Diagnostik
Hausärzte machen oft mehr als nötig
Über- und Unterdiagnostik in Hausarztpraxen: Eine aktuelle Analyse zeigt, wo genau Hausärzte ihr Ziel verfehlen.
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Echokardiografie wird allgemein zu oft, allerdings bei Herzinsuffizienz zu selten eingesetzt.
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OXFORD. In Spezialistenkreisen wird über die Allgemeinmedizin nicht selten die Nase gerümpft – ganz so, als wäre sie eine Domäne von Barfußärzten, die ihre Patienten vielleicht engagiert, aber nicht besonders kenntnisreich versorgten.
Das Gegenteil ist der Fall, wie Forscher um Dr. Jack O'Sullivan vom Zentrum für Evidenzbasierte Medizin der Universität Oxford betonen.
"In der Primärversorgung eine Diagnose zu stellen, ist ein außerordentlich komplexer Vorgang", erklären die Forscher. Der Grund für die Schwierigkeiten liege in einer Kombination aus undifferenzierten Symptomen, einer geringen Prävalenz ernster Erkrankungen sowie einem hohen Grad an Überlappung von Symptomen ernster und benigner Krankheiten. Zudem seien die Patienten oft von multiplen Beschwerden geplagt, ihre psychosoziale Stresssituation manifestiere sich somatisch.
63 Studien aus 15 Ländern
Für rund 40 Prozent der Konsultationen in der Primärversorgung reichen Anamnese und körperliche Untersuchung nicht für eine Diagnose aus. Dann sind weitere Tests nötig. Dabei kann es passieren, dass Nötiges unterbleibt und Unnötiges zum Einsatz kommt.
O'Sullivan und Kollegen haben 63 Studien aus 15 Ländern – darunter die USA, das Vereinigte Königreich, Finnland, Schweden, die Niederlande, Frankreich und Italien – einer Metaanalyse unterzogen, um etwaiger Über- und Unterdiagnostik auf die Spur zu kommen.
Ausgewertet wurden die Daten von mehr als 350.000 Patienten, die 47 verschiedenen Tests unterzogen worden waren. Maßgeblich für die korrekte Indikation von Tests waren einschlägige Leitlinien (BMJ Open 2018; 8: e018557).
Manche der Tests wurden fast nie, andere so gut wie immer in unangemessener Weise verwendet. An der Spitze der zu selten gemachten Untersuchungen standen die Hepatitis-B-Serologie bei Verdacht auf akute Hepatitis, der Test auf Neisseria gonorrhoeae bei Verdacht auf Epididymitis und die Untersuchung auf Chlamydia trachomatis, ebenfalls bei Verdacht auf Epididymitis.
Oft zu kurz kam auch die Lungenfunktionsprüfung. Alles in allem lag die Quote an Unterdiagnostik von 17 Tests bei über 50 Prozent.
Rachenabstriche häufig unnötig
Zu häufig wurden die Patienten hingegen zum Bariumschluck geschickt, um eine gastroösophageale Refluxkrankheit abzuklären. Auch Rachenabstriche auf der Suche nach Streptokokken bei Pharyngitis waren oft unnötig, ebenso die Anlage von Urinkulturen für die Diagnose einer unkomplizierten Harnwegsinfektion. Die Rate von Überdiagnostik erreichte bei elf Tests mehr als 50 Prozent.
Daneben gab es Diagnoseverfahren wie die Echokardiografie, die allgemein betrachtet zwar zu häufig vorgenommen wurde, in bestimmten Indikationen, wie etwa bei Herzinsuffizienz oder bei Vorhofflimmern, wurde sie jedoch zu selten eingesetzt.
Auch zur Ösophagogastroduodenoskopie wurden Patienten manchmal zu selten und manchmal zu häufig überwiesen. Gleiches galt für die Koloskopie, die insgesamt zu häufig, zur Abklärung einer unklaren Eisenmangelanämie aber zu selten zur Anwendung kam.