Palliativmediziner veröffentlicht Buch

"Hausärzte sind ein Schutzwall"

In seinem Buch "Patient ohne Verfügung" kritisiert Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns die Fehlanreize des Vergütungssystems. Sterbende, so sein Fazit, werden häufig übertherapiert.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

Köln. Das Problem der Übertherapie am Lebensende treibt den Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns schon seit einigen Jahren um. Jetzt hofft der Arzt aus dem westfälischen Witten, dass sich die Politik des Themas annehmen wird.

Immer wieder stößt Thöns in seiner täglichen Arbeit auf Fälle, in denen bei schwerstkranken und sterbenden Patienten in Kliniken Leistungen erbracht werden, obwohl die Aussichtslosigkeit häufig absehbar ist. "Es wird quasi auf dem Sterbebett operiert, bestrahlt und chemotherapiert", sagt er. Für Thöns ist es mehr als nur eine Vermutung, dass sich hier die Fehlanreize der Vergütungssystematik zulasten der Patienten auswirken – und nicht nur das: "Ich halte dies für das größte Problem der Sozialsysteme." Schließlich falle die Hälfte der gesamten Gesundheitsausgaben ins letzte Lebensjahr.

Was er besonders schlimm findet: Bei Patienten und Angehörigen werden häufig falsche Erwartungen geweckt. "Viele Patienten machen alles, wenn ihnen nur ein kleiner Hoffnungsschimmer angeboten wird."

Thöns geht es nicht um eine pauschale Kritik an den Kollegen, die im Krankenhaus tätig sind. "Ein Großteil der Ärzte arbeitet korrekt", betont er. Manche Ärzte würden von der Erbringung hochbewerteter Leistungen aber direkt profitieren, andere beugten sich dem Druck der Klinikleitungen. Im ambulanten Bereich gibt es nach seiner Einschätzung vergleichbare Fehlentwicklungen bei sterbenden Patienten nicht.

Auch viele Hausärzte sind nach der Erfahrung des Palliativmediziners unglücklich mit dem, was zum Teil in den Kliniken passiert. Thöns appelliert an die Kollegen, sich für diese Patienten einzusetzen und das Gespräch mit den Krankenhausärzten zu suchen. Sie kennen häufig den Willen der Patienten oder können ihn im Gespräch mit den Angehörigen besser ermitteln als die Klinikärzte, sagt er. "Die Hausärzte sind ein Schutzwall für ihre Patienten."

Wenn Ärzte auf gravierende Fälle von Übertherapie treffen, können sie sich gern mit Thöns in Verbindung setzen, sagt er. Der Arzt hat zu dem Thema ein Buch veröffentlicht, das auf große Resonanz gestoßen ist. Seitdem habe er viele Zuschriften mit Erlebnisberichten erhalten, die seine Erfahrungen bestätigen, gerade auch von Pflegekräften aus Kliniken. "Bis heute habe ich keinen einzigen Brief von einem Rechtsanwalt bekommen."

Thöns hofft, dass sich angesichts der großen Resonanz auf das Buch auch die Politik bewegt. Optimistisch stimmt ihn ein Gespräch, das er gerade mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geführt habe. Fest steht für den Palliativmediziner jedenfalls: "Ich werde an dem Thema dranbleiben."

Matthias Thöns: "Patient ohne

Verfügung", Piper Verlag,

ISBN 978-3-492-05776-9, 22 Euro.

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Kommentare
Rudolf Hege 14.02.201714:04 Uhr

Schwere Ehrlichkeit...

Mir scheint, nicht nur die finanziellen Fehlanreize spielen hier eine Rolle, sondern auch die Schwierigkeit, einem Patienten mit infauster Prognose ins Gesicht zu schauen und zu sagen: Tut mir leid, aber wir können nichts (sinnvolles) mehr für Sie tun. Da ist es leichter, immer noch eine Behandlung zu "probieren". Und - ganz ehrlich - ich würde es vielleicht auch lieber so machen, wenn ich öfter in der Situation wäre. Ich denke, es wäre hilfreich Ärzte auf solche finalen Gespräche besser vorzubereiten - und auch darauf, wie sie mit ihren eigenen Gefühlen danach umgehen.

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