Neue Berliner Gesundheitssenatorin
"Ich bin zu einem Neuanfang mit der KV bereit"
Mit einer Bundesratsinitiative zur Bürgerversicherung hat die neue Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) kurz nach Amtsantritt bundespolitische Akzente gesetzt. Nach rund 100 Tagen im Amt wollte die "Ärzte Zeitung" wissen, wie es mit der Gesundheitspolitik im Land Berlin weitergeht.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Berlin hat keinen Ärztemangel, aber eine ungleiche Verteilung. Deshalb hat das Landesgremium zur Versorgungssteuerung einen Letter of Intent (LOI) beschlossen. Wie geht es damit nach der mageren Zwischenbilanz weiter?
Dilek Kolat (SPD)
In der Türkei 1967 geboren, lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland
Studium der Wirtschaftsmathematik an der TU Berlin
Senatorin (SPD) für die Bereiche Gesundheit, Pflege und Gleichstellung in Berlin seit Dezember 2016; zuvor Senatorin zuständig für Arbeit, Frauen und Integration von 2011 bis 2016
Dilek Kolat: Zunächst einmal sind infolge des Letter of intent bereits 158 Arztpraxen in Berlin in weniger gut versorgte Stadtteile verlegt worden, und die ambulante wohnortnahe ärztliche Versorgung konnte verbessert werden. Aber das kann erst ein Anfang sein, das Thema ist nicht vom Tisch. Das Gemeinsame Landesgremium nach Paragraf 90a SGB V in Berlin wird sich weiter mit dem LOI befassen, regelmäßig über dessen Wirkungen berichten und falls erforderlich in Abstimmung der Beteiligten nachsteuern müssen.
Die ambulante Notfallversorgung steht immer wieder in der Kritik. Wie geht es weiter mit den Portalpraxen?
Kolat: Die KV befindet sich derzeit in Verhandlungen mit weiteren Kooperationspartnern, und ich gehe davon aus, dass die Anzahl der Portalpraxen von derzeit 11 auf 20 Portalpraxen ausgeweitet wird. Wir werden die Entwicklung hier beobachten. Wichtig ist, dass die Portalpraxen an den Kliniken dann auch tatsächlich mit Kassenärzten besetzt sind, damit die Notaufnahmen der Kliniken wirklich entlastet werden.
In der vergangenen Legislaturperiode gab es auch von Seiten Ihrer Koalitionspartner Kritik an Sozial- und Gesundheitssenator Mario Czajas Aufsichtsführung gegenüber der KV Berlin. Wie wollen Sie dieses Feld angehen?
Kolat: Es gab in der Vergangenheit offenbar rechtswidrige Praktiken in der KV Berlin, die meine Verwaltung als Rechtsaufsicht beanstandet hat und die gleichzeitig strafrechtlich aufgearbeitet werden. Nun wurde ein neuer Vorstand gewählt. Dieser hat sich von einzelnen bedenklichen Verfahrensweisen des alten Vorstandes distanziert sowie bereit erklärt, an der Aufklärung des Komplexes um den sogenannten Betreuungsstrukturvertrag mitzuwirken. Ich begrüße das und bin auf jeden Fall zu einem Neuanfang bereit. Meine Verwaltung wird die Rechtsaufsicht über die KV weiter objektiv und gewissenhaft ausüben. Das wird unter anderem durch die zeitnahe Übersendung der Protokolle der Sitzungen der Vertreterversammlung sichergestellt.
"Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist im Keller", haben Sie beim Verein Berliner Wirtschaftsgespräche gesagt. Welche Maßnahmen planen Sie, um ihn dort herauszuholen?
Kolat: Wir wollen den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken und mit mehr Personal ausstatten. Grundsätzlich bietet der ÖGD ein attraktives, multiprofessionelles und verantwortungsvolles Arbeitsfeld. Aber es wird uns dennoch nicht gelingen, offene Stellen zu besetzen, wenn wir die Beschäftigten nicht besser bezahlen. Im ersten Schritt sollte die Bezahlung des ärztlichen Personals an den im Krankenhaus geltenden Tarif angeglichen werden. Dazu bin ich mit dem Finanzsenator im Gespräch, der für das Tarifrecht zuständig ist.
Die Rahmenvereinbarung zur Umsetzung des Präventionsgesetzes steht in Berlin noch aus. Wann ist mit einem Abschluss zu rechnen?
Kolat: Hier gilt der Grundsatz "Qualität statt Quantität": Die Verhandlungen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Sozialversicherungsträger laufen und ich hoffe sehr, dass bald entscheidende Fortschritte erzielt werden. Gerade im Sinne der Bürgerinnen und Bürger möchten wir als Land Berlin eine hohe Datentransparenz und Verbindlichkeit bei der Abstimmung von Präventionsaktivitäten erzielen. Nicht zuletzt ist mir wichtig, dass die neuen Präventionsangebote die bestehenden und bewährten Strukturen in Berlin sinnvoll ergänzen. Das kann dazu führen, dass die Verhandlungen länger dauern, aber dafür hat man am Ende auch ein gutes Ergebnis.
Berlin hat eine Bundesratsinitiative zur Bürgerversicherung eingebracht. Welche weiteren bundespolitischen Akzente möchten Sie in ihrer Amtszeit setzen?
Kolat: In der Gesundheits- und Pflegepolitik liegen viele Zuständigkeiten beim Bund. Insofern wird es auch noch weitere Bundesratsinitiativen des Landes Berlin geben. Die Forderung nach einer Bürgerversicherung ist dabei aber eine der wichtigsten, da hier die Gerechtigkeitsfrage gestellt wird: Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen Zugang zur Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung bekommen.
Auch im Bereich der Krankenhäuser in Berlin steht einiges auf der Agenda. Womit fangen Sie an?
Kolat: Die Krankenhäuser haben in den letzten Jahren viele Investitionen nicht tätigen können, weil das Geld dazu fehlte. Deshalb ist es eines meiner zentralen Projekte, bei den Krankenhausinvestitionen ein gutes Stück voran zu kommen. Mehr Investitionsmittel für die Berliner Krankenhäuser – das ist einer der wichtigen Punkte für uns in den laufenden Haushaltsverhandlungen. Weitere Themen sind bessere Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal oder die engere Abstimmung einer gemeinsamen Krankenhausplanung mit unserem Nachbarland Brandenburg.