Assistierter Suizid
Hamburg dringt auf ärztliche Positionierung bei Sterbehilfe
Hamburgs Ärzte stoßen bei einer Online-Konferenz die Suche nach innerärztlichem Konsens in der Frage der Suizidassistenz an. Ihre Forderung: Ärzte sollen bei der Diskussion Stellung beziehen.
Veröffentlicht:Hamburg. Die Hamburger Ärztekammer drängt beim assistierten Suizid auf einen intensiven innerärztlichen Austausch und hofft als Folge auf einen breiten Konsens.
Für die Hamburger Kammerspitze ist wichtig, dass sich Ärzte und ihre Institutionen bei der Entwicklung von Lösungsansätzen einbringen und nicht anderen Berufsgruppen das Feld überlassen. Einen Schritt in diese Richtung unternahm die Kammer mit einer als Videokonferenz organisierten Fortbildung, an der in der Spitze 375 Interessierte teilnahmen – eine Resonanz, die Präsident Dr. Pedram Emami und Vize-Präsidentin PD Dr. Birgit Wulff ermutigte, über weitere, vertiefende Angebote zu diesem Thema nachzudenken.
Wulff forderte die Ärzte auf, sich weiter in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, Emami will mit konkreteren Fragestellungen und Lösungsansätzen bei einer möglichen Folgeveranstaltung nachsetzen.
72 Prozent bevorzugen eine Liberalisierung
Wie ist die aktuelle Haltung? 72 Prozent der Teilnehmer einer Adhoc-Umfrage zu Beginn der Veranstaltung zeigten sich als Befürworter einer offeneren Regelung für einen ärztlich begleiteten Suizid. 18 Prozent lehnten eine offenere Regelung ab, zehn Prozent waren unentschieden.
Dass diese Frage überhaupt diskutiert wird, ist Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Paragrafen 217 StGB aus dem vergangenen Jahr. Das Gericht räumt jedem Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben inklusive Beihilfe hierzu ein. Zugleich wurde deutlich, dass niemand zur Suizidhilfe verpflichtet werden darf. Die sich daraus ergebenden Fragen sind nach Ansicht Emamis nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Ärzte elementar. Für die gilt zwar: Sie sollen Hilfe beim Sterben leisten, aber nicht Hilfe zum Sterben.
Wenn aber das Bundesverfassungsgericht Betroffenen das Recht auf eine solche Beihilfe ausdrücklich einräumt, wird diese von anderen geleistet. Wie also reagiert die Ärzteschaft darauf? Falsch wäre es aus Sicht der Hamburger Ärztekammer, gar nicht zu reagieren.
Spielraum aus juristischer Sicht ist gegeben
„Wer, wenn nicht wir, sollte sich bei diesen Überlegungen einbringen“, fragte Emami. Dass der Spielraum dafür aus rechtlicher Sicht gegeben ist, bestätigte Professor Karsten Gaede vom Institut für Medizinrecht an der Bucerius Law School: „Beihilfe zum Suizid ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichtes kein unärztliches Tun.“
Auch die Zahlen sprechen dafür, dass sich Ärzte verstärkt mit dem Thema beschäftigen sollten: Rund 100.000 Suizidversuche gibt es jedes Jahr in Deutschland. 9396 Menschen begingen im Jahr 2018 in Deutschland Suizid. 60.000 Angehörige hatten mit den Folgen dieser Selbsttötungen zu kämpfen, wie Reinhard Lindner, Professor für Theorie, Empirie und Methoden der sozialen Therapie am Institut für Sozialwesen der Uni Kassel berichtete.
Während mehr Männer als Frauen Suizid begehen, ändert sich das Geschlechterverhältnis beim assistierten Suizid. Weitere Faustregel: Je höher das Alter, der Bildungsgrad und sozioökonomische Status, umso größer ist bei Selbsttötungsgedanken der Wunsch nach assistiertem Suizid. Auslöser für die Taten sind häufig Verluste und Trennungen, interpersonelle Konflikte oder Ängste.
Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit
Für Lindner steht fest, dass medizinische Behandlung die Suizidalität verändern kann, ebenso wie eine selbstbewusste Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Autonomie – Menschen, die sich zu diesen Themen eine Haltung aneignen, entwickeln einen starken inneren Schutz. Externe Schutzfaktoren sind starke familiäre und soziale Bindungen. Wie erleben Ärzte Menschen mit Suizidgedanken in ihrem beruflichen Umfeld?
Die Palliativmedizinerin Dr. Maja Falckenberg aus der Schmerzambulanz Alten Eichen betrachtet einen Sterbewunsch keinesfalls als „Handlungsauftrag“, sondern als Hilferuf. Bei dem Satz „Ich will nicht mehr leben“ könne man ein „so“ vor dem „nicht“ mitschwingen hören, meint Falckenberg.
Für sie ist eine wichtige Frage, die Ärzte vor solchen Gesprächen mit Patienten zu klären haben, die nach der eigenen Rolle: Interpretiert man diese eher in Richtung Fürsorge oder in Richtung Stärkung der Patienten-Autonomie? Fest steht für sie, dass Ärzte in den Gesprächen dazu beitragen sollten, einen Weg aus der vermeintlichen Ausweglosigkeit aufzuzeigen.
Mobile Ethikkommission als Berater für Ärzte
Erste Lösungsansätze wurden in der Fortbildung bereits angerissen – etwa die Anregung einer mobilen Ethikkommission, die mit dem Thema assistierter Suizid konfrontierten niedergelassenen Ärzten und deren Patienten beratend zur Seite stehen könnte. Emami und Wulff zeigten sich aufgeschlossen, diese Frage in Hamburg zu vertiefen.
Viele andere Fragen, die sich zu diesem Thema ergeben, konnten in der Fortbildung noch nicht beantwortet werden. Deutlich wurde für Emami, dass sich Ärzte ihrer Verantwortung in dieser Frage bewusst sind und sich eben nicht „aus der Debatte herausschleichen“. Nun hofft er auf eine Intensivierung in Hamburg – und dass diese Diskussion bundesweit forciert wird und es nicht zu Insellösungen kommt.