Nutzenbewertung
IQWiG erklärt schlechte Noten für Antidiabetika
Warum schneiden neue Antidiabetika bei der frühen Nutzenbewertung vergleichsweise schlecht ab? Das IQWiG sieht Probleme bei den Herstellern.
Veröffentlicht:KÖLN. Nur drei von insgesamt 20 vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bis April 2015 bewerteten neu zugelassenen Antidiabetika haben vom Institut einen Zusatznutzen zugesprochen bekommen.
Neue Arzneimittel gegen die Volkskrankheit, deren Bedeutung stetig zunimmt, schneiden damit deutlich schlechter ab als Arzneimittel in anderen Indikationsgebieten. In seinem Jahresbericht geht das Institut auf die Ursachen ein.
Immer noch dürftige Evidenz
Anders als die Zulassung, die auf die Wirksamkeit - im Fall von Antidiabetika beispielsweise die Senkung des Blutzuckerspiegels - eines Arzneimittels fokussiere, werde mit der frühen Nutzenbewertung der Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie mit Blick auf patientenrelevante Endpunkte überprüft.
Das seien: Kürzere Krankheitsdauer, längeres Überleben, geringere Nebenwirkungen, bessere Lebensqualität. Bei Diabetikern könnten dies vermiedene Hypoglykämien, insbesondere bei Patienten mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen, sein.
Die Erkenntnislage wertet das IQWiG jedoch als unzureichend: Bei der frühen Nutzenbewertung sei bisher "keine einzige Studie vorgelegt" worden, "die auf die genannten Therapieziele ausgerichtet war oder individuelle Therapieziele berücksichtigte".
Die vorgelegten Zulassungsstudien hätten überdies wichtige patientenrelevante Endpunkte nicht untersucht, beispielsweise Folgekomplikationen.
"Mit Blick auf die neuen Wirkstoffe, die bei der frühen Nutzenbewertung in den vergangenen Jahren keinen Zusatznutzen nachweisen konnten, offenbart sich hier Verbesserungsbedarf", schreibt das IQWiG.
Probleme mit der Transparenz
Als Präzedenzfall sieht das IQWiG die Nutzenbewertung von Insulin degludec von Novo Nordisk. Das IQWiG hatte keinen Zusatznutzen gesehen, der GBA schloss sich dem an, die folgenden Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband scheiterten.
Am Ende entschied Novo, den Vertrieb zum 30. September einzustellen. Betroffen sind 40.000 Patienten, deren Ärzte nun die Therapie umstellen müssen.
Als Ursache nennt das IQWiG, dass das Dossier in den Modulen 1 bis 4 nicht alle für die Nutzenbewertung notwendigen Informationen zu Methodik und Ergebnissen der Studien enthalten habe. Das hätte zwar dem Modul 5 entnommen werden können. Die Angaben darin sind allerdings vertraulich und nicht zur Veröffentlichung bestimmt.
Das IQWiG dürfe jedoch keine Daten in die Bewertung einbeziehen, die nicht veröffentlicht werden könnten. Eine Berücksichtigung in den Modulen 1 bis 4 hätte dazu geführt, dass die Bewertung nicht mehr transparent und nachvollziehbar gewesen wäre.
Eigentlich sollte das nicht sein. Seit Jahren treten das IQWiG und andere HTA-Institutionen dafür ein, dass klinische Studiendaten vollständig und unabhängig vom jeweiligen Ergebnis veröffentlicht werden, um einen Publikationsbias zu verhindern.
Das ist auch das Kernziel der EU-Verordnung 536 vom April 2014, deren Nutzen für die Wissenschaft nicht zuletzt vom Verband forschender Pharmaunternehmen auch in der "Ärzte Zeitung" gewürdigt worden war.
Kurswechsel bei EMA ausgemacht
Doch die Praxis sieht teilweise anders aus, beklagt das IQWiG und macht dafür einen Kurswechsel bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA aus.
Nach einem ersten "guten" Entwurf vom Juni 2013 sei der Fortschritt mit einem Richtungswechsel im Juni 2014 praktisch zunichte gemacht worden: Danach sollten Wissenschaftler und anderen Interessenten die Daten nur am Bildschirm betrachten dürfen.
Das Herunterladen, Speichern, Bearbeiten, Belichten und der Ausdruck sowie die Weitergabe an Kollegen sollte untersagt sein.
Das hätte "jede seriöse Auswertung der zumeist sehr umfangreichen Daten unmöglich gemacht", beklagt das IQWiG.
Freilich ging das IQWiG nicht fatalistisch mit dem Vorgang um, sondern wehrte sich mit einem "Rapid Response" im British Medical Journal und initiierte damit die Twitter-Kampagne #screenonly. Folge sei gewesen, dass die EMA die Zugriffsregeln überarbeitet habe.
Insgesamt bleibt nach Einschätzung des IQWiG weiter Raum für Verbesserungen: etwa für den Fall, dass ein Hersteller kein Dossier vorlegt, weil der Preis der Vergleichstherapie so hoch ist, dass das Prädikat "kein Zusatznutzen" einen befriedigenden Erstattungsbetrag garantiert.
Denkbare Nachteile der nicht bewerteten Arznei blieben so intransparent.