Schmerzmedizin

Gericht plädiert für Cannabis-Eigenanbau

Weil die Kosten für Cannabis aus der Apotheke zu hoch sind, möchten drei Patienten die Pflanzen anbauen. Vor Gericht haben sie einen Etappensieg errungen.

Von Jonas Tauber Veröffentlicht:
Zartes Pflänzchen Hoffnung: Zu therapeutischen Zwecken könnten drei Schmerzpatienten Cannabis demnächst in Eigenregie anbauen, wenn das BfArM entsprechend entscheidet.

Zartes Pflänzchen Hoffnung: Zu therapeutischen Zwecken könnten drei Schmerzpatienten Cannabis demnächst in Eigenregie anbauen, wenn das BfArM entsprechend entscheidet.

© nicky39 / fotolia.com

KÖLN. Das Kölner Verwaltungsgericht hat am Dienstag drei Männern Recht gegeben, die gegen ein Verbot des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geklagt hatten, Cannabis zu schmerztherapeutischen Zwecken selbst anbauen zu dürfen.

Das BfArM muss jetzt erneut über ihren Antrag entscheiden. Zwei weitere gleichgelagerte Klagen wurden dagegen abgewiesen. "Das Ergebnis zeigt, dass es um Ausnahmeentscheidungen geht", so der Vorsitzende Richter Andreas Fleischfresser zur Urteilsbegründung.

Der Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken sei nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, insbesondere dann, wenn keine Alternativen existierten.

Alle fünf Kläger hatten die Erlaubnis, Cannabis in der Apotheke zu kaufen, klagten aber über die hohen Kosten. In der Verhandlung vor knapp zwei Wochen bezifferte einer der Kläger sie auf 650 Euro im Monat. Die gesetzlichen Krankenkassen kommen dafür nicht auf.

Anbau im Schlafzimmer tabu

Neben der Grundvoraussetzung, dass Patienten alle alternativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben müssen, machte das Gericht die Erlaubnis zum Eigenanbau davon abhängig, dass die Pflanzen vor dem Zugriff Dritter geschützt sind. Das ist in der Privatwohnung demnach nur in einem separaten Zimmer möglich.

Die Kammer lehnte eine Klage ab, weil der Betroffene die Pflanzen im Schlafzimmer anbauen wollte. "Hier ist der Zugriff Dritter nicht hinreichend auszuschließen", sagte Fleischfresser.

Ein fünfter Kläger erfüllte die Bedingung nicht, alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Der Schmerzpatient habe sich demnach bisher zu einseitig auf die Therapieform Cannabis konzentriert. "Es ist denkbar, dass das Bundesinstitut dem Mann nach diesem Urteil die ursprüngliche Erlaubnis, Cannabis aus der Apotheke zu beziehen, entzieht", sagte Gerichtssprecher Pierre Becker-Rosenfelder.

Die drei erfolgreichen Kläger haben mit dem Urteil noch nicht unmittelbar das Recht auf Eigenanbau erstritten. Der Richterspruch bedeutet lediglich, dass das BfArM erneut über ihre Anträge entscheiden muss.

"Wir gehen aber davon aus, dass die Behörde die Erlaubnis erteilen muss", sagte Richter Fleischfresser. Das Institut könne aber Auflagen machen, insbesondere zu den Sicherungsmaßnahmen.

Solche Sicherungsmaßnahmen müssen laut Fleischfresser verhältnismäßig sein und dürfen nicht etwa so teuer sein, dass den Klägern erneut ein Kostenproblem entsteht. "Die Gefahr, die von Cannabis ausgeht, bewerten wir nicht so hoch wie die, die von anderen Stoffen wie etwa Chemikalien ausgeht", sagte er.

Urteil ist "Notlösung"

Die Kläger haben das Recht auf einen zeitnahen Entscheid ihres Antrags durch das BfArM. Lässt es sich länger als drei Monate Zeit, können sie gerichtlich dagegen vorgehen. Das BfArM könnte allerdings auch beim Oberverwaltungsgericht Münster Berufung einlegen.

Zu den drei erfolgreichen Klagen sagte Richter Fleischfresser, dass es keine Alternative zum Eigenanbau gebe, weil der Bezug über die Apotheke die Betroffenen finanziell überfordert habe. "Es wäre für den Gesetzgeber ein Leichtes, dieses Kostenproblem zu beseitigen", sagte er. Dafür müsse er lediglich in der Sozialgesetzgebung festlegen, dass die Krankenkassen die Kosten für die Cannabis-Therapie übernehmen.

Einzelentscheidungen im Stil des jetzigen Urteils stellen für Fleischfresser nur eine Notlösung dar. So sei eine konstante Dosierung beim Eigenanbau schwierig. Das Gericht wertete das Recht der Patienten auf Schmerzfreiheit aber höher als daraus resultierende potenzielle gesundheitliche Gefahren.

Harald Terpe, Grünen-Sprecher für Drogenpolitik, bewertete das Urteil als "erneute Klatsche" für die Bundesregierung. Sie verweigere schwer kranken Menschen seit Jahren aus ideologischen Motiven die Genehmigung zum Eigenanbau von Cannabis.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz begrüßte das Urteil. "Die eigene Plantage ist aber keine Lösung", sagte er. "Deshalb fordern die Patientenschützer einen Festbetrag bei der Abgabe der Naturpflanze pro Gramm, der von den Krankenkassen getragen wird."

Az.: 7 K 5203/10; 7 K 4020/12; 7 K 5217/12; 7 K 4447/11; 7 K4450/11

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