Der Standpunkt

Ein Balanceakt mit Worten

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Der Autor ist Redakteur im Ressort Gesundheitspolitik der "Ärzte Zeitung". Schreiben Sie ihm: florian.staeck@springer.com

Die Bundesärztekammer hat um jedes Wort gerungen. Das merkt man ihren neuen "Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung" an. Darin wird nicht mehr statuiert, die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspreche "dem ärztlichen Ethos". Stattdessen heißt es nun sehr zurückgenommen, seine Mitwirkung sei "keine ärztliche Aufgabe".

Ist dies ein Zeitenwechsel im ärztlichen Selbstverständnis, oder berücksichtigt die BÄK lediglich erstmals die heterogenen Moralvorstellungen von Ärzten?

Faktisch weicht die BÄK ihre bisher harte Haltung auf und begründet dies damit, es gehe ihr darum, den Widerspruch zwischen Straf- und Berufsrecht aufzulösen: Im Strafrecht gilt der ärztlich begleitete Suizid als nicht strafbar, im Berufsrecht ist er bisher als unethisch verboten.

Tatsächlich ist die kategorische Position der BÄK bei immer mehr Ärzten auf Unverständnis gestoßen, die sich angesichts der Nöte ihrer schwerstkranken Patienten allein gelassen fühlen.

Bei einer Allensbach-Umfrage unter Ärzten in Klinik und Praxis im Sommer vergangenen Jahres befürwortete fast jeder dritte Befragte eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids. Die BÄK-Grundsätze sind somit auch ein Versuch, Standesethik und plurale Moralvorstellungen der Ärzteschaft wieder in Deckung zu bringen.

Kritik für diesen Schritt ist der Bundesärztekammer sicher. Am schwersten dürfte der Vorwurf wiegen, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis verändert wird, wenn die Suizidbeihilfe künftig wie eine ärztliche Leistung eingefordert werden kann.

Andererseits: Als Gegenargument zu liberalen Suizidregeln wird oft reflexhaft auf eine bessere Palliativmedizin verwiesen. Doch wer den quälend langsamen Ausbau der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) beobachtet, der weiß um den Phrasencharakter dieser Forderung in der politischen Debatte.

Die neuen Grundsätze der BÄK sind vor diesem Hintergrund ein Balanceakt mit Worten. Sie können nicht mehr sein als ein Auftakt zu einer Debatte über die Versorgung von Menschen am Lebensende.

Lesen Sie dazu auch: Assistierter Suizid: BÄK verzichtet jetzt auf Unwert-Urteil BÄK: Assistierter Suizid ist keine echte Option

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Kommentare
Gabriele Wagner 21.02.201112:48 Uhr

Balanceakt mit Worten

Per E-Mail erreichte uns der folgende Kommetar von Professor Gerd Eberhardt:

Sehr geehrter Herr Staeck, ich kann nur sagen, dass die Aspekte des Lebens und des Sterbens mit 84 J.völlig anders aussehen als in jüngeren Jahren.Die phrasenhafte, auch von kirchlicher Seite viel gepriesene flächendeckende palliativmedizinische Versorgung ist bis auf weiteres eine absolute Illusion !
Nach langjähriger ärztlicher Erfahrung befürworte ich eine Suizidbeihilfe in prognostisch hoffnungslosen Situationen.Eine diesbezügliche Äußerung in der Patientenverfügung könnte m.E. bei der Umsetzung des Selbstbestimmungsrechtes (!) hilfreich sein.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Gerd Eberhardt

Dr. Jürgen Schmidt 19.02.201107:09 Uhr

Die Ethik folgt der Realität

Säkulare Trends in der (medizinischen) Ethik führen zu vorübergehenden Schwebezuständen, bevor die Werteverschiebungen klarer hervor treten. Hier handelt es sich nach bisheriger Betrachtung um den ethischen Wert des Lebens, als einer Gabe der Schöpfung einerseits, und den Perspektivwechsel zu einem Selbstbestimmungsrecht des Menschen auf der anderen Seite. Das Rollenverständnis der Ärzte, passt sich dem gesellschaftlichen Wertewandel an.
Zudem folgt diese Änderung medizinisch ethischer Richtlinien bestehender Praxis.
Wenn die Gesellschaft meint, Schranken setzten zu müssen, soll sie eine Meldepflicht für den assistierten Suicid einführen, oder diesen unter richterlichen Vorbehalt stellen. Wenn man das nicht will, muss man sich auf das Gewissen des Arztes verlassen.
Diese Debatte steht uns erst noch bevor.

Dr. Thomas Georg Schätzler 18.02.201114:21 Uhr

Juristisch-Medizinische Balance in der ethischen Debatte

Nach der Allensbach-Umfrage unter Ärzten in Klinik und Praxis in 2010 befürwortete fast jeder dritte Befragte eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids. Welche Position hatten die anderen zwei Drittel der Mediziner? Und was soll "ärztlich assistierter Suizid" bei unseren Patienten sein? "Aktive" oder "passive" Sterbehilfe? Beachtung und Befolgung einer Patientenverfügung? Unterlassene Hilfeleistung? Respektieren eines unumkehrbaren Sterbeprozesses? Einstellung potentiell lebensverlängernder Maßnahmen? Hochdosierte Schmerztherapie? Was tun, wenn es keine (eindeutige) Willenserklärung (mehr) gibt?

Ein wesentliches Problem ist, dass es den behaupteten "Widerspruch zwischen Straf- und Berufsrecht" nicht gibt: Im Strafrecht gilt der ärztlich begleitete Suizid nur dann als nicht strafbar, wenn die ärztliche Tätigkeit am Patienten nicht als (strafbares) Töten auf Verlangen (§ 216 StGB) interpretiert werden kann. Außerdem ist das Berufsrecht prinzipiell dem geltenden Strafrecht untergeordnet und kann sich nie über die Bundesgesetzgebung hinwegsetzen.

Was sich, ohne Zutun der BÄK, juristisch verändert positioniert, ist die Garantenpflicht der Ärztinnen und Ärzte: Wie der Bundesgerichtshof (BGH) klarstellte, bedeute diese eben auch, dass bei unzweideutiger Willenserklärung eines Sterbenden gerade n i c h t die ärztliche Verpflichtung bestehe, ihn reanimieren, "retten" und "künstlich" am Leben erhalten zu müssen. Der Wunsch nach einem Tod in Würde und der unumkehrbare Sterbeprozess müsse respektiert werden. Die Verhinderung und Konterkarierung dieses ureigenen Patientenwillens sei nicht statthaft.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM DO

vgl. auch:
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/sterbehilfe_begleitung/article/641505/baek-assistierter-suizid-keine-echte-option.html

Thomas Sitte 18.02.201109:39 Uhr

Neue Grundsätze?

Sehr geehrter Herr Staeck,

danke für Ihren Kommentar. In der Tat sind die Grundsätze ein Balanceakt bei dem man - wie beim Balanzieren leider stets - auch einmal abstürzen kann. Dann wird es, so fürchte ich, kein Netz, keinen Fallschirm und keine Sicherungsleine geben.

Ich bin gespannt auf die nun wieder aufflammende Diskussion zur Sterbehilfe.

Ihr Thomas Sitte

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