"Die Zerrissenheit der Ärzte macht mir Sorgen"

Mit Dr. Leonhard Hansen verlässt am Jahresende ein Schwergewicht die berufspolitische Bühne. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" zieht Hansen Bilanz.

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Hansen, was machen Sie im kommenden Jahr?

Dr. Leonhard Hansen: Ab dem 1. Januar bin ich wieder mit Leib und Seele und vor allem mit viel Zeit Hausarzt. Ich freue mich auf die Arbeit in der Praxis, auf die Gespräche mit Patienten und Hausbesuche. Ich war zwar nie ganz raus aus der Praxis und habe immer einige Stunden dort gearbeitet. Jetzt bekommt diese Tätigkeit wieder eine neue Qualität.

Ärzte Zeitung: Bedeutet das, dass Sie Ihr berufspolitisches Engagement vollständig aufgeben?

Hansen: Nein. Mein Praxispartner weiß, dass ich nicht Vollzeit in der Praxis arbeiten werde. Ich werde meine Tätigkeit im Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses fortsetzen und als Vorsitzender der Finanzausschüsse von IQWiG und Bundesausschuss weitermachen. Ich schließe nicht aus, dass ich auch andere Ämter auf Bundesebene übernehme. Aber ich werde nichts mehr machen, das mit derselben Belastung und denselben Bedingungen verbunden ist wie meine aktuelle Arbeit.

Ärzte Zeitung: Was hat sich vor allem für Sie geändert, seit Sie den Beschluss gefasst haben, das Amt des KV-Vorsitzenden abzugeben?

Hansen: Endlich ist der Druck weg. Dieser Druck war am Ende nicht mehr auszuhalten. Ich habe gemerkt, dass ich anderen Leuten gegenüber immer unduldsamer geworden bin. Jetzt fällt den Kollegen auf, dass ich wieder lachen kann. Ich habe in den vergangenen Jahren 80 Stunden die Woche gearbeitet. 40 Stunden davon entfielen auf die Auseinandersetzung mit Partikularinteressen. Ich würde nichts mehr machen, bei dem dieser Zustand eine Fortsetzung findet.

Ärzte Zeitung: Was waren für Sie die größten Probleme bei der Arbeit als KV-Vorsitzender?

Hansen: Die Dissoziation zwischen der KV und den Ärzten an der Basis. Die Vertreterversammlung sollte eigentlich das Bindeglied sein, aber das hat nicht mehr funktioniert. Vielen Ärzten in der VV ging es um berufs- und verbandspolitische Interessen, nicht um die Verantwortung für die Sicherstellung. Die VV hat meiner Meinung nach ihre Rolle in der neuen KV-Welt noch nicht definiert. Die Interessen der Ärzte an der Basis sind in der VV zu oft außer Blick geraten.

Ärzte Zeitung: Gerade der Einsatz für den Basis-Rollout der elektronischen Gesundheitskarte in Nordrhein hat doch Ihnen den Vorwurf eingebracht, ohne Rücksicht auf die ärztliche Basis zu handeln.

Hansen: Die Gesundheitskarte war ab einem gewissen Zeitpunkt die Projektionsfläche für die Auseinandersetzung zwischen der VV und dem Vorstand. Die Entscheidung, den Basis-Rollout nach Nordrhein zu holen, war richtig, aber da die Kassen zum Beispiel sehr zögerlich agierten, nicht einfach durchzuhalten. Dabei war die Handlungsmaxime von Klaus Enderer und mir von Anfang an, dass wir die Niedergelassenen geschäftsfähig halten wollten. Wir haben das ohne jede ideologische Überlagerung gemacht. Viele Ärzte an der Basis sehen das genauso pragmatisch. Dass mir unterstellt wurde, ich hätte finanzielle Interessen in dem Projekt, hat schon weh getan. Es gibt einige Leute, denen würde ich nicht mehr die Hand geben.

Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie die Hauptprobleme des Systems KV?

Hansen: Große Sorgen macht mir die Zerrissenheit der Ärzteschaft. Die Honorarverteilung ist ein Bereich, in dem ich jede Hoffnung habe fahren lassen. Es gibt innerärztlich keinerlei Bereitschaft, mit einem Kraftakt für wirkliche Honorargerechtigkeit zu sorgen. Als KV können Sie machen, was Sie wollen, jeder rechnet sich arm. Damit verspielen wir in der Öffentlichkeit jeden Kredit. Die Politik ist nach dem Motto "divide et impera" vorgegangen und hat damit Erfolg gehabt. Aber was die Berufsverbände und manche freie Verbände in dieser Hinsicht machen, ist noch viel schlimmer.

Ärzte Zeitung: Hat das KV-System noch Zukunft?

Hansen: Die KV befindet sich in einer Sandwich-Position. Wir bekommen ständig Druck von der Politik und zunehmend Druck von den Ärzten. Die Politik freut sich, dass es den Buhmann KV gibt, der die von ihr vorgegebenen Maßnahmen an die Basis transportieren muss. Aber es wird so kommen wie in der Bibel: Den Sündenbock schickt man einmal in die Wüste, dann ist er weg, und man braucht einen neuen. Ich halte die KV nach wie vor versorgungspolitisch für notwendig und für eine Errungenschaft der Ärzteschaft. Wir brauchen ein politisches Signal, ob man daran festhalten oder dem Wettbewerb freien Lauf lassen will.

Die Frage stellte Ilse Schlingensiepen.

Dr. Leonhard Hansen

Der 59-jährige Dr. Leonhard Hansen ist seit Januar 2000 Vorsitzender der KV Nordrhein. Von 1997 bis zum Rücktritt des Vorsitzenden Dr. Winfried Schorre im Dezember 1999 war er KVNo-Vize. Hansen war von 1985 bis zum Wechsel in die hauptamtliche Tätigkeit Ende 2004 Mitglied der KVNo-Vertreterversammlung. Von 2001 bis 2004 war der Hausarzt aus Alsdorf bei Aachen Vize-Vorsitzender der KBV. Hansen ist verheiratet und hat zwei Kinder. (iss)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Vom Opt-in zum Opt-out

Studie: Widerspruchslösung erhöht Organspende-Zahlen nicht

Lesetipps
Eine kaputte Ampel

© Hechtenberg / Caro / picture alliance

Exklusiv Nach dem Koalitionsbruch

Gesundheitsexperten warnen vor „monatelangem Reformstillstand“

Ein älterer Mann fasst sich an den Kopf. Es ist noch der Rücken einer Ärztin zu sehen

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Pneumonien, Frakturen, Infarkte

Demenz-Patienten durch Antipsychotika offenbar vielfach gefährdet

Blick in das Plenum des Bundestags. Die Fraktionen der SPD und Unions-Parteien haben sich auf ein Datum für die Neuwahl des Bundestags geeinigt. Am 23. Februar 2025 soll gewählt werden.

© Kay Nietfeld / dpa

Leitartikel zum Kompromiss von SPD und Union

Frühere Neuwahlen – vernünftig und ein Hoffnungsschimmer