Leitartikel zur Selbstbeteiligung
Die falsche heile Welt
Gut fünf Milliarden Euro zahlen GKV-Versicherte als Zuzahlung. Um zwei Milliarden werden sie durch den Wegfall der Praxisgebühr entlastet. Dennoch: Das Ausmaß der Eigenbeteiligung ist in Wirklichkeit viel höher.
Veröffentlicht:Das Aus für die Praxisgebühr lässt sich genauso opportunistisch begründen wie ihre Einführung. Derzeit schieben die Krankenkassen und der Gesundheitsfonds Finanzreserven von über 20 Milliarden Euro vor sich her - ein Umstand, der es erlaubt, Bonbons an Ärzte und Patienten zu verteilen.
Als die Praxisgebühr eingeführt wurde - das war 2004 - hatten die Kassen über neun Milliarden Euro Schulden akkumuliert: Der Gesetzgeber verabreichte bittere Pillen.
Die Abschaffung der Praxisgebühr hat nun die Linksfraktion veranlasst, das System der Zuzahlungen insgesamt als unsozial in Frage zu stellen.
Die Bundesregierung hat darauf pflichtschuldigst geantwortet und kommt zu dem Ergebnis, dass Art und Ausmaß des Selbstbeteiligungssystems in der gesetzlichen Krankenversicherung moderat sind.
Beschränkt auf den engen Kreis der Fragen der Linken ist dies zutreffend: Die Zuzahlungslast der GKV-Versicherten liegt bei etwas über fünf Milliarden Euro, in den Jahren 2007 bis 2009 etwas darunter und 2011 bei 5,3 Milliarden Euro.
Eine Dynamik ist nicht sichtbar. Knapp zwei Milliarden Euro wird die Entlastung der Patienten durch den Wegfall der Praxisgebühr, der mit 38 Prozent bedeutendsten Zuzahlung betragen.
Auch die Entwicklung der Zahl der Versicherten, die von der Zuzahlung deshalb befreit sind, weil sie die Überforderungsgrenze erreichen, gibt keinen Anlass zur Sorge.
Bei den chronisch Kranken, bei denen die Zuzahlungsgrenze bei einem Prozent ihres Einkommens liegt, ist sie zwischen 2005 und 2010 nur geringfügig um 3,5 Prozent gestiegen. Die Zahl der Patienten, die mehr als zwei Prozent zuzahlen müssen und deshalb befreit sind, ist dagegen um ein Viertel gesunken.
Diese Zahlen vermitteln eine heile Welt - und das entspricht nicht ganz der Realität ...