Gesundsheitskarte für Flüchtlinge
Diese Länder sagen Nein
Immer mehr Kommunen und Länder sperren sich gegen die Gesundheitskarte, zeigt eine aktuelle Analyse. Im Gesundheitsausschuss wurde das am Mittwoch scharf kritisiert - und auch die BÄK fordert Korrekturen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Weil bei der Einführung der Gesundheitskarte ein bundesweiter Standard fehlt und immer mehr Kommunen und Länder blockieren, bleibt die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern in Deutschland ein Flickenteppich.
Das zeigt eine aktuelle Analyse der Bertelsmann Stiftung. Demnach haben sich mittlerweile auch Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt trotz anfänglicher Bemühungen gegen die Einführung der Chipkarte entschieden. Bei einer ersten Auswertung im Februar sperrten sich lediglich Bayern und Sachsen.
Kritik am deutschen Flickenteppich
Doch auch in Ländern, in denen die Rahmenvereinbarung zwischen Land und Kassen steht, kommt es zu Problemen. So haben sich laut Angaben des GKV-Spitzenverbandes in Nordrhein-Westfalen nur rund 20 der 400 Kommunen für die Unterzeichnung entschieden, und auch in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland weigern sich viele.
Kritisiert wurde dieser "Flickenteppich" auch bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Die Linke-Fraktion kritisierte am Mittwochnachmittag mit ihrem Antrag die Diskriminierung in der Versorgung von Flüchtlingen - auch, weil die Gesundheitskarte nicht flächendeckend eingeführt werde und darüber hinaus das Statusmerkmal "Asylbewerber" auf dem Chip hinterlegt wird. Dass dementsprechend nur eingeschränkte medizinische Maßnahmen abrechenbar sind, stößt auf Unverständnis.
"Damit findet sich zukünftig der Arzt in einer Doppelrolle wieder", so die Befürchtung.Aktuell werde die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden durch ein oft extrem zeit- und personalaufwändiges Antrags- und Prüfverfahren bei den Sozialämtern erschwert, heißt es.
Kosten sparen durch bundesweite Standards
"Selbst Heilmittel, wie etwa Physiotherapie, müssen trotz Vorliegens einer ärztlichen Verordnung in den meisten Bundesländern zusätzlich beim Sozialamt beantragt werden." Auch in Zukunft würden in den Ländern, die keine Gesundheitskarten ausgeben, "medizinische Laien in den Sozialämtern" entscheiden, ob ein anzuerkennender Behandlungsbedarf besteht.
Dass bei der Einführung der Gesundheitskarte bundesweite Standards gelten sollten, betonte auch die Sachverständige Dr. Bernadette Klapper als Vertreterin für die Robert Bosch Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik. Nur so könnten Fehlanreize vermieden werden. Dies vereinfache den Zugang zu Gesundheitsleistungen, baue Bürokratie ab und spare somit Kosten.
Dabei sei aufgrund des unterdurchschnittlich jungen Alters der Flüchtlinge nicht mit hohen Ausgaben zu rechnen, so Klapper: 89 Prozent der Männer und 86 Prozent der Frauen seien unter 40 Jahre. "Handelt es sich nicht um kriegsversehrte oder traumatisierte Personen, heißt jung in der Regel auch gesund." "Die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen durch diese Gruppe ist damit erwartbar unterdurchschnittlich."
Der GKV-Spitzenverband rechne sogar damit, dass die Sozialversicherungssysteme davon profitieren werden - sofern die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt, hieß es im Ausschuss.
Die aktuellen landesspezifischen Regelungen stellten für die GKV zwar keine finanzielle Belastung, wohl aber eine "erhebliche administrative Herausforderung" dar, heißt es in der Stellungnahme.
In Anbetracht der gesetzlichen Vorgaben und der föderalen Rahmenbedingungen sei jedoch auch in Zukunft nicht von einem einheitlichen Zugang zum Gesundheitssystem für Asylbewerber auszugehen, so die Kassenvertreter.
Diese Hoffnung relativierten aber die Medibüros und Medinetze in Deutschland, an 34 Standorten tätige Vermittlungsstellen, die auch Migranten beraten. "Viele (Flüchtlinge) leiden unter Existenzängsten und dauernder Unsicherheit über ihren Verbleib in Deutschland. Multimorbidität und psychische Erkrankungen sind überdurchschnittlich häufig, der Gesundheitszustand ist zum Teil wesentlich beeinträchtigt", beobachteten sie.
Gesundheitssystem gegenwärtig überfordert
Auf die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung zielte daher die Grünen-Fraktion in ihrem Antrag ab. "Die dringend benötigte Behandlung erhalten traumatisierte oder psychisch kranke Flüchtlinge nur im Einzelfall", zeichnen sie die aktuelle Situation.
Grund sei die Minimalversorgung nach dem AsylbLG sowie die fehlende Finanzierung von Dolmetschereinsätzen durch Kassen. Gefordert wird in dem Antrag unter anderem, die Finanzierung und Erreichbarkeit der spezialisierten Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer sicherzustellen und deren Ausbau zu fördern.
"Das Gesundheitssystem ist aktuell noch nicht ausreichend in der Lage, auf die Herausforderungen bedarfsgerecht zu reagieren", kritisierte auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in ihrer Stellungnahme.
Sie unterstützt daher die Forderung der Grünen, die gesetzliche Krankenversicherung per Änderung des SGB V zu zwingen, die Kosten für Dolmetschertätigkeiten zu übernehmen, "wenn eine notwendige Behandlung ohne diese nicht möglich ist".
Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte bereits vor der Anhörung an die Sprachbarriere erinnert und Nachbesserungen am Asylpaket II gefordert.
Nach dem Gesetz kann innerhalb einer Woche über einen Asylantrag entschieden werden. "Unter diesem Zeitdruck und in Verbindung mit meist unzureichenden Sprachkenntnissen besteht die Gefahr, dass eine sorgfältige ärztliche Untersuchung nicht gelingen kann."