Hausarztpraxen

Hier schlummert Forschungspotenzial

In Hausarztpraxen liegt wissenschaftliches Potenzial brach. Nicht alle Ärzte wollen an Studien teilnehmen. Die Gesellschaft für Allgemeinmedizin schlägt jetzt den Aufbau eines Netzes von Forschungspraxen vor.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Ein hausärztlicher Internist bei der Arbeit. In den Praxen liegt wissenschaftliches Potenzial brach.

Ein hausärztlicher Internist bei der Arbeit. In den Praxen liegt wissenschaftliches Potenzial brach.

© Klaus Rose

BERLIN. Ist bei unkomplizierten Harnweginfekten eine Behandlung mit Antibiotika notwendig, oder geht es auch ohne? Solch praxisrelevanten Fragen gehen Forscher in Studien auf den Grund.

Und zwar dort, wo Blasenentzündungen zum täglichen Geschäft gehören: in den Hausarztpraxen. Doch Allgemeinmediziner für klinische Studien zu rekrutieren, ist ein mühsames Geschäft.

Sinnvoll, so Forscher, wäre deshalb der Aufbau eines großen Netzes von Forschungspraxen. "Unser Labor ist die Praxis!"

Unter diesem Motto veröffentlichte im September 2014 die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zusammen mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Netzwerk "Klinische Studien in der Allgemeinmedizin" ein Positionspapier.

Darin legte die DEGAM dar, warum der Aufbau eines Forschungspraxen-Netzes in Deutschland notwendig ist und auch der öffentlichen Förderung bedarf.

Kaum ambulante Studien

80 Prozent der Patienten werden in Deutschland ambulant behandelt. Und doch, so die DEGAM, gebe es hierzulande kaum hochwertige wissenschaftliche, patientenorientierte Studien, die im "ambulanten Setting" vorgenommen werden.

So müsse für gesundheitspolitische Entscheidungen oft auf internationale Studien zurückgegriffen werden, die aber nur eingeschränkt auf Deutschland übertragbar seien.

Um versorgungsrelevante Fragen "erfolgreich untersuchen und wissenschaftlich fundiert beantworten zu können", sei wie in England, den Niederlanden oder den USA der Aufbau von Forschungspraxen-Netzen als "Laboratorien der ambulanten Versorgung" nötig.

Mit ihnen ließe sich Evidenz für wenig untersuchte Versorgungsfragen generieren, Versorgungsunterschiede zwischen den Regionen könnten erfasst oder die intersektoralen Vernetzungen optimiert werden.

Der Aufbau entsprechender Strukturen sei ohne eine unabhängige, nachhaltige Förderung nicht zu verwirklichen. Die Kosten für ein lokales Forschungspraxennetz bezifferte die DEGAM auf 300.000 bis 500.000 Euro pro Jahr.

Für eine zentrale Koordinierungsstelle und bundesweit an-fangs acht Netze seien etwa 4,5 Millionen Euro im Jahr erforderlich.

"Viel Wissen geht verloren"

In Deutschland gibt es bisher nur wenige strukturierte Forschungspraxen-Netze. Sie wurden im Rahmen von einzelnen Projekten gegründet, so etwa in Hamburg, Frankfurt, Heidelberg oder Marburg.

Generell sind die Forscher an den Universitäten darauf angewiesen, für jedes Forschungsvorhaben aufs Neue Hausärzte zu gewinnen und die Medizinischen Fachangestellten zu schulen.

"Dadurch geht viel Wissen verloren, das bei einem Folgeprojekt wieder neu aufgebaut werden muss", so die DEGAM.

"Teilweise müssen wir 6000 Schreiben rausschicken, bis die Praxen rekrutiert sind", berichtet Karola Mergenthal, ausgebildete Arzthelferin und Mitarbeiterin am Wissenschaftlichen Institut für Allgemeinmedizin in Frankfurt/Main.

Diesen Aufwand könne man durch den Aufbau von Netzwerken erheblich reduzieren, sagte sie auf dem Symposium "Klinische Studien in der Allgemeinmedizin - Zeit für einen Strukturwandel" in Berlin.

Derzeit müssen die einzelnen Hausärzte immer wieder davon überzeugt werden, dass die Teilnahme an einer Studie sinnvoll ist. Außer aus Zeitmangel lehnen die Praxischefs die Forschung meistens ab, weil sie diese nicht für wichtig halten.

"Oft haben die Ärzte aber auch keine Lust, sich vor den Karren eines habilitationswütigen Allgemeinmediziners spannen zu lassen", sagt Dr. Guido Schmiemann, Privatdozent an der Uni Bremen und Hausarzt in Verden.

Niedergelassene winken auch ab, wenn sie den Eindruck haben, auf den Forschungsablauf keinen Einfluss zu haben.

Aufwandsentschädigung und persönliche Ansprache

Um Mediziner in der ambulanten Versorgung für klinische Studien zu gewinnen, empfiehlt Schmiemann deshalb nicht nur eine adäquate Aufwandsentschädigung für die Ärzte und MFA, sondern auch eine persönliche Ansprache und eine hohe Relevanz der Fragestellung für die Praxen.

Für die Studie zur Behandlung von unkomplizierten Harnweginfekten bei Frauen hatte er innerhalb kurzer Zeit die erforderlichen Patienten zusammen. "Das ist halt ein Thema, mit der die Hausarztpraxis fast jeden Tag beschäftigt ist", erklärte Schmiemann das große Interesse an der Studie.

Wichtig sei es, das Praxisteam mit einzubinden. Kompetenzen müssten bei den MFA ausgebaut und verstetigt werden. "Die haben immer Lust, an neuen Projekten teilzunehmen", so Schmiemann.

In der Praxis habe sich gezeigt, dass die besten Studienerfolge dann erzielt werden, wenn die Koordination wenigstens in der Hand einer Medizinischen Fachangestellten liegt, sagteKarola Mergenthal.

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