Wahltarife

Gesetzliche Kassen dürfen nicht bei Privaten wildern

Neuigkeiten aus Kassel: Die Bundessozialrichter kippen die Kostenerstattungstarife der AOK Rheinland/Hamburg.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Das Bundessozialgericht in Kassel: Die Richter gaben der Klage der Continentale-Versicherung statt.

Das Bundessozialgericht in Kassel: Die Richter gaben der Klage der Continentale-Versicherung statt.

© Bernd Schoelzchen / dpa

KASSEL. Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen im Bereich der Zusatzversicherungen nicht den Privatversicherern direkte Konkurrenz machen. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel verwarf am Dienstag sämtliche entsprechenden Wahltarife der AOK Rheinland/Hamburg. Nach einem weiteren Urteil darf dieselbe AOK zudem nicht mehr mit Vergünstigungen bei bestimmten privaten „Vorteilspartnern“ werben.

Die Wahltarife waren 2007 mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführt worden. Wie die private Krankenversicherung basieren sie auf dem Kostenerstattungsprinzip, und die Ärzte können in Anlehnung an die GOÄ abrechnen. Nach den gesetzlichen Vorgaben müssen sich solche Wahltarife selbst tragen.

Die AOK Rheinland/Hamburg hatte dies direkt mit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang April 2007 als bundesweit erste gesetzliche Krankenkasse genutzt. Art und Umfang sind bis heute bundesweit einmalig.

So bietet sie Tarife mit Kostenerstattung für eine Krankenbehandlung im Ausland, für Zuzahlungen sowie Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus, Zahnersatz und Zahnvorsorgeleistungen, kieferorthopädische Leistungen, Brillen sowie für ergänzende Leistungen der häuslichen Krankenpflege an. Nach eigenen Angaben hatten 2018 rund 500.000 Versicherte einen oder mehrere dieser Wahltarife abgeschlossen, überwiegend die Auslandsversicherung.

Wer war der Kläger?

Dagegen klagte die private Continentale Krankenversicherung. Die AOK Rheinland/Hamburg mache ihr hier unzulässige Konkurrenz. Dadurch werde die Berufsfreiheit der Privatversicherer verletzt.

Das BSG bestätigte nun zunächst die Klagebefugnis der Continentale. Die gesetzlichen Schranken der gesetzlichen Krankenversicherung seien „Drittschützend“, sodass der Privatversicherer einen Unterlassungsanspruch geltend machen könne.

Inhaltlich gaben die Kasseler Richter der Klage vollständig statt. Für die Wahltarife der AOK Rheinland/Hamburg gebe es keine gesetzliche Grundlage. Der Gesetzgeber habe nur Wahltarife mit höherer Kostenerstattung entsprechend der GOÄ gewollt, hier aber nicht eine Ausdehnung des Leistungskatalogs.

Zulässig seien Wahltarife zudem auch nur für komplette Leistungsbereiche, etwa die Zahnbehandlung oder die stationäre Krankenhausbehandlung, nicht aber für ausgewählte Einzelleistungen, etwa Zahnersatz oder Einzelzimmer im Krankenhaus.

In der Vorinstanz hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen die Wahltarife für Zahnersatz oder höhere Leistungen bei der häuslichen Krankenpflege noch für zulässig gehalten.

Das BSG hat nun aber auch diese Tarife verworfen. Das Gesetz lasse hier zwar sogenannte Satzungsleistungen zu, auf Wahltarife sei dies aber nicht übertragbar. Satzungsleistungen gelten für alle Versicherten und müssen bereits vom regulären Beitragssatz gedeckt sein.

Nach einem weiteren Urteil darf die AOK Rheinland/Hamburg auch nicht mehr mit Vergünstigungen bei bestimmten privaten „Vorteilspartnern“ werben. Im Internet hatte die AOK mit Rabatten etwa bei Kochkursen, Bädern und Freizeitparks geworben; beim Kauf eines E-Bikes sollte es als Dreingabe für AOK-Versicherte einen Fahrradhelm oder ein Fahrradschloss geben. Dagegen hatte der Verband der Ersatzkassen geklagt. Das BSG gestand nun zunächst dem vdek ein Klagerecht für seine Mitglieder zu. Inhaltlich betonten die Kasseler Richter, die gesetzlichen Krankenkassen müssten sich „innerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs bewegen“. Zudem seien sie zur gegenseitigen Rücksicht verpflichtet. Gegen beides habe die AOK Rheinland/Hamburg hier verstoßen.

Urteile des BSG:

Az.: B 1 KR 34/18 R (Wahltarife) und B 1 KR 16/18 R („Vorteilspartner“)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: BSG-Urteil: Gerechte Lösung gesucht

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