Leitartikel zur Weltgesundheitsversammlung
Ebola hat alle wach gerüttelt
Noch bis 26. Mai ziehen Delegierte aus beinahe 200 Ländern auf der 68. Weltgesundheitsversammlung in Genf Lehren aus Ebola. Der Schock sitzt bei allen tief. Dabei war das Geschehene vorhersehbar - aber keiner wollte es sehen.
Veröffentlicht:GENF. Die Worte der Direktorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren klar. Und einprägsam: "Ich möchte nie wieder erleben, dass diese Organisation mit einer Situation konfrontiert ist, für deren Bewältigung sie nicht vorbereitet, personell nicht stark genug, nicht ausreichend finanziert oder verwaltungstechnisch nicht aufgestellt ist", so Margaret Chan vor 3000 Delegierten aus 194 Ländern bei der 68. Weltgesundheitsversammlung in Genf.
Jetzt stehe ein Jahr des Wandels und der Transformation an. 2015, so Chan, stelle die WHO Weichen.
Fast 11.000 Menschen sind bislang durch Ebola in den drei westafrikanischen Ländern Sierra Leone, Liberia und Guinea gestorben. In den Ländern kam es zum totalen Stillstand, ihr ohnehin fragiles Staats- und Gesundheitssystem brach zusammen.
Und jetzt, gut eineinhalb Jahre nach Bekanntwerden des ersten Ebola-Opfers, jetzt wollen alle alles besser machen. Die WHO will Chan zufolge ein Programm zur Reaktion auf Erregerausbrüche aufstellen, ein Programm, das detailliert vorgibt, was in Krisenfällen innerhalb von 24, 48 und 72 Stunden zu tun ist.
Es soll ein Fonds entstehen, der für Sofortmaßnahmen über Mittel in Höhe von 87 Millionen Euro verfügt. Mitarbeiter sollen stärker geschult, mehr Experten für Krisensituationen ausgebildet, eine bessere Logistik soll geschaffen werden.
Ebola und Resistenzen: Thema für G7-Gipfel
Auch Deutschland prescht mit Maßnahmen voran. Schließlich, so Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Genfer Gipfel, sei der Kampf erst gewonnen, wenn man für die nächste Krise gerüstet sei. Welch' weise Worte!
Die Bundesregierung will für den Aufbau von Gesundheitssystemen in armen Ländern 200 Millionen Euro bereitstellen. Gesundheit wird eines der zentralen Themen der deutschen G7- Präsidentschaft sein und darüber mit den Staats- und Regierungschefs der G7-Gruppe Anfang Juni auf Schloss Elmau beraten. Antibiotikaresistenzen, vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten stehen obenauf der Tagesordnung.
Nicht zuletzt setzen alle Akteure - die in den Reihen der Vereinten Nationen und die von Nichtregierungsorganisationen - auf eine bessere Verzahnung ihrer Arbeit. Damit sie im Krisenfall stärker Hand in Hand arbeiten können.
Das alles klingt gut, macht Sinn und ist notwendig. Doch das alles wussten alle lange vor Ebola.
Dass Ebola so viele Opfer kostete, hat politische und sozio-ökonomische Ursachen: 70 Prozent der Armen leben in Ländern mit einem mittleren Einkommen.
In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern besitzen nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung eine Versicherung. Wer schwer krank wird, gerät in totale Armut.
Die Ausgaben für Gesundheit gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen in den allermeisten Schwellen- und Entwicklungsländern bei ein bis zwei Prozent. Die WHO fordert fünf Prozent. Die Eigenbeteiligung der Patienten ist enorm.
Mangelhaft ist die Infrastruktur: Krankenhäuser mit schlechter Ausstattung, Mangel an Fachkräften. Die wenigen guten Fachkräfte, die es gibt, wandern in die Städte oder ins Ausland ab.
Aus akutem Druck will die Bundesregierung 200 Millionen Euro für den Aufbau von diesen Gesundheitssystemen bereitstellen, davon allein 70 Millionen Euro für Liberia.
Schließlich hat auch der letzte inzwischen verstanden, dass ein vernünftiges Gesundheitssystem elementar für den Umgang mit Krisensituationen wie Ebola ist. Das ist ganz nett. Aber es ist zu spät.
Dass Länder wie Sierra Leone, Liberia und Guinea mit all den genannten Herausforderungen zu kämpfen haben, auch ohne akute Gesundheitskrisen, sollte Menschen an den Schaltstellen der Macht bekannt sein.
Gesundheit ist nirgendwo prioritär
Walter Lindner, der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen die Ebola-Krise, hat Recht, wenn er sagt, es dürfe kein zweites Mal ein solches Kompetenzwirrwarr wie bei Ebola geben.
Auch Professor August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg, trifft einen wunden Punkt mit der Aussage, Gesundheit dürfe nicht länger als transsektorales Thema betrachtet werden.
Bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist Gesundheit lediglich Querschnittsthema - es spielt in allen Bereichen irgendeine Rolle, es spielt aber nicht explizit in einem Bereich die Hauptrolle.
"Ärzte ohne Grenzen" erinnert seit vielen Jahren an die Notwendigkeit, Gesundheitsforschung, die Entwicklung von Impfstoffen, Diagnostika und Therapien voranzubringen.
Die Daten aus der Industrie geben etwas Hoffnung: Die Zahl der Forschungsprojekte hat sich auf derzeit 180 vervielfacht, der Wert der Medikamentenspenden steigt kontinuierlich.
Ebola war nur die Spitze des Eisberges. Immerhin sind nun alle wach gerüttelt. Hoffentlich bleiben sie eine Weile wach.