Nutzen oder Schaden
IQWiG-Chef stellt Vorsorgen infrage
Ein Check-up hier, Hautkrebs- und Prostata-Screening da - Vorsorgeuntersuchungen sind mittlerweile Alltag für die Deutschen. Jetzt stellt der Chef des IQWiG den Sinn der Angebote infrage - und verweist auf den Geldbeutel der Ärzte.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat Sinn und Zweck von Früherkennungsuntersuchungen infrage gestellt.
Unter wissenschaftlichen Kriterien seien "zumindest die Tastuntersuchung nach Prostatakrebs, der regelmäßige allgemeine Check-up und das Hautkrebsscreening fragwürdig", sagte Professor Jürgen Windeler der Samstagsausgabe der "Berliner Zeitung".
Auch das Ziel von Vorsorgeuntersuchungen, nämlich Krankheiten frühzeitig zu erkennen, stellte er indirekt infrage: "Tut sie (die Untersuchung, Anm. d. Red.) das tatsächlich?", fragte er in dem Interview rhetorisch.
Der Arzt und Biometriker Windeler ist seit 2010 Chef des IQWiG. Zuvor war er Leitender Arzt des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS).
Windeler bezeichnete Früherkennungsuntersuchungen als "heikles Thema". Einerseits seien sie in der Bevölkerung "enorm positiv besetzt", andererseits müsse man sich "im Klaren sein, dass es hier auch Nachteile und handfeste ökonomische Interessen gibt".
Als Beispiel nannte er die Pädiatrie: "Wenn Kinderärzte dringend eine weitere Vorsorgeuntersuchung fordern, dann wollen sie damit auch erreichen, dass mehr Kinder in die Praxis kommen", sagte der Institutschef. Über "Sinn und Zweck dieser Untersuchungen" müsse eine "nüchterne Debatte" geführt werden.
Auch würde den Versicherten "mit einigen Kampagnen ja geradezu ein schlechtes Gewissen eingeredet", wenn sie Vorsorgeuntersuchungen nicht in Anspruch nähmen. Windeler: "Dabei wäre es wichtig, dass über Vor- und Nachteile nüchtern und umfassend informiert wird."
Grundsätzlich wollte Windeler Früherkennungsmaßnahmen aber nicht ihren Nutzen absprechen. "Man kann zwar sagen, dass die meisten dieser Untersuchungen, die von den Kassen angeboten werden, gut geprüft sind."
Allerdings lägen Nutzen und Schaden "so dicht beieinander", dass Patienten sorgfältig und in Ruhe abwägen sollten. "Es ist immer eine individuelle Entscheidung. Da ist kein Platz für Kampagnen oder offiziöse Empfehlungen", so Windeler weiter.
Konkret begründete er seine Warnung nicht. Andere Kritiker argumentieren aber immer wieder, dass es bei Vorsorgeuntersuchen auch zu Fehldiagnosen und schlimmstenfalls unnötigen Operationen komme, sich die Gesundheitskosten langfristig aber nicht senken ließen.
Das Bundesgesundheitsministerium verwies am Samstag darauf, dass der GBA entscheidet, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Dies geschehe auf wissenschaftlicher Grundlage.
Ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Leistungskatalog der Kassen umfasse ein breites Spektrum an Vorsorgeuntersuchungen. "Das Problem bei vielen darüber hinausgehenden Zusatzleistungen von Ärzten ist, dass sie mehr dem Portemonnaie des Arztes dienen als der Gesundheit des Patienten." (nös)
Mit Material von dpa