Polymedikation
Ein großes Problem bei alten Patienten
Die Behandlung von Patienten mit mehreren Krankheiten stellt für Ärzte eine besonders schwierige Aufgabe dar. Werden die multimorbiden Patienten leitliniengerecht therapiert, drohen Gefahren durch Polymedikation.
Veröffentlicht:BERLIN. Eine akribische Prüfung der bestehenden Medikation, zum Beispiel mit Hilfe des Cochrane-Checkliste oder der Priscus-Liste, ein Medikamentenplan und strukturierte Arzneimittelgespräche einmal im Jahr könnten dazu beitragen, zusätzliche Patientensicherheit zu schaffen, sagte Professor Jost Steinhäuser vom Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein bei einer Veranstaltung der Bundesärztekammer in Berlin.
Multimorbidität sei in den Hausarztpraxen hoch prävalent. Die Behandlung von Patienten mit mehreren Krankheiten sei daher eine der komplexesten Aufgaben der Allgemeinmedizin überhaupt.
Von der Expertise der Hausärzte im Ausschließen von Krankheiten hänge letztendlich der Erfolg von Therapien auch durch Fachärzte ab. "Es braucht einen Arzt, der den Überblick behält", sagte Steinhäuser.
"Muss man alles machen, was man machen kann?"
Über der ersten Tagung der Akademien für Allgemeinmedizin und für Gebietsärzte überhaupt stand die Frage "Muss man alles machen, was man machen kann?" Multimorbidität und die daraus resultierende Polypharmazie müssten Ärzte aber viel mehr zu der Frage führen "Darf man alles machen, was möglich ist?"
Steinhäuser führte das Beispiel einer fiktiven Patientin an: Die 79-Jährige leidet an Osteoporose, Arthrose, Diabetes II und einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Würde sie leitliniengerecht behandelt, müsste sie laut Steinhäuser zwölf verschiedene Medikamente zu fünf verschiedenen Tageszeiten einnehmen.
Folge wären unerwünschte Arzneireignisse. Neun konkrete Medikamenteninteraktionen träten in der Behandlung der fiktiven Patientin auf. Streng verstandene leitliniengerechte Behandlungen und Therapietreue würden also auch Gefahren bergen, so Steinhäuser.
Medikationsplan kommt
40 Prozent der Patienten über 65 Jahren nehmen gleichzeitig fünf Wirkstoffe ein. Wie viele Patienten einen Medikationsplan haben, ist unklar.
Zwischen der angenommenen Zahl von im Umlauf befindlichen Medikamentenplänen und der Realität könne eine Diskrepanz von 75 Prozent liegen, schätzte Steinhäuser.
Mit dem E-Health-Gesetz will die Koalition Medikamentenplänee zunächst in Papierform, ab 2018 verpflichtend in elektronischer Form einführen.
Für die Polypharmazie führten Teilnehmer der sich anschließenden Diskussion unterschiedliche Ursachen an.
Zum einen würde die Lotsenfunktion der Hausärzte konterkariert, wenn Fachärzte Patienten immer wieder einbestellten. Zum andern fehle es den Ärzten an Mut, Patienten zum Beispiel Antibiotika zu verweigern, wenn deren Gabe nicht indiziert sei.
Basisinformationen zu Medikamenten und Gesundheit sollten im Schulunterricht vermittelt und. Patienten stärker in die Therapieentscheidungen einbezogen werden, trugen die Diskutanten vor.