Finanzausgleich

Erstes Spahn-Gesetz auf der Zielgeraden

Das erste Gesetz von Jens Spahn als Gesundheitsminister soll in zwei Wochen durch den Bundestag sein. Die Kassen beschäftigen seine Auswirkungen auf den Finanzausgleich.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Knapp sieben Milliarden Euro im Jahr soll das Versichertenentlastungsgesetz (VEG) den Beitragszahlern in der GKV ab 2019 ersparen. Soviel macht die Einführung der paritätischen Finanzierung der Zusatzbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Aktuell tragen die Arbeitnehmer die jeweiligen Zusatzbeiträge alleine.

Es ist das erste Gesetz, das Jens Spahn als Gesundheitsminister auf den Weg gebracht hat. Am Montag biegt das VEG mit der Sachverständigenanhörung im Gesundheitsausschuss auf die Zielgerade des parlamentarischen Verfahrens ein. Spätestens am 19. Oktober, also in weniger als zwei Wochen, soll der Gesetzentwurf vom Bundestag beschlossen sein. Am 23. November wird sich dann die Länderkammer noch einmal damit befassen.

Weitere zum Teil hoch umstrittene Punkte des Gesetzes sind

  • die Bereinigung unklarer Mitgliedschaften. Dabei handelt es sich um Versicherte, zu denen die Kassen den Kontakt verloren haben. Die zahlen keine Beiträge, verursachen fiktive Beitragsschulden, aber keine Kosten. Da die"Karteileichen" dennoch Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich auslösen, sollen die Kassen rückwirkend bis 2013 zurückzahlen
  • die Senkung der Beiträge gesetzlich versicherter Selbstständiger von 2284 Euro monatlich auf 1142 Euro
  • der Abbau von bei den Kassen gehorteten Überschüssen.

Nachbeben mit Ansage

Diese im Gesetz angelegte Wohltat für die Versicherten ist auf 2020 vertagt. Ab dann sollen die Krankenkassen Teile ihrer inzwischen rund 20 Milliarden Euro schweren Rücklagen abschmelzen. Bis dahin soll der Finanzausgleich der Kassen untereinander (Morbi-RSA) neu aufgestellt sein. An dieser Stelle begegnen sich die beiden Themen – Abbau von Überschüssen und Aufbau einer neuen Finanzarchitektur. Hohe Rücklagen finden sich vor allem bei den AOKen, während die Ersatz-, Betriebs- und Innungskrankenkassen über eine Unterdeckung ihrer Leistungsausgaben klagen. Letztere sehen darin eine Chance, aus ihrer Sicht bestehende Unwuchten des Systems zu korrigieren.

Die Schere zwischen dem AOK-System als ganzem – auch unter den AOken gibt es arme und reiche – hat sich sukzessive geöffnet.

  • Stichwort Nettovermögen: Seit 2013 ist das Vermögen je AOK-Versichertem von 250 auf 345 Euro angestiegen. Bei den drei anderen Kassenarten lag das Vermögen je Versichertem zwischen 221 und 267 Euro.
  • Stichwort Deckungsbeitrag: 2016 erhielten die AOKen aus dem Gesundheitsfonds 1,5 Milliarden Euro mehr als sie ausgegeben haben. Die Ersatzkassen verzeichneten ein Minus von 983 Millionen Euro, die BKKen von 222 und die IKKen von 271 Millionen Euro.

Die Ursachen für die Schieflage liegen nach Ansicht von Vertretern eines Zweckbündnisses der drei Kassenarten in Opposition zum AOK-System in der Systematik des Risikostrukturausgleichs. Kassen mit vielen älteren Versicherten profitierten. Grund sei, dass längst nicht alle diagnostizierten Krankheiten bei alten und multimorbiden Patienten tatsächlich voll behandelt werden könnten, sagte IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl am Donnerstag in Berlin. Daraus ergebe sich eine Überdeckung. Umgekehrt entstünden bei jüngeren Patienten mit mehreren Erkrankungen hohe Unterdeckungen.

Weitere Unwuchten vermutet das Zweckbündnis in der Manipulationsanfälligkeit des RSA-Systems. In Hausarztverträgen gebe es Software, die RSA-relevante Diagnosen häufiger anzeigten als andere Software-Lösungen, sagt die vdek-Vorsitzende Ulrike Elsner. Praxissoftware müsse daher unbedingt kodierneutral gestaltet sein. Auch an dieser Stelle ist Minister Spahn bereits aktiv. Bis 2022 sollen ambulante Kodierrichtlinien verpflichtend eingeführt werden.

Unterschiedliche Auffassungen zwischen den AOKen und der Konkurrenz herrschen auch in der Frage der fiktiven Mitglieder. Für die AOK sind rückwirkende Eingriffe wie im VEG vorgesehen verfassungsrechtlich bedenklich, hat AOK-Bundesverbandsvize Jens Martin Hoyer angemerkt. Dies sieht Franz Knieps vom BKK-Dachverband anders. Für eine unrechte Situation in der Vergangenheit könne man keinen Vertrauensschutz reklamieren. Es gehe zudem um hunderttausende Personen. Schätzungen zufolge könnte bis zu einer Milliarde Euro an Rückzahlungen fällig werden. Jede Menge Diskussionsstoff für die Parlamentarier also.

2,5 Milliarden Euro betrug die Spreizung zwischen den höchsten und den niedrigsten Deckungsbeiträgen der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Quelle: BVA, BMG

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