Gewaltopfer leiden auch am späten Start der Therapie
Sofortige Hilfe durch fachkundige Therapeuten - nur wenige Opfer von Gewalt können darauf zählen. Das muss sich im Interesse der Betroffenen schnell ändern, fordern Opferschutzverbände. Auch an den Kassenleistungen müsse nachgebessert werden.
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Die Faust im Blick: Für Opfer von Gewalt beginnt nach der Tat oft ein Spießrutenlauf, um nötige Therapien zu erhalten.
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MAINZ (spe). Opfern von Gewalt muss bei Bedarf sofortige Hilfe durch fachkundige Therapeuten zur Verfügung stehen. Dies forderte der gemeinnützige Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten, Weißer Ring (WR), in einer Resolution.
Jährlich werden bundesweit mehr als 600 000 Menschen Opfer von Gewalttaten, wie Sexualdelikte, Einbrüche oder Mobbing. Aber auch persönliche Schicksalsschläge und Nachstellungen (Stalking) können behandlungsbedürftige körperliche und seelische Schäden hervorrufen.
Auf einem Forum des Weißen Rings diskutierten Fachleute aus Politik, Justiz, Polizei, Verwaltung, Medizin, Psychologie und Wissenschaft, welche Leistungen Gewaltopfern nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zustehen.
Hierzu gehört neben finanziellen Leistungen, die sich am Bundesversorgungsgesetz für Kriegsopfer und Hinterbliebene orientieren, der Anspruch auf Heilbehandlung bei psychischen oder körperlichen Schäden. Voraussetzung ist, dass das Opfer nachweisen kann, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung Folge einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Tat ist.
"Dies stößt im Einzelfall auf erhebliche Schwierigkeiten", so Barbara Wüsten, Leiterin im Referat Opferhilfe/Recht beim WR. Grund hierfür sei, dass die geltende Versorgungsmedizin-Verordnung nicht die aktuellen medizinischen Erkenntnisse der durch psychische Traumen bedingten Störungen beinhaltet.
Der WR fordert daher, die Verordnung zu überarbeiten, um Rechtssicherheit und schnelle Hilfe für die Opfer herzustellen. Auch sollten Ärzte dazu verpflichtet werden, Gewaltopfer über ihre Rechte auf Behandlung und Entschädigung zu informieren.
Professor Reinhard Böttcher, Bundesvorsitzender des WR, bedauerte zudem, dass Stalkingopfer derzeit keine gesicherten Ansprüche nach dem OEG haben. "Der Kreis der Betroffenen sollte auf diese Personengruppe erweitert werden", so Böttcher. Hilfe sollte außerdem grundsätzlich so lange geleistet werden, wie es notwendig ist.
Dr. Brigitte Bosse, Psychotherapeutin aus Mainz kritisierte, dass eine traumaspezifische Therapie mit der EMDR-Methode (Eye-Movement Desensitization and Reprocessing) in Deutschland bislang keine Kassenleistung sei. Die aus den USA stammende Methode sei zwar wissenschaftlich anerkannt, habe aber leider noch keinen Eingang in die Psychotherapeuten-Richtlinien gefunden.
"Eine Therapie ist jedoch umso effektiver, je traumaspezifischer sie ist und je früher sie ansetzt", so Bosse. Auch gäbe es in Deutschland noch zu wenig speziell für die Behandlung traumatisierter Kinder ausgebildete Therapeuten.