgabensteigerungen über lohnunabhängige Beiträge oder Zusatzprämien finanziert werden. Sie werden aus Steuermitteln sozial ausgeglichen.

Damit haben wir den Grundstein für eine nachhaltige Finanzierung gelegt. Ich wäre hier gerne weitergekommen, um auch die Unterschiede bei den Kassen wieder stärker herauszustellen.

Was sagen Sie den Kritikern, die behaupten, dass Sie zu wenig für den Wettbewerb der Kassen untereinander gemacht haben?

Daniel Bahr

Aktuelle Position: Bundesminister für Gesundheit

Werdegang /Ausbildung: Ausbildung zum Bankkaufmann; Studium der Volkswirtschaftslehre in Münster

Karriere: 2009 bis 2011 Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium; seit 2001 Mitglied im Bundesvorstand der FDP; 2010 bis 2012 Landes-Chef der FDP in Nordrhein-Westfalen

Privates: Der 36-Jährige läuft seit 2007 Marathon; Teilnahme unter anderem am Berlin-Marathon 2012 und am Hamburger Marathon 2013

Wir haben alle nicht damit gerechnet, dass die wirtschaftliche Lage so schnell so gut wird. Wenn wir das vorher gewusst hätten, hätte man den Beitragssatz nicht so hoch ansetzen müssen. Meine Partei wollte das nicht. Das war der Kompromiss in der Koalition.

Das hört sich fast wie der Ruf nach einer Senkung des Beitragssatzes an. . .

Dafür müsste das Gesetz geändert werden. Wir wissen aber auch, dass es Ausgabensteigerungen geben wird, die dann, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind, über Zusatzbeiträge aufgefangen werden müssen.

Werfen wir einen Blick auf das aktuelle Geschehen. Hier gibt es eine Reihe von Gesetzesvorhaben und noch mehr Änderungsanträge - gehört das in die Kategorie Aktionismus vor der Wahl oder sind das eher handwerkliche Fehler, die jetzt behoben werden müssen?

Ich sehe nicht ein, warum wir wenige Monate vor der Wahl das Arbeiten einstellen sollen. Es sind noch wichtige Entscheidungen zu treffen.

Die Parlamente sollen nicht aus Jux und Tollerei tagen - sie sollen arbeiten, bei der Klinikfinanzierung, den Änderungen im Arzneimittelgesetz, der Korruptionsfrage, dem Präventionsgesetz und vielem mehr gibt es noch genug zu tun.

Greifen wir das Anti-Korruptionsgesetz heraus: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Sie favorisieren eine Ergänzung im SGB V, die Opposition will eine Änderung des Strafrechts. Warum ist Ihr Weg der richtige?

Die Opposition will, dass die niedergelassenen Ärzte zu Angestellten der Krankenkassen werden. Wir haben mit unserem Vorschlag einen guten Weg gefunden, wie wir gegen Korruption vorgehen. Das Bundesjustizministerium hat ja bereits geprüft, ob eine Regelung ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden kann.

Seit 20 Jahren wird über eine Regelung im Strafrecht für Freiberufler diskutiert, aber aus guten Gründen nichts getan. Ein Privatarzt hat nicht mit der Versicherung, sondern mit dem Patienten einen Vertrag, das ist ein Unterschied.

Ich will eine schnelle und wirksame Regelung, die die Freiberuflichkeit wahrt. Und das geht über eine Änderung des Sozialgesetzbuchs V.

Die Anti-Korruptions-Paragrafen sollen im Huckepack-Verfahren ans Präventionsgesetz angehängt werden. Wie zuversichtlich sind Sie, dass trotz gegenseitiger Blockaden im Bundestag und im Bundesrat das Gesetz noch vor der Bundestagswahl alle Hürden nimmt?

Sehr zuversichtlich, weil es ein gutes Gesetz ist. Im Bundesrat gibt es ja auch unterschiedliche Meinungen. So hat etwa der Wirtschaftsausschuss mit Mehrheit zugestimmt.

Der Gesundheitsausschuss fordert hingegen eine grundsätzliche Überarbeitung - bleibt aber dann eher vage. Die Einzelmaßnahmen des Präventionsgesetzes werden ja nicht kritisiert - denken Sie an die U-Untersuchung im Grundschulalter oder an die finanzielle Unterstützung der betrieblichen Gesundheitsförderung.

Es gibt auch keine Kritik an einer Neustrukturierung des Check-ups. Übrigens sind das alles Maßnahmen, die auch den Ländern helfen könnten.

Was sagen sie gegen den Vorwurf eines zu starken Zentralismus?

Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu HIV und anderen Themen geben uns doch Recht, dass wir hier auf einen richtigen Weg sind. Darum beneiden uns andere Länder.

Nein! Die Opposition will eine neue Behörde schaffen, die Geld aus Sozialkassen sammelt und verwaltet. Was Rot-Grün will, ist nach der Föderalismusreform rechtlich nicht machbar und auch der falsche Ansatz. Wir brauchen keine Sammelstelle, sondern jeder soll in seinem Verantwortungsbereich tätig werden.

Lassen Sie uns die zu Ende gehende Legislaturperiode Revue passieren: Wo trägt das Versorgungsstrukturgesetz ganz konkret erste Früchte?

Die Honorare werden wieder in den Regionen verhandelt. Die Regressängste sind genommen worden. Die Bürokratie ist abgebaut worden, allein schon durch die Abschaffung der Praxisgebühr.

Ferner sehen wir, dass die Bedarfsplanung nach vielen Jahren flexibilisiert geworden ist. Da sind gute Ansätze. Allerdings sehen wir auch, dass die Möglichkeiten des Versorgungsstrukturgesetzes in den Ländern sehr unterschiedlich genutzt werden.

Beispiel Bedarfsplanung und ambulante spezialfachärztliche Versorgung: Wäre es nicht an der Zeit, die Selbstverwaltung zu rügen? Immerhin sind die Fristen längst verstrichen...

...ich habe ja auch Druck gemacht. Am Ende kommt es mir nicht so sehr auf die genaue Einhaltung der Fristen an, sondern dass etwas in Bewegung kommt und absehbar gelöst wird. Das erkenne ich sowohl bei der Bedarfsplanung als auch bei der ASV.

Dennoch appelliere ich in Richtung Gemeinsamer Bundesausschuss, zu einem Ergebnis zu kommen. Anderenfalls wird der Druck, die Kliniken einseitig zu öffnen, immer größer. Dann werden wir keine fairen Wettbewerbsbedingungen mehr haben. Die ASV wurde ohne Budget und Reglementierung konzipiert. Das ist doch für alle eine Chance!

Das Gleiche gilt für den Kriterienkatalog bei den Ärztenetzen: Ist nicht auch hier viel zu viel Zeit verstrichen?

Die Selbstverwaltung ist zwar nicht der schnellste Entscheider und Umsetzer, aber trotz allem die beste Lösung. Fürwahr: Ich wünschte mir mitunter auch mehr Tempo.

Haben Sie den Eindruck, dass die Systembewahrer bewusst auf Zeit spielen?

Wir lassen uns da nicht beeindrucken, sondern treten weiter aufs Gaspedal. Wir müssen die Sektorengrenzen überwinden. Es ist keinem Versicherten mehr zu erklären, warum es hier eine so hohe Mauer zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gibt.

Stichwort Kliniken: Hier stellen Sie ein Milliarden-Paket in Aussicht, ohne dass sich an den Strukturen etwas ändert. Ist das die neue FDP-Politik?

Einspruch. Wir machen ein Hygiene-Programm. Ich sehe, dass Hygiene nur schleppend vorankommt, weil offenbar die Investitionen gemieden werden. Und da setzen wir an.

Wir erwarten, dass Geld in neue Pflegekräfte investiert wird. Das hilft strukturell. Außerdem werden wir die Mengenanreize im Blick behalten. Deshalb haben wir ja den Forschungsauftrag dazu letztes Jahr ins Gesetz geschrieben.

Müssten Sie nicht eher dort den Finger in die Wunde legen, wo ihre Länderkollegen ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen?

Das tue ich. Am Ende sehe ich, dass die Länder ihren Pflichten nicht nachkommen. Deshalb ist das ein kurzfristiges Programm. Das Thema muss in der nächsten Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung. Übrigens: Ich habe immer betont, dass ich ein Anhänger der monistischen Finanzierung bin.

Zurück zur ambulanten Versorgung und zum Thema Wettbewerb. Dazu hatte auch der Sachverständigenrat ein ganzes Bündel an Maßnahmen gefordert - auch zur hausarztzentrierten Versorgung. Bleibt es dabei, dass der 73b nicht geändert wird?

Der Bundesrat hat einen Vorschlag, Absatz 5 im Paragraf 73 b zu streichen, mit Mehrheit abgelehnt. Damit ist klar, dass eine Änderung keine Mehrheit hätte. Weitere Beschäftigung lohnt nicht.

Was den Wettbewerb grundsätzlich angeht, bin ich sehr dafür, Versorgungsstrukturen regionaler zu denken. Darüber hinaus würde ich mir mehr Einzelverträge mit Kassen wünschen.

Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus? Wo haben Sie in Ihrer Amtszeit der Gesundheitspolitik einen liberalen Stempel aufgedrückt?

Ich bin etwas unzufrieden darüber, dass wir nicht noch mehr geschafft haben... (schmunzelnd, die Red). Im Ernst: Wir haben allein etwa 20 eigenständige Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht - gemessen an den vorherigen Legislaturperioden kann sich das mehr als sehen lassen.

Das reicht von Maßnahmen gegen den drohenden Ärztemangel, über die Stärkung der Freiberuflichkeit, bis hin zu einem Paradigmenwechsel in der Arzneimittelpreispolitik, dazu die Berücksichtigung der Demenz in der Pflege. Das betrifft 500.000 Menschen ganz konkret.

Ich erinnere an das Krebsregister- und -früherkennungsgesetz, über das immerhin fast 30 Jahre diskutiert worden ist. Ähnlich war es auch beim Patientenrechtegesetz, das wir jetzt verabschiedet haben.

Zur Erfolgsbilanz gehört auch das Transplantationsgesetz. Umso mehr bin ich verärgert und frustriert darüber, dass die Skandale die Debatte so erschwert haben. Mein Fazit: Vieles trägt eine blau-gelbe Handschrift. Ich gebe zu, dass ich bei einigen Punkten noch weiterkommen möchte...

...zum Beispiel?

Etwa bei der Kostenerstattung und bei der GOÄ. Mein Ziel ist es, dass die Qualität der Leistungserbringung besser bezahlt wird. Ich will keine Mittelmaß-Finanzierung. Das sind die Herausforderungen der nächsten Legislaturperiode.

Mit einem Gesundheitsminister Bahr? Was macht Sie da so zuversichtlich bei konstanten Prognosen von um die vier Prozent für die FDP?

Der Wahltag entscheidet. Zudem stimmen mich die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen zwischen über acht und zehn Prozent positiv. Wenn jetzt die Alternativen sichtbar werden, werden viele, die sich noch mehr gewünscht haben, sagen: "Immerhin ist einiges erreicht worden."

Ihre Leserschaft wird sich überlegen, ob sie Parteien unterstützen will, die die PKV abschaffen und die Gewerbesteuerpflicht für Freiberufler einführen wollen. Ich würde gerne weitermachen. Ich habe auch den Eindruck, dass das in der Koalition ähnlich gesehen wird.

Und wenn's nicht klappt? Können Sie sich überhaupt ein (Berufs-)Leben jenseits der Politik vorstellen?

Selbstverständlich, sonst würde ich mich nicht unabhängig fühlen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich bis zu meinem 67. Geburtstag nicht Gesundheitsminister bleiben möchte...

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