Lancet Countdown Gesundheit und Klimawandel 2021

Gesundheitswesen hat seine Klima-Hausaufgaben nicht gemacht!

Deutschland ist nur unzureichend für die gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels gerüstet, kritisieren die Autoren des aktuellen Lancet Countdown Policy Briefs.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Dem Gesundheitswesen kommt in Sachen Klimawandel und -schutz eine doppelte Rolle zu: Einerseits gilt es, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels abzufangen, andererseits trägt das Gesundheitswesen selbst nicht unerheblich zum CO2-Ausstoß bei.

Dem Gesundheitswesen kommt in Sachen Klimawandel und -schutz eine doppelte Rolle zu: Einerseits gilt es, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels abzufangen, andererseits trägt das Gesundheitswesen selbst nicht unerheblich zum CO2-Ausstoß bei.

© Aukid / stock.adobe.com

Berlin. Der Flutsommer in Deutschland hat sich bei vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Hat hier die medizinische Versorgung trotz aller Widrigkeiten doch gut funktioniert, sähe es bei einer extremen Hitzewelle, wie sie dieses Jahr etwa Südeuropa heimgesucht hat, anders aus. Die Bundesrepublik sei für diesen Katastrophenfall „nicht gerüstet“, heißt es im Lancet Countdown Policy Brief für Deutschland 2021. Denn nur wenige Kommunen hätten bisher Hitzeaktionspläne umgesetzt.

Kaum Hitzepläne vorhanden

In den meisten Fällen sei es dabei zudem nicht gelungen, Akteure aus dem Gesundheitssektor, wie Ärzte, Rettungsdienst und Kliniken in die Entwicklung der Pläne einzubinden. Dies aber schränke die Wirksamkeit im Krisenfall erheblich ein. „Eine der vordringlichsten Aufgaben der neuen Bundesregierung muss deshalb sein, gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Verantwortlichkeiten zur Vorbeugung klimabedingter Gesundheitsgefahren zu definieren und bestehende gesetzliche Vorgaben zu evaluieren“, so Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Aber nicht nur an dieser Stelle haben die Entscheider im Gesundheitswesen und der Politik ihre Klimahausaufgaben nicht gemacht, kritisieren die Experten von Bundesärztekammer, Berliner Charité, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Helmholtz Zentrum München in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Bericht.

Seit 2019 erstellen sie jährlich zum „Lancet Countdown on health and climate change“, der für 2021 ebenfalls gerade publiziert wurde, einen flankierenden Situationsbericht für Deutschland und sprechen politische Empfehlungen aus. Dieses Jahr ging es darum, den Umsetzungsstand der Handlungsempfehlungen aus 2019 zu überprüfen. Das ernüchternde Ergebnis: Das Bewusstsein für den Ernst der Lage wachse bei den Entscheidungsträgern, die notwendigen Handlungen blieben hingegen meist aus.

Scharf kritisiert wird außerdem, dass das Gesundheitswesen, das für rund fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, selbst bislang kaum Anstrengungen unternimmt, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu senken.

Nachholbedarf in der Ausbildung

Bereits 2019 hatten die Experten in ihrem Policy Brief zudem gefordert, dem Thema Klimawandel und Gesundheit bzw. Planetary Health eine größere Rolle in der Aus- und Fortbildung von Gesundheitsberufen zukommen zu lassen. Zwar seien Prozesse eingeleitet, um die Thematik in die Curricula zu integrieren, diese stünden aber noch am Anfang. Und oft seien die Klimainhalte im freiwilligen Teil der Curricula verankert.

„Es reicht nicht, wenn Einzelne ihr Verhalten ändern. Wir müssen auch die Verhältnisse ändern. Das ist bisher leider an viel zu wenigen Stellen passiert“, moniert Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Berliner Charité und Leiterin der Forschungsabteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Ebenso wie BÄK-Präsident Reinhardt mahnt sie die Schaffung klarer Verantwortlichkeiten an. „Klimaschutz und Klimaanpassung müssen zur Priorität werden, weil es dabei um unsere Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit geht“, so Gabrysch.

Für die Zwischenbilanz wurden Mitarbeitende des Bundesgesundheitsministeriums, der Gesundheitsämter, des Spitzenverbands der Kommunen, von Krankenhäusern, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen sowie Hausärztinnen und Hausärzte, Experten auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes, des Medizinrechts, der Lehre, der Pflege- und Gesundheitswissenschaften sowie der Physiotherapie und Psychologie befragt.

Diese Maßnahmen schlagen die Experten vor

Unter anderem schlagen die Autoren des Health Policy Briefs nun folgende Maßnahmen vor:

Bei den Hitzeaktionsplänen (dies sollte in den kommenden ein bis zwei Jahren geschehen:

  • Eine gesetzliche Verankerung von gesundheitsbezogenem Hitzeschutz. Dies sei Voraussetzung, um Hitzeaktionspläne als Aufgabe auf Landes- und kommunaler Ebene zu priorisieren und eine entsprechende Ausstattung zu gewährleisten.
  • Eine Klärung der Zuständigkeit für gesundheitsbezogenen Hitzeschutz in Landesgesetzen (analog zum Brand- und Hochwasserschutz), um eine klare Entscheidungsstruktur und Koordination sicherzustellen. Dabei seien die Schlüsselrolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Verantwortung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes bei Hitzewellen klar zu benennen.
  • Gesundheitsbezogener Hitzeschutz sollte in Bau- sowie in Arbeitsschutzgesetzen entsprechend berücksichtigt werden.
  • Hitzeaktionspläne sollten Handlungsszenarien für außergewöhnlich extreme und komplexe Situationen beinhalten.

In Sachen Reduktion des CO2-Fußabdrucks im Gesundheitswesen:

  • Durch klare Positionierungen können medizinische Fachgesellschaften, Krankenhausgesellschaften, Bundes- und Landesärztekammern das Verständnis für die Dringlichkeit des Handelns fördern und darauf drängen, vorhandene Ressourcen für Klimaschutzmaßnahmen zu mobilisieren.
  • Zur Umsetzung von Sofortmaßnahmen könnten bestehende Konzepte zu Klimaneutralität in Gesundheitseinrichtungen herangezogen und entsprechende Stellen geschaffen werden, die die Umsetzung unterstützen.
  • Die Gesundheitseinrichtungen sollten mittels Reporting zu einer Fortschrittskontrolle bei der Reduzierung ihres CO2-Fußabdrucks bewegt werden.
  • Bundes- und Landesregierungen werden aufgefordert, entsprechende Fördermittel für Klimaschutzinvestitionen bereitzustellen und die dafür maßgeblichen Bewilligungsprozesse unbürokratisch zu gestalten.

Bei der Integration von Planetary Health in Aus- und Weiterbildung:

  • Lehrende und Lernende sollten sich für die Integration von Lehrinhalten zu Klimawandel und Gesundheit bzw. Planetary Health in den verpflichtenden Teil von Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Prüfungsordnungen aller Gesundheitsberufe einsetzen, um eine an zukünftige Herausforderungen orientierte Lehre zu gewährleisten.
  • Bei Neueinstellungen von Personal zur Curriculums-Entwicklung, Qualitätssicherung und Lehre könnte auf Planetary Health-Vorwissen geachtet und ggf. nachgeschult werden.
  • Eine durchgehend hohe Qualität der Lehre einschließlich der Vermittlung anwendungsbezogener und transformativer Elemente sollte flächendeckend sichergestellt und regelmäßig überprüft werden. Dafür sei es notwendig, Anreize zur Qualitätsverbesserung zu schaffen und Verantwortlichkeiten für die Fortschrittsüberprüfung zu klären.
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