Flüchtlingsversorgung

Föderaler Flickenteppich und Gerangel um Kosten

Die Chipkarte sollte eine einheitliche Basis für die Abrechnung der Flüchtlingsversorgung schaffen. Eine Analyse der Bertelsmann Stiftung stellt diese Erwartung nun infrage: Die Versorgungssituation wird wohl ein Flickenteppich bleiben.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG.Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge wird es nicht schaffen, eine bundesweit einheitliche Versorgung der Asylsuchenden zu gewährleisten. Vielmehr wird die Versorgungssituation trotz der Bemühungen einzelner Ländern ein "Flickenteppich" bleiben - auch, weil die Einführung vielerorts an Finanzierungsfragen scheitert.

Zu diesem ernüchternden Ergebnis kommt die Bertelsmann Stiftung in einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse.

Die Umsetzung der Gesundheitskarte in den Ländern läuft demnach schleppend: Sieben Bundesländer stecken noch in Verhandlungen mit den Kassen oder haben höchstens den Entwurf einer Rahmenvereinbarung vorliegen.

 Bis Ende Februar 2016 wurde die Gesundheitskarte für Asylsuchende neben den Vorreitern Bremen und Hamburg lediglich in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingeführt; Brandenburg plant mit dem 1. April.

Bayern und Sachsen wollen von der Möglichkeit keinen Gebrauch machen, und auch Mecklenburg-Vorpommern - die Karte sollte im ersten Quartal des Jahres kommen - hat vergangene Woche beschlossen, die Karte vorerst nicht einzuführen. Asylsuchende müssen damit weiter vor jedem Arztbesuch einen Antrag bei der zuständigen Behörde stellen.

Unterschiede auch innerhalb der Länder

"Es kann nicht sein, dass das föderale Gerangel um die Kosten auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Kommunen ausgetragen wird", kritisiert Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung. "Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden muss bundeseinheitlich geregelt und finanziert werden."

Doch auch die im Asylbeschleunigungsgesetz auf Bundesebene vorgesehene Rahmenvereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und kommunalen Spitzenverbänden wird noch verhandelt. Dies bestätigte eine Sprecherin des Deutschen Städtetags am Mittwoch auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

Vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen könne keine Aussage getroffen werden, wann mit der Rahmenvereinbarung zu rechnen sei.

Neben dem Flickenteppich bei einem Blick auf die Deutschlandkarte beobachten die Experten der Bertelsmann Stiftung jedoch auch Unterschiede innerhalb der Länder: Die Regelungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz etwa kranken laut Analyse daran, dass es den Kommunen freigestellt ist, ob sie teilnehmen.

Die Bereitschaft ist bisher gering: In Nordrhein-Westfalen sind nur 20 Kommunen beigetreten. Im Saarland will die Regierung die Karte ermöglichen, "aber sämtliche Landkreise weigern sich, sie einzuführen", heißt es. Die Kommunen befürchteten, dass für sie Mehrkosten entstehen könnten. Daher sei es dringend erforderlich, die Kommunen vollständig von den Gesundheitskosten zu entlasten.

Eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt unterdessen, dass die Karte bei vielen auf Akzeptanz stößt: Zwei von drei Bundesbürgern befürworten, dass Flüchtlinge mit einer Karte direkt einen Arzt aufsuchen können.

Nur jeder Vierte (26 Prozent) sagte in der ersten Runde, dass sie diese Möglichkeit nicht bekommen sollten. Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung schränkt jedoch ein: 57 Prozent davon würden ihre Meinung ändern, "wenn sich nachweisen ließe, dass bei einer solchen Lösung unter dem Strich geringere Kosten für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen entstünden".

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 10.03.201618:37 Uhr

Manche Bundesländer und Kommunen rechnen mit dem spitzen Bleistift nach!

Denn bevor irgendeine medizinische Dienstleistung (Impfungen) oder ärztliche Kranken-Versorgung stattfindet, will sich z. B. die AOK a l l e i n e über die lukrative Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte (E-Health-Card oder eGK) bei Flüchtlingen und Asylbewerbern erhebliche Mehreinnahmen o h n e erkennbare Gegenleistung zusichern lassen: "Demnach müssen die Gemeinden acht Prozent der Gesundheitsausgaben [bei Krankheit], mindestens jedoch zehn Euro pro angefangenem Behandlungsmonat und Leistungsberechtigtem zahlen."

Das sind reine Verwaltungskosten, denn: "Die Kosten für die Behandlung übernimmt nach wie vor die Kommune; Kassen springen lediglich als Dienstleister ein." eGK-Kosten würden auch anfallen, wenn keinerlei Krankheitsanlässe vorliegen. Und: Untersuchungs-, Diagnose- und Therapie-Honorare nur für die hausärztliche Grundversorgung wären damit niedriger als die reinen Verwaltungskosten der GKV-Kassen.

Auf 1,5 Millionen Flüchtlinge hochgerechnet, ergeben sich mit Einführung der eGK o h n e jegliche medizinische Versorgungsarbeit jährliche Kosten von mindestens 180 Millionen €. Hinzu kommen noch ambulante Kosten für Haus-, Fachärzte, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, sonstige Hilfen wie häusliche Krankenpflege, Psychotherapie, Sozialtherapie etc. bzw. alle klinischen Behandlungen in stationären Krankenhauseinrichtungen.

Und die AOK möchte eine 8-prozentige "Gewinnbeteiligung" an diesen Krankheitskosten, welche Länder und Kommunen dann noch zusätzlich bezahlen sollen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z. Z. Mauterndorf/A)
Quelle: http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/fluechtlinge/article/903418/fluechtlingsversorgung-streitpunkt-gesundheitskarte.html

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