Norbert Blüm
Geld pflegt nicht
Die große Vision von der Pflege in der Zukunft und ihre problembehaftete Gegenwart prallten bei der Eröffnung des Kongress Pflege 2015 aufeinander.
Veröffentlicht:BERLIN. Manchmal ist es gut, einer Stimme aus dem vorigen Jahrtausend zu lauschen. Einordnend und Sprache als Ausdruck von Gesinnung entlarvend. Einer Stimme, die den Technokraten misstraut und die menschliche Dienstleistung klar über der Sozialmechanik ansiedelt
Norbert Blüm (CDU) verfügt über eine solche Stimme. In seiner Ansprache zur Eröffnung des Kongress Pflege 2015 von Springer Medizin ließ der 79-Jährige, der als "Vater" der sozialen Pflegeversicherung" gilt, die aktuelle Pflegepolitik zunächst links liegen und wandte sich dem Grundsätzlichen zu.
Eine Maschine zu bedienen, gehe uns leicht von der Zunge, sagte Blüm. Einen Menschen zu bedienen, gelte als unterwürfig. "Die richtige Wertehierarchie ist jedoch: Die Maschine muss beherrscht werden, und der Mensch bedient", sagte Blüm vor fast eintausend Besuchern der Eröffnungsveranstaltung.
Appell für Solidarität
Wenn die Pflege nur unter der Ratio des Geldes gesehen werde, dann wisse er nicht, ob sie ihre Aufgabe erfüllen könne. Man könne fast alles mit Robotern machen. Kostengünstig sei das allemal. Aber: "Wollen Sie diese Gesellschaft?", fragte Blüm.
Der Mann, der unter Helmut Kohl 16 Jahre lang Ministerämter bekleidete, mahnte Solidarität in der Gesellschaft an. Der Starke müsse für den Schwachen eintreten. Lebensabschnittweise fänden sich alle sowohl in der Rolle des Schwachen als auch in der des Starken wieder.
Die Sozialversicherung halte er für eine emanzipative Institution, zwischen eigenverantwortlicher und kollektiver Vorsorge angesiedelt. Private Anstrengungen seien weiterhin nötig, aber die Basis der Sozialversicherung sei eine große Errungenschaft.
Hartz IV und sinkende Renten hingegen bedeuteten mehr Staat. "Die als Privatisierer ausgezogen sind, kommen mit zerrissener Hose als Verstaatlicher nach Hause. Das ist die Dialektik des Teufels", sagte Blüm.
Die aktuelle Pflegepolitik ließ Blüm nicht aus. Er warnte vor einer Geringschätzung der Pflegeberufe durch niedrige Löhne und den Zwang zur Teilzeitbeschäftigung. Das eigentliche, große Thema der Pflege sei aber, den Raum zwischen Heim und Zuhause zu füllen.
Die Zukunft der Pflegeversicherung und der kommunalen Sozialpolitik hänge daher von der Fantasie der Städteplaner und von einer Kultur der Nachbarschaft ab, sagte Blüm.
"Wir haben keinen blassen Schimmer"
Noch muss sich die Pflege mit vergleichsweise profanen Qualitätssicherungsroblemen herumschlagen. Die Prävalenzen von Mangelernährung, Dekubiti und Stürzen ist weitgehend unbekannt.
"Die pflegeepidemiologische Datenlage ist desaströs. Wir haben keinen blassen Schimmer", sagte der Osnabrücker Pflegewissenschaftler Professor Andreas Büscher.
Eine stärker sektorenübergreifende Perspektive bei der Entwicklung von Qualitätsindikatoren mahnte Karen Pottkämper vom Aqua-Institut in Göttingen an. Das System stoße schon beim Entlassmanagement an seine Grenzen.
Sie fürchte, dass das neue Qualitätsinstitut (IQTiG) rein ärztlich dominiert sein werde. "Das ist gar nicht gut", sagte Pottkämper.
Peter Bechtel, Pflegedirektor am Herzzentrum in Bad Krozingen, stellte die Nachhaltigkeit von Qualitätszertifikaten in Frage. Vor den Audits herrsche in den Einrichtungen Hyperaktivität, danach fielen die Betriebe wieder in ihren alten Trott zurück.
Qualität benötige jedoch permanente Kontrolle-